Die Mobilität steht weltweit vor einer Gezeitenwende. Unerschöpflich schien uns einst das Erdöl zur Verfügung zu stehen und unzerstörbar wirkte unser Planet. Heute wissen wir es besser. Die deutsche Automobilindustrie setzt daher auf nachhaltige Technologien, um das „Grundrecht“ auf Mobilität zu sichern.
In Krisenzeiten zeigt sich besonders die Bedeutung der Nachhaltigkeit. Gegenwärtige Probleme wie der Rohstoffmangel und das Fortschreiten des Klimawandels sind Zeichen, dass die Volkswirtschaften, so wie sie im 19. und 20. Jahrhundert gewirtschaftet haben, an Grenzen stoßen. Um den Wohlstand weiter zu sichern, werden heute Strategien des nachhaltigen Wirtschaftens entwickelt. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Menschen schon früher von ähnlichen Krisen erfasst waren, aber Möglichkeiten fanden, diese zu überwinden. So formulierte bereits 1713 Carl von Carlowitz erstmals Richtlinien für nachhaltiges Wirtschaften. Sein damaliges Krisenszenario war die überhandnehmende Rodung der Wälder in Sachsen. Die Erzgruben und Schmelzhütten des Erzgebirges benötigten zu jener Zeit große Mengen an Holz. Um eine vollständige Rodung der Wälder zu verhindern, aber ohne die Wirtschaft zu beeinträchtigen, stellte von Carlowitz Leitlinien für eine nachhaltige Forstwirtschaft auf. Der Mensch müsse respektvoll und pfleglich mit der Natur und ihren Rohstoffen umgehen. Heute haben wir es auch seinem Wirken zu verdanken, dass Deutschland eines der Länder mit dem höchsten Waldbestand in Europa ist. Der Begriff, der im 18. Jahrhundert in der Forstwirtschaft geprägt wurde, wird im 21. Jahrhundert aufgegriffen und auf neue Bereiche übertragen. Nachhaltigkeit wird dabei als Ausgangspunkt für mehrere Ziele verstanden. Dauerhaft stabile Gesellschaften seien zu erreichen, indem ökologische, ökonomische und soziale Ziele miteinander verknüpft werden. Die Erkenntnis ist, dass in unserer globalisierten Welt Umweltschutz nur dann aktiv verwirklicht wird, wenn parallel dazu die Ökonomie nachhaltig erfolgreich ist.
Angesichts steigender Rohstoffpreise und des Klimawandels stehen die Industrie und die Automobilbranche im Besonderen vor der Herausforderung, nachhaltige Strategien zu entwickeln. Langfristig müssen wir vom Energieträger Erdöl unabhängiger werden. Wir beschäftigen uns daher intensiv mit der Frage, wie nachhaltige Mobilität in Zukunft aussehen wird und wie sie zu erreichen ist. Die Automobilindustrie verfolgt dabei drei Zielrichtungen: Umwelt- und Klimaschutz, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftliche Verantwortung. Um die Ziele zu erreichen, entwickelt die Automobilindustrie zum einen alternative Antriebstechnologien. Unser Ziel ist es, den Spritverbrauch unserer Fahrzeuge drastisch zu senken. Geringer oder gar kein Spritverbrauch ist aktiver Umweltschutz, da dabei CO2-Emissionen vermieden werden. Nachhaltigkeit auf ökonomischer Basis heißt zum anderen, so zu wirtschaften, dass die Unternehmen im globalisierten Wettbewerb vorn bleiben. Schlussendlich ist sich die Autoindustrie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Sie ist bestrebt, eine hohe Beschäftigung am Industriestandort Deutschland zu halten.
Die Automobilindustrie setzt auf hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E). Allein im Jahr 2012 gaben deutsche Hersteller und Zulieferer 23,5 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus – ein Anstieg um knapp sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Laut Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, gab die gesamte deutsche Industrie im Jahr 2012 66,6 Milliarden Euro für F&E aus. Das heißt, dass über ein Drittel der Forschungsleistung von der Automobilindustrie erbracht wurde. Wir sind somit Forschungstreiber Nummer eins in Deutschland.
Noch ist allerdings nicht sicher, welche Antriebsart sich in Zukunft durchsetzen wird. Welcher Antrieb eingesetzt wird, hängt vom zukünftigen Batteriepreis für Elektroautos sowie von der Entwicklung der Strom- und Benzinpreise ab. Da diese aber nur schwer kalkulierbar sind, verfolgen die Unternehmen mehrere Technologie-Optionen. Um das Risiko von Fehlinvestitionen gering zu halten, orientieren sich die Unternehmen daher an einer Fächerstrategie. Unter dem Motto „Einsparen, Ergänzen, Ersetzen“ wird parallel an mehreren Antriebsarten geforscht. Somit ist sichergestellt, dass wir in die Antriebstechnologie investieren, die sich schlussendlich durchsetzen wird.
Sicher ist aber, dass die klassischen Antriebsarten wie Otto- und Dieselmotoren auf absehbare Zeit noch eine wichtige Rolle spielen werden. Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2020 noch mindestens 80 Prozent aller Fahrzeuge von Verbrennungsmotoren angetrieben werden. Daher forschen wir auch an sparsameren Verbrennungsmotoren, um bereits kurzfristig Einsparungen bei den CO2-Emissionen zu erreichen. Durch Innovationen, wie etwa Downsizing oder Direkteinspritzung, haben unsere Hersteller und Zulieferer bereits enorme Fortschritte erzielt.
Einen großen Schritt in die Zukunft gehen wir mit der Entwicklung der Elektromobilität. Bis Ende dieses Jahres werden die deutschen Autohersteller 16 Serienmodelle von Elektrofahrzeugen auf den Markt bringen. Und wir stehen damit erst am Beginn dieser Entwicklung. Im Bereich der Ladestationen sowie bei der Speichergröße der Batterien gibt es noch erheblichen Spielraum für Innovationen. Im Moment verursachen Batteriekosten für den Kunden beim Kauf noch eine Mehrbelastung gegenüber Autos mit herkömmlichen Antrieben. Um diese auszugleichen, ist die Politik gefordert, sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen. Der Nachteilsausgleich für Nutzer von Firmenwagen mit E-Antrieb ist ein erster Schritt. Weitere Möglichkeiten wären Sonderabschreibungen für E-Autos, die Nutzung von Busspuren oder Vorteile beim Parken in Innenstädten. Auch die Ladeinfrastruktur ist noch zu optimieren.

Diane Kruger und Joshua Jackson testen Brennstoffzelle: ab in die Wüste – B-Klasse F-CELL dient als Wasserspender.
Die Erfolge, die bislang bei der CO2-Reduzierung verbucht werden konnten, haben den Herstellern und Zulieferern enorme finanzielle Anstrengungen abverlangt. Um die F&E-Kosten stemmen zu können, ist nachhaltiger ökonomischer Erfolg unabdingbar. Nur wenn wir wirtschaftlich erfolgreich sind, stehen uns die für die Forschung notwendigen Mittel zur Verfügung.
Die deutsche Automobilindustrie hat sich deswegen früh auf neue Märkte gewagt. Neben den klassischen Automobilmärkten in Nordamerika, Japan und Westeuropa
sind unsere Hersteller und Zulieferer heute auch in den aufstrebenden Märkten wie Brasilien, Russland, Indien und China aktiv. Damit nutzt die deutsche Automobilindustrie die Chancen in Wachstumsregionen.
Der internationale Erfolg stützt sich vor allem auf unsere Stärke im Premiumsegment. Rund 80 Prozent der weltweit verkauften Premiumautos stammen von deutschen Konzernmarken. Von diesem Alleinstellungsmerkmal profitiert gerade auch der Standort Deutschland in besonderem Maße. Denn nur mit diesem hohen Premiumanteil und einer internationalen Ausrichtung war und ist es möglich, die Beschäftigung in Deutschland auf höchstem Niveau zu halten. So ist es 2013 sogar gelungen, die Stammbelegschaften in Deutschland um über 10.000 Mitarbeiter auf nun rund 760.000 Beschäftigte zu steigern – trotz eines schrumpfenden westeuropäischen Heimatmarktes.
Die Automobilindustrie stellt sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, halten wir an unseren nachhaltigen Zielen fest. Für uns gilt, dass ökonomischer Erfolg und technologische, umweltschonende Innovationen einander bedingen.
Der Autor studierte Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Politik in Tübingen und Bonn. Er war 1993 Bundesminister für Forschung und Technologie und von 1993 bis 1998 Bundesminister für Verkehr. Von 1976 bis 2007 war er Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Seit Juni 2007 ist Wissmann Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) und seit November 2007 Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).