In den kommenden Jahren bietet Afrika große Wachstumschancen. Nach China und Indien ist es derzeit die drittgrößte Triebfeder für das globale Wirtschaftswachstum und sein Pharmamarkt hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Um diese neuen Chancen nutzen zu können, gehen die multinationalen Unternehmen nun der Frage nach, welches Land die strategisch beste Wahl für einen Zugang zu diesem Kontinent darstellt, der im Allgemeinen über eines der drei nordafrikanischen Länder erfolgt.
Neben seiner geografischen Lage, die ihm eine strategische Position im Mittelmeerraum verleiht, zieht Tunesien seit langem ausländische Direktinvestitionen an und bietet ausländischen Unternehmen, die verstärkt auf dem afrikanischen Kontinent tätig sein möchten, eine regionale Plattform. Obwohl das Jahr 2012 gekennzeichnet war von schwachen wirtschaftlichen Ergebnissen, einer steigenden Inflationsrate und einer problematischen Sicherheitslage, ist das Vertrauen der Investoren, die von einem günstigen Wirtschaftsumfeld und Fördergesetzen angezogen werden, durch den Prozess des politischen und wirtschaftlichen Umbruchs, in dem sich das Land augenblicklich befindet, nicht grundsätzlich erschüttert.
1. Ein boomendes Offshore-Ziel zu wettbewerbsfähigen Kosten.
Als Vertragspartner zahlreicher Präferenzabkommen bietet Tunesien Investitionsmöglichkeiten auf einer Vielzahl von Märkten. Präferenzabkommen wurden unterzeichnet mit der Europäischen Union, den nordafrikanischen Ländern und einigen arabischen Ländern, sodass eine gehobene Freihandelszone geschaffen wurde. Obwohl der Wirtschaftsaufschwung während dieser Übergangsphase Mühe hat, Fahrt aufzunehmen, kann Tunesien auf den konsequenten Rückhalt ausländischer Finanzinstitute und Partner zählen, sodass die erhaltene Beihilfe kurzfristig auf einen Betrag angehoben werden konnte, der über dem des gewährten Darlehens lag. Darüber hinaus manifestiert sich die Rückkehr des Vertrauens der Investoren auch in einer Erhöhung der ausländischen Direktinvestitionen um 29,2 Prozent in 2012, die damit beinah wieder das Investitionsniveau aus der Zeit vor dem politischen Wandel erreicht haben (OBG, 2013).
Tunesien zeichnet sich auch durch sein Bildungssystem aus, das seit langem zu den besten in der Region zählt. Jährlich verlassen mehr als 65.000 Absolventen die Universität; sie verfügen über einen zufriedenstellenden Grad an Mehrsprachigkeit und haben die modernsten technischen und technologischen Studiengänge absolviert. Mehr als zehn Technologieparks sollen dazu beitragen, die zukunftsträchtigen Sektoren weiterzuentwickeln und die Innovation und Kreativität des tunesischen Humankapitals zu fördern. Darüber hinaus wurden umfangreiche Bildungsmaßnahmen in die Wege geleitet, um das intellektuelle Kapital zu stärken und neue Talente zu fördern. Unternehmen, die sich im Land niederlassen möchten, soll auf diese Weise ein klarer Vorteil in Bezug auf die Personalbeschaffung geboten werden.
Tunesien ist eine ideale Low-Cost-Destination, sowohl logistisch als auch intellektuell. Nach Ansicht sämtlicher internationaler Beobachter wird sich das Geschäftsklima, das auch heute noch günstig ist, durch die Hinwendung zur Demokratie noch weiter verbessern. Die Coface (2013) bewertet das Geschäftsumfeld in Tunesien mit der Note A4 (angemessenes Niveau) und die IFC (Juni 2012) stellt Tunesien im „Ease of Doing Business“-Ranking an die 50. Stelle unter 185 Ländern. Ausländische Unternehmen erhalten zahlreiche Investitionsanreize in Form von Steuerbefreiungen, Investitionszulagen, der Übernahme von Infrastrukturkosten und der Übernahme von Arbeitgeberbeiträgen. Das geistige Eigentum wird geschützt durch nationale Rechtsvorschriften und entsprechende internationale Abkommen.
Tunesien verfügt über eine Infrastruktur, die weltweit Maßstäbe setzt. Die Offshore-Zentren der Großunternehmen sind in vollständig neu gestalteten Geschäftsvierteln angesiedelt, in der Nähe der Flughäfen und wichtigsten Autobahnen. Die operativen Kosten zählen zu den wettbewerbsfähigsten im europäischen Mittelmeerraum. Auch die Transportinfrastruktur ist dort gut ausgebaut. Tunesien besitzt sieben Handelshäfen, die circa 7.600 Schiffe aufnehmen können, und neun internationale Flughäfen, die von 138 ausländischen Fluggesellschaften bedient werden (FIPA 2013). Und schließlich zählt auch der IKT-Sektor zu den dynamischsten auf dem tunesischen Markt und die Qualität der Infrastruktur gilt als eine der modernsten im südlichen Mittelmeerraum. Im Übrigen ordnet der Global Information Technology Report (2012) Tunesien im „Network-Readiness-Index“ an der 50. Stelle unter 142 Ländern ein.
2. Merck Serono in Tunesien: eine virtuelle Plattform für Afrika.
Die tunesische Pharmaindustrie ist ein anschauliches Beispiel für die Dynamik der ausländischen Direktinvestitionen im Lande. Sie zählt an die 5.000 Beschäftigte und circa 40 lokale Produktionsstätten für Arzneimittel sowie 20 internationale Pharmaunternehmen, die ihre Erzeugnisse vor Ort vertreiben – oder noch besser – ihre Geschäftstätigkeit im gesamten Maghreb ausüben. Diese Pharmaunternehmen stellen für sich alleine 52 Prozent der Arzneimittelindustrie in Tunesien dar.
2009 beschloss Merck Serono, die biopharmazeutische Sparte des deutschen Konzerns Merck KGaA, eine regionale Tochtergesellschaft in Tunesien zu gründen, um die über 35 afrikanische Länder verteilte Geschäftstätigkeit von dort aus zu führen. Karim Bendhaou, Geschäftsführer von Merck Serono für Nord- und Westafrika, erklärt die Entscheidung für Tunesien als Drehkreuz für die groß angelegte Entwicklungstätigkeit mit den steuerlichen und ordnungspolitischen Anreizen, die ausländischen Unternehmen geboten werden, der Qualität und dem Talent des lokalen Humankapitals sowie dem Regulierungssystem. Darüber hinaus profitiert das Unternehmen von den Präferenzabkommen mit der Europäischen Union und dem TRIPS-Übereinkommen in Bezug auf geistige Eigentumsrechte, das den Patentschutz für pharmazeutische Erfindungen regelt.
Um die Vermarktung und die Zugänglichkeit seiner Pharmazeutika sicherzustellen, hat der deutsche Konzern seine Strategie auf die Schaffung einer virtuellen regionalen Plattform (virtual gateway) ausgelegt, auf der das fachliche Know-how mit den Abteilungen Marketing, Medical und Arzneimittelsicherheit vereint ist, aber auch die wichtigsten Funktionen des Konzerns wie Finanzen, Human Ressources, Supply Chain und Informationstechnologie zu finden sind.
Durch die lokalen Fördermaßnahmen in Tunesien konnte Merck Serono diese virtuelle Plattform in der Form eines vollständig exportorientierten, nicht gebietsansässigen Unternehmens in die Tat umsetzen, um in den Genuss steuerlicher Vorteile zu gelangen, wie beispielsweise den vollen Abzug der Gewinne während der ersten zehn Jahre, die Aussetzung der Erhebung der Mehrwertsteuer und der Verbrauchssteuer für die Einfuhr und Beschaffung von Waren, die Befreiung von sämtlichen Steuern und steuerähnlichen Abgaben, die Befreiung von der Quellensteuer für an ausländische Personen und Gesellschaften entrichtete Gebühren und Entgelte.
Durch die Niederlassung in Tunesien hat sich Merck Serono auch für eine attraktive Lohn- und Gehaltspolitik entschieden, um seinen Mitarbeitern unterschiedlicher Nationalitäten entsprechende Anreize zu bieten. Die tunesische Pharmabranche verzeichnet in der Tat hochqualifiziertes Personal, wie beispielsweise Ärzte und Pharmazeuten. Interessanterweise ist weiterhin festzustellen, dass die wissenschaftlichen Universitäten in Tunesien mit vier medizinischen Fakultäten und einer pharmazeutischen Fakultät alljährlich Studenten aus den Nachbarländern aufnehmen, die sich dann später dafür entscheiden, im Lande zu bleiben, um dort zu arbeiten. Dabei sind noch nicht die im Ausland ansässigen tunesischen Studenten eingerechnet, die später ins Land zurückkehren, um ihre berufliche Karriere dort zu starten. „Auf diese Weise konnten wir ein interdisziplinäres Team mit den Farben des Kontinents bilden“, erklärt Dr. Bendhaou. „Doch auch wenn wir keine Schwierigkeiten haben, Junior- und Seniorführungskräfte zu rekrutieren, so gilt dies nicht in gleichem Maße für die Top-Führungspositionen, deren Gehaltsniveau das der europäischen Gehälter nicht ganz erreicht“, betont Dr. Bendhaou.
3. Vom virtuellen zum physischen Gateway.
Auch wenn die Logistik- und Transportinfrastruktur in Tunesien als relativ zufriedenstellend beurteilt werden kann, so könnte das Land seine Anziehungskraft als Investitionsstandort zu Lasten seiner Nachbarländer durch verbesserte gesetzliche Regelungen bewahren und Merck Serono von einem echten physischen Gateway profitieren. Hier seien beispielhaft genannt:
• die kurzfristige Verbesserung der Flugverbindungen über Direktflüge in die afrikanischen Länder trotz des Vorhandenseins der zahlreichen internationalen Flughäfen in Tunesien
• die Verbesserung der Seeverbindungen in die südlich der Sahara gelegenen afri-kanischen Länder
• die Revision des Gesetzes über den internationalen Handel, das einen Offshore- Handel mit Arzneimitteln untersagt: Bis heute schreibt Tunesien vor, dass 20 Prozent seiner Exportgüter tunesischen Ursprungs sein müssen
• die Vereinfachung der Warenströme durch die Schaffung eines Lagerortes offshore und den Versand in die afrikanischen Länder. Tunesien konzentriert sich stärker in Richtung Naher Osten und Europa zulasten der auf dem afrikanischen Kontinent vorhandenen Möglichkeiten.
• die bürokratischen Hindernisse, die jegliche Aktivitäten behindern können, die Flexibilität, Transparenz und eine Vereinfachung der Warenströme erfordern.
Dr. Karim Bendhaou (MD, MBA) ist seit mehr als 10 Jahren Geschäftsführer von Merck Nordwest-Afrika. Es ist derzeit operativ verantwortlich für 38 Länder in dieser weitläufigen Region. Nach einem Studium der Medizin in Algier und Paris war er beinahe 20 Jahre in der Pharmaindustrie tätig.
Co-Autorin: Rania Dourai,
Tonetide Consulting