Der Begründer der wissenschaftlichen Volkskunde, der 1823 vor den Toren des Rheingaus in Biebrich bei Wiesbaden geborene Wilhelm Heinrich Riehl, hat davon gesprochen, dass der Rheingau vom Wein „durchkultiviert“ sei.
Wie kann man besser umschreiben, dass seit gut 2.000 Jahren dieser von der Natur so vorteilhaft bedachte Landstrich, dieser „Lustgarten der Natur“ (Heinrich von Kleist), in seiner Struktur und seinem Wesen maßgeblich vom Weinbau bestimmt wird. Nicht so poetisch, aber ebenso richtig, steht seit Generationen eine Alleinstellung für den Rheingau fest: Rheingau ist Riesling und Riesling ist Rheingau.
Der Autor studierte Önologie und Betriebswirtschaft. Seine Winzerausbildung und Praktika absolvierte er in verschiedensten Weinbauregionen. Seit 1987 trägt er Verantwortung im Weingut Robert Weil, dessen Gutsdirektor und Anteilseigner er heute ist. Darüber hinaus ist er Vizepräsident des Verbandes der Deutschen Prädikatsweingüter (VDP) und Vorsitzender des VDP Rheingau e.V.
Waren es vor 2.000 Jahren die Römer, die zwischen dem Rhein mit der Metropole Moguntiacum und dem Limes hier siedelten und Weinbau noch im Kleinen betrieben, so setzte mit dem Jahre 983 n. Chr. eine weinbauliche Dynamik ein, die dem Rheingau bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine äußerst gedeihliche Entwicklung bescherte. Damals schenkte Kaiser Otto II. seinem Erzkanzler Willigis, dem damaligen Mainzer Erzbischof, den Rheingau in der Veroneser Schenkung.
Damit kam der Rheingau, zwischen dem Rhein und dem Taunus mit dem Gebück gelegen, unter die Herrschaft von Aurea Moguntia und des Mainzer Erzbistums. Früh erkannten die Mainzer Erzbischöfe, dass Weinbauern, wenn sie ohne die Last der Leibeigenschaft im Weinberg arbeiten konnten, den besseren Wein für den Zehnten und sich selbst erzeugen konnten.
Natürlich gab es auch über die Zeit von 983 bis zur Auflösung der Mainzer Territorialherrschaft durch die Säkularisierung im Jahre 1803 manchen Konflikt auf der lokalen und großen Bühne der Politik zwischen den Erzbischöfen und den Rheingauer Untertanen, aber dennoch galt seit den Tagen des Mittelalters und dem Rheingauer Weistum von 1324, dass Rheingauer Luft frei mache.
Diese Haltung freier Bürger auf dem Lande, gleichgestellt mit denen der Stadt Mainz, förderte die wirtschaftliche Entwicklung des Rheingaus, vornehmlich des Weinbaus, ungemein. Die großen Klöster und die im Rheingau ansässigen Adelsgeschlechter waren die Träger und Förderer dieser Entwicklung. Mit dem Kloster Eberbach, 1136 von den Zisterziensern aus Burgund gegründet, erhielt der Rheingau ein Weingut, das in der damaligen Welt als Global Player agierte und mit seinen Schiffen und Wirtschaftshöfen ein dichtes Distributionsnetz für seine Weine aufbaute. Dieses weitgespannte Netz hatte seine Entsprechung in einem kulturellen Netzwerk, das mit dem Zisterzienserorden verbunden war und das, vom Mutterkloster Cîteaux in Burgund ausgehend, den gesamten Kontinent umfasste. Dieses Netzwerk machte Kloster Eberbach zu einem zentralen Impulsgeber für Kulturleistungen im Rheingau und weit darüber hinaus.
Heute ist diese einmalige Klosteranlage, vom Land Hessen fürsorglich über viele Jahre restauriert, ein wahres Kleinod und einmaliger Zeuge der Rheingauer Weingeschichte.
Diese kulturellen Impulse wirken bis in unsere Zeit nach. So wurde etwa die mit dem Kloster verbundene Weinkultur auch von dessen weltlichen Nachfolgern, die ab 1803 (Nassau) und ab 1866 (Preußen) die Herrschaft im Rheingau innehatten, weiter gepflegt und entwickelt. Daneben waren es aber auch die traditionsreichen adligen Güter und ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch die neugegründeten innovativen großbürgerlichen Weingüter, die das Riesling-Erbe zu höchster Reputation fortführten. Fantastischer Beleg dafür ist die Tatsache, dass der Rheingauer Riesling gegen Ende des 19. Jahrhunderts die höchsten Weinpreise auf den Weltmärkten erzielte.
Der Rheingau umfasst heute eine Rebfläche von rund 3.100 ha und ist damit ein eher kleines, feines Weinanbaugebiet in Deutschland. Die Weinberge sind zu fast 80 Prozent mit der Rebsorte Riesling bestockt; in 12 Prozent der Weinberge wurzeln Spätburgunderreben, die gerade in Assmannshausen eine perfekte Heimat haben. An die 400 Winzerbetriebe sind im Rheingau derzeit aktiv, vom kleinen Familienbetrieb bis hin zum mittelständischen, weltweit vertreibenden Weingut.
So wird das Landschaftsbild des Rheingaus unbestritten durch den Weinbau geprägt, und die Winzer haben neben ihrer beruflichen Ausrichtung auch eine wichtige Bedeutung und Verantwortung als „Landschaftspfleger“. Der Erhalt und die Bewirtschaftung der Steillagen an den Taunushängen und die sensible Abgrenzung zwischen Weinbergen und den sieben Kommunen des Rheingaus sind von großer Bedeutung, damit der Rheingau seinen Charakter als „Garten“ des Rhein-Main-Gebiets erhält.
Diese Funktion des „Vorgartens“ zur Metropolregion RheinMain bedeutet für den Rheingau eine große Chance. Das Potenzial dieser Metropolregion mit 5,5 Millionen Einwohnern und einer hohen durchschnittlichen Kaufkraft, mit ihren so verschiedenartigen Städten und deren Angeboten an Kultur, Wissenschaft und Lebensqualität sowie ihrer verkehrstechnisch zentralen Lage in Deutschland und Europa muss nicht im Besonderen betont werden.
Der Rheingau selbst bringt sich als weicher Standortfaktor zu Gunsten der Region ein. Dieser kleine Landstrich mit nur knapp 70.000 Einwohnern, sein ungemein dichtes und auch differenziertes Angebot aus Landschaft, Kultur, Weinbau und Gastlichkeit der Rheingauer Gastronomie und Hotellerie bieten dem Bewohner und Besucher hohe Lebens- und Freizeitqualität.
Vom Sternerestaurant über die im besten Sinne gutbürgerliche Küche bis zum Gutsausschank reicht das gastronomische Spektrum. Anlässlich des „Rheingau Gourmet & Wein Festivals“ und der „Glorreichen Rheingau Tage“ kommen alljährlich die deutschen und internationalen Stars aus Küche und Weinbau im Rheingau zusammen. Aber auch auf den sommerlichen Weinfesten zeigt sich ein liebenswertes Stück Rheingau.
Weltweit bekannt gemacht hat den Rheingau auch das „Rheingau Musik Festival“, das mit höchster Reputation seit 25 Jahren die internationalen Stars der klassischen Musikszene im Rheingau präsentiert.
Der Rheingau steht im produktiven Spannungs- und Kraftfeld von Tradition und Moderne, von „basic and top“. Seine historische Bedeutung und der damit verbundene Anspruch stellt gleichermaßen Chance und Verpflichtung für die Zukunft dar.
Der deutsche Schriftsteller Bernd Boehle hat 1953, als er in Heidelberg lebte, davon gesprochen, dass er nicht im Rheingau wohnen wolle, weil er dann nicht mehr dorthin zu Besuch kommen könne. Mit diesem geistreichen Kompliment an den Rheingau darf ich, der ich aus voller Überzeugung im Rheingau lebe, die herzliche Einladung ins Rheingau verbinden.