„Darmstadt hat nie große Geschichte gemacht.“ So heißt es im Darmstädter Bürgerbuch. Und ergänzend: „… die bedeutsame Geschichte der Stadt [war] ihre Kulturgeschichte, und dies ist bis heute so geblieben.“ Treffender kann man kaum beschreiben, welch hohe Bedeutung Kunst und Kultur für unsere schöne und spannende Stadt haben.
Das Aufblühen der Kulturgeschichte Darmstadts begann am kurfürstlichen Hof mit Musik und Theater. Im Jahre 1600 gründete Landgraf Ludwig V. ein Orchester und ließ erste theatralische Spektakel geben. Um 1670 entstand in Darmstadt das erste Theater Deutschlands. Von 1771 bis 1773 sammelte die Große Landgräfin Karoline den literarischen Kreis der Empfindsamen um sich. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zog es berühmte Komponisten wie Carl Maria von Weber oder Giacomo Meyerbeer in unsere Stadt.
Der berühmteste Darmstädter Schriftsteller, Georg Büchner, begründete mit „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ eine Kultur des kritischen Aufbegehrens gegen Ignoranz, Ungerechtigkeit und Unterdrückung, die in Darmstadt bis heute weiterlebt. Dass der Darmstädter durchaus in der Lage ist, Kritik auch in Humor zu verpacken, beweist das Werk von Ernst Elias Niebergall, der mit seinem Datterich den Heinern den Eulenspiegel vorhielt.
Der Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts brachte eine Blütezeit des Schauspiels in Darmstadt. Unter Gustav Hartung, Ernst Legal und Carl Ebert errang das Darmstädter Theater den Ruf einer Avantgarde-Bühne. In diese Zeit fällt auch der Aufschwung der Darmstädter Literatur, in der bekannte Namen wie Mierendorff, Wolfskehl, Schiebelhuth und Edschmid eine wichtige Rolle spielten. Das alles ging 1933 jäh zu Ende, in einer in vieler Hinsicht kulturlosen Zeit, leider auch in Darmstadt.
Erst in den fünfziger Jahren konnte das Darmstädter Theater wieder an alte Höhepunkte anknüpfen. 1972 konnte der Neubau des Hessischen Staatstheaters eingeweiht werden. Die freie Theaterszene zählt in Darmstadt etwa 32 Gruppen mit jährlich mehr als 250 Aufführungen. Das Theater Moller Haus und das soziokulturelle Zentrum Bessunger Knabenschule sind die bekannten Veranstaltungshäuser der freien Szene. Das halbNeun Theater und die Komödie TAP vervollständigen das Theaterangebot.
Von besonderer Qualität ist auch die Darmstädter Operntradition, die durch Namen wie Karl Böhm und Hans Drewanz eng mit dem Orchester des Staatstheaters verbunden ist. Kammerkonzerte und die Beiträge anspruchsvoller Chorvereinigungen vervollständigen das Bild. Veranstaltungen wie die Gitarrentage oder die Blueswoche, die Konzerte der Philharmonie Merck, die Residenzfestspiele sowie die Promenadenkonzerte ergänzen das musikalische Leben. Das Schlossgrabenfest bietet den „local heroes“ der Pop- und Rockszene seit vielen Jahren breiten Raum.
Hoch angesehen ist die in einer langen Tradition stehende Akademie für Tonkunst. Die Chopin-Gesellschaft öffnet den besten jungen Pianisten die Tür zu internationalen Karrieren. Eine breite internationale Ausstrahlung entfalten die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik mit dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt als dem Zentrum der neuen Musik weltweit. Das Jazzinstitut erschließt in seiner wissenschaftlichen Arbeit Dokumente dieses bedeutenden Musikstils und ist mit dem Darmstädter Jazzforum ein anerkannter internationaler Treffpunkt der Forscher und Jazzmusiker.,

Die Tradition der kritischen Auseinandersetzung mit den Themen der Zeit nahmen ab 1950 die „Darmstädter Gespräche“ auf, die deutschlandweit als geistiges Ereignis wahrgenommen wurden. Europäische Geistesgrößen wie Günter Grass debattierten die Herausforderungen der neuen Zeit.
Mit Stolz ist Darmstadt Sitz des Deutschen Polen-Instituts, das wegweisend für die Völkerverständigung in verschiedenen kulturellen und wissenschaftlichen
Arbeitsfeldern tätig ist. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum setzt sich für verfolgte Autorinnen und Autoren ein und verleiht jährlich die Hermann-Kesten-Medaille für besondere Verdienste auf diesem Gebiet. Mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist der wichtigste deutsche Literaturpreis, der Georg-Büchner-Preis, verbunden. Der in Darmstadt ansässige Deutsche Literaturfonds sowie der Lyrikwettbewerb „Literarischer März“ sind Beispiele für die Förderung junger Dichter und Schriftsteller. Die Stadt Darmstadt betreibt zudem ein Literaturhaus, in dem Autorinnen und Autoren zu Wort kommen. Das Literaturhaus unterhält auch das Zentrum junge Literatur zur Nachwuchsförderung und ist gleichzeitig Standort für eine große Anzahl literarischer und kultureller Vereine.
Georg Moller ist einer der wichtigsten Namen, wenn es um Darmstadts Baukultur geht. Mit der von Großherzog Ernst Ludwig um 1900 ins Leben gerufenen Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe erlebte Darmstadt einen bedeutenden künstlerischen Aufbruch. Junge Architekten und Kunsthandwerker um Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens haben mit dem neuen Formwillen des Jugendstils und der Lebensreform weit mehr als nur die Wohnkultur verändert. Das Institut Mathildenhöhe präsentiert im historischen Ausstellungsgebäude international beachtete Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst und zur Kunst um 1900. Die Ausstellungen der Kunsthalle und der Darmstädter Sezession, die Kunstbiennale „Vogelfrei“ und der Verein Internationale Waldkunst ergänzen das Spektrum der bildenden Kunst ebenso wie die Aktivitäten des Atelierhauses Darmstadt sowie eine Vielzahl frei schaffender Künstlerinnen und Künstler. Im Design Haus auf der Mathildenhöhe und im Fachbereich Gestaltung der Hochschule Darmstadt werden die Entwicklungen im Design erfahrbar. Mit den Darmstädter Tagen der Fotografie hat Darmstadt ein anspruchsvolles Festival mit internationaler Beteiligung.
Ein Beitrag zu Kultur und Kulturgeschichte Darmstadts wäre unvollständig ohne die Museen, für die stellvertretend das Hessische Landesmuseum genannt sei, in dem unter anderem der weltweit größte Werkkomplex von Joseph Beuys zu sehen ist.
Allein dieser, wenn auch lückenhafte Überblick über Geschichte und Gegenwart von Kunst und Kultur in Darmstadt beweist es: Darmstadt war und ist … Kultur.
Walter Hoffmann wurde 1952 im Kreis Waldeck-Frankenberg geboren. Er hat in Kassel ein Lehramtsstudium und ein Aufbaustudium an der Akademie für Arbeit in Frankfurt am Main absolviert. Nach Mandaten beim Deutschen Gewerkschaftsbund und im Deutschen Bundestag war Walter Hoffmann von 2005 – 2011 Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt.