Afghanistans Wirtschaft wird oft als „jungfräulicher Markt“ bezeichnet. Jahrelange Konflikte haben dazu geführt, dass Chancen auf Auslandsinvestitionen ungenutzt blieben. Im letzten Jahrzehnt hat die Regierung Afghanistans jedoch entscheidende Schritte unternommen, um Investoren anzulocken. Einerseits hat Afghanistan den Prozess der Gewerbeanmeldung rationalisiert und steht zurzeit im „Doing Business Report“ der Weltbank hinsichtlich Unternehmensgründungen auf Platz 25. Andererseits hat die afghanische Regierung die Verwaltungsvorschriften überarbeitet, um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Allerdings gibt es noch viel zu tun. Auslandsinvestoren lassen sich nach wie vor – zu Recht oder zu Unrecht – von ihren Sicherheitsbedenken, der schwachen Regierungsführung oder den häufig vorherrschenden informellen Vereinbarungen entmutigen.
Trotz der offensichtlichen Herausforderungen, denen unser Land gegenübersteht, sind hohe Wachstumsraten zu verzeichnen. Im Schnitt ist das Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen fünf Jahren jährlich um zehn Prozent gewachsen. Um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu ermöglichen, muss Afghanistan seine komparativen Vorteile in Wettbewerbsfähigkeit umwandeln. Nur so kann das Land ein attraktiver Unternehmens- und Investitionsstandort werden. Diesbezüglich ist ein deutlicher Fortschritt zu beobachten. Seit 2001 stellt die Regierung Afghanistans das Land als Transitstraße zwischen Zentral- und Südasien auf. Afghanistan ist innerhalb dieses wirtschaftlichen Korridors immer noch das einzige Land, das bei allen regionalen Handelsvereinbarungen eingebunden wird. Durch grenzüberschreitende Handelsabkommen, die kurz vor dem Abschluss stehen, können die Zölle über einen gewissen Zeitraum hinweg reduziert werden. Gleichzeitig ermöglicht es das Transit- und Transportabkommen mit Pakistan, dass afghanische Güter reibungslos an die Grenzen Indiens und Chinas exportiert werden können und somit einen Markt von mehr als zwei Milliarden Konsumenten erreichen. Die Wiedereröffnung der „Neuen Seidenstraße“ wird in den kommenden Monaten durch die Reaktivierung des TIR-Abkommens (Internationaler Straßen-Transport) erleichtert. Außerdem wird dieses Transitabkommen den grenzüberschreitenden Handel erweitern und Afghanistan mit seinen Nachbarländern sowie dem Rest der Welt verbinden.
Im Handelsbereich ist Afghanistan in den Sektoren Hoch- und Tiefbau, Landwirtschaft und Bergbau bereits wettbewerbsfähig. Die Bemühungen um den Wiederaufbau des Landes haben eine zunehmende Nachfrage nach Baustoffen und -dienstleistungen bewirkt, wodurch der Markt für Investoren attraktiver wird. Derzeit ist der Bausektor der am schnellsten wachsende Sektor des Landes. Schätzungen der Asiatischen Entwicklungsbank (Asian Development Bank, ADB) zufolge werden sich die Investitionen bis 2014 auf über vier Milliarden US-Dollar belaufen, um den Anforderungen an die Infrastruktur gerecht zu werden. Ein ähnlicher Trend lässt sich auf dem Wohnungsmarkt beobachten. Aufgrund der Bevölkerungsexplosion in den Städten werden in den nächsten Jahren mehr als 1,5 Millionen Wohneinheiten benötigt.Die Landwirtschaft gilt als weiterer Schwerpunktsektor für Investoren. Aufgrund seiner fruchtbaren Böden, seines Wasserreichtums sowie der günstigen klimatischen Verhältnisse stellt Afghanistan hochwertige ökologische Erzeugnisse her, die einen exzellenten Marktwert vorweisen. Die Erträge aus Kulturpflanzen, wie zum Beispiel Safran, werden auf den internationalen Märkten auf 4.000 US-Dollar pro Kilogramm geschätzt. Das Potenzial dieses Sektors wird außerdem dadurch verstärkt, dass weitreichende Teile ungenutzter landwirtschaftlicher Flächen zur Produktionssteigerung zur Verfügung stehen und die günstigen Verhältnisse den Anbau hochwertigerer ökologischer Kulturpflanzen ermöglichen. Darüber hinaus kann durch das Einführen landwirtschaftlicher Techniken und Lagerfähigkeiten ein höherer Ertrag je Hektar erwirtschaftet werden. Aufgrund der wachsenden Nachfrage auf dem Weltmarkt für Lebensmittel sind die potenziellen Investitionsrenditen von großer Bedeutung.
Zudem bietet auch der Bergbausektor zahlreiche Investitionsmöglichkeiten. Afghanistan verfügt über weitläufige, unerschlossene Rohstoffvorkommen, die Kupfer, Eisen, Eisenerz, Steinkohle, Kohlenwasserstoffe, Gold und Halbedelsteine umfassen. Schätzungen des United States Geological Survey zufolge beläuft sich der Wert dieser Reserven auf über drei Billionen US-Dollar. Die Regierung hat derzeit damit begonnen, in- und ausländischen Unternehmen Explorations- und Abbaurechte zu gewähren. Einem Unternehmen der Volksrepublik China wurden nach einem Ausschreibungsverfahren Rechte für die Kupferlagerstätte Aynak, eines der weltweit größten potenziellen Kupferbergwerke, gewährt. In den nächsten sechs bis zwölf Monaten sollen weitere unerschlossene Flächen ausgeschrieben und zum Abbau und zur Produktion freigegeben werden. Die Regierung setzt sich auch für die Bildung einer Mines Protection Unit (Einheit zum Schutz des Bergbaus) ein, um die Sicherheit der Unternehmen, die an der Exploration und dem Abbau beteiligt sind, zu gewährleisten.
In den Sektoren Hoch- und Tiefbau, Landwirtschaft und Bergbau werden Investoren das große, zusätzliche Investitionspotenzial nach Abwägen des – abnehmenden – Sicherheitsrisikos erkennen. Gewiss sind bei allen Überlegungen zur Wirtschaftslage in Afghanistan Sicherheitsaspekte mit einzuschließen. Allerdings sollten Investoren sich mit dem Thema „Sicherheit“ eingehend beschäftigen, um unzutreffende Verallgemeinerungen über die Sicherheitslage zu vermeiden.
Auf diese Weise können zudem Investitionsmöglichkeiten mit einem abschätzbaren Risiko identifiziert werden. Afghanistan benötigt Neuinvestitionen. Jede Analyse grundlegender und technischer Daten bezüglich des afghanischen Geschäftsumfeldes wird die positiven Trends offenlegen, die auf die deutlichen wirtschaftlichen Bemühungen des Landes zurückzuführen sind. Dies sollte für potenzielle Investoren ein wichtiger Indikator sein.
Der Autor wurde 1977 geboren. Er absolvierte seine Ausbildung in Afghanistan und schloss sein Studium der Politikwissenschaften an der Balkh University ab. Nachdem sich die soziale und wirtschaftliche Lage in Afghanistan stabilisierte, kehrte Mohammad Qurban Haqjo 2005 zurück. Seit 2008 ist Mohammad Qurban Haqjo Vorstandsvorsitzender der ACCI.