Die Globalisierung der Wirtschaft hat auch den Faktor Luftfracht wachsen lassen. In den vergangenen Jahren ist dabei die Sicherheitsfrage in den Vordergrund gerückt – ein komplexes Thema, das widerstreitende Interessen in Einklang zu bringen hat.
Die Luftfracht besitzt für Deutschlands Industrie einen hohen Stellenwert. So betrug der Export per Luftfracht von Deutschland nach Übersee im Zeitraum von 2007 bis 2012 zwar nur zwei Prozent an der Warenmenge, jedoch 30 Prozent gemessen am Warenwert. Pro Tonne, die im Außenhandel transportiert wird, übersteigt der Wert in der Luftfracht andere Verkehrsträger um ein Vielfaches. Für die Verkehrsträger Schiene, See und Straße liegen die durchschnittlichen Warenwerte zwischen 1.000 und 3.000 Euro pro Tonne, während sie in der Luftfracht im arithmetischen Mittel über 70.000 Euro pro Tonne betragen.1
Eine Umfrage des Ifo-Instituts zeigt, dass branchenübergreifend für über 56 Prozent der Unternehmen der Luftverkehr wichtig oder sogar sehr wichtig ist. In einigen Industrien, wie dem Maschinenbau (90 %), dem Kraftfahrzeugbau (80 %) oder der chemischen Industrie (79 %), ist der Luftverkehr von noch entscheidenderer Bedeutung. Dabei wird von einigen Akteuren wie unter anderem Airbus eine durchschnittliche Wachstumsrate des Frachtaufkommens von 4,9 % p.a. angenommen2. Auch für den deutschen Arbeitsmarkt ist der Luftverkehr von einem hohen Stellenwert. Nach Schätzungen des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft existieren in Deutschland 324.500 Arbeitsplätze, die unmittelbar mit dem Luftverkehr zusammenhängen, 352.700 indirekt abhängige Arbeitsplätze und weitere 145.900 durch den Luftverkehr induzierte Arbeitsplätze1. Die gesamte Beschäftigungswirkung des Luftverkehrs in Deutschland lässt sich demzufolge auf 823.100 Arbeitsplätze beziffern. Insbesondere in sicherheitsrelevanten Bereichen wurden aufgrund steigender Sicherheitsanforderungen neue Arbeitsplätze geschaffen.
Steigende nationale und internationale Anforderungen an die Sicherheit verursachen enorme Kostensteigerungen in der Luftfracht sowie im gesamten Luftverkehr und beeinträchtigen den Wirtschaftssektor. Vor den Anschlägen am 11. September 2001 betrug der Anteil der Kosten für die Sicherheitsmaßnahmen an Flughäfen zwischen fünf und acht Prozent. Heute liegt der Anteil dieser Kosten über 25 Prozent der Gesamtkosten an Flughäfen3.
Maßnahmen zu Erhöhung der Sicherheit im Wachstumsmarkt Luftfracht dürfen angesichts der eingangs aufgezeigten Bedeutung für die gesamte Wirtschaft in keinem Fall zu Lasten der Effizienz vorgenommen werden. Vielmehr sind Maßnahmen zu ergreifen, die sowohl die Sicherheit als auch die Effizienz der Luftfracht erhöhen. Hierbei ist stets die gesamte Luftfracht-Transportkette zu betrachten; erhöhte Sicherheitsmaßnahmen für Teile von Transportketten führen nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Sicherheit der gesamten Transportkette, wenn in anderen Teilen ein niedrigeres Sicherheitsniveau vorherrscht. Bei der Entwicklung neuer Maßnahmen sind besonders gefährdete Bereiche und Schutzlücken der Lieferketten zu berücksichtigen, doch dürfen auch die übrigen Teile nicht vernachlässigt werden. Desweiteren kann die übermäßige Fokussierung auf ein einzelnes Risiko, z.B. aufgrund politischen Aktionismus, die Unsicherheit und Risikodisposition einer Lieferkette durch eine Fehlallokation von knappen Ressourcen sogar erhöhen. Dieser Zusammenhang wurde beispielsweise bei maritimen Transporten deutlich aufgezeigt. Eine Studie des GAO zum 100 prozentigen Scannen aller Container beim Import in die USA stellt fest, dass eine übermäßige Konzentration auf das Scannen aller Container und die damit einhergehende Bindung von Ressourcen die Sicherheitsrisiken an anderen Stellen maritimer Lieferketten erhöhen können4. Analoge Zusammenhänge sind auch in der Luftfracht gegeben. Erkenntnisse von anderen Verkehrsträgern sollten in der Luftfracht Beachtung finden. Regularien sind somit derart zu gestaltet, dass sie zu einem optimalen und homogenen Sicherheitsniveau entlang der gesamten Lieferkette sowie national und international führen.
Sicherheitsrelevante Vorfälle in der Luftfracht sowie im übrigen Luftverkehr (z.B. Flugzeugentführung oder Paketbomben) führten in der Vergangenheit zu einer Vielzahl an Regularien. Der Luftverkehr ist daher seit vielen Jahren sehr stark von Regularien geprägt, die aufgrund öffentlichen Drucks innerhalb kurzer Zeit ohne eine ganzheitliche Betrachtung entstanden sind. Die Verordnung (EU) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt wurde in der Folge der Ereignisse des 11. Septembers 2001 verabschiedet. In Deutschland sind die Maßnahmen zur Luftsicherheit seit dem 15. Januar 2005 im Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) geregelt. Auf terroristische Aktivitäten wie (versuchte) Anschläge wurde von politischer Seite mit immer neuen Regularien und Gesetzen geantwortet. Die Verordnungen werden laufend aktualisiert und erweitert, um aktuelle Vorkommnisse und daraus resultierende veränderte Gefahrenbewertung sowie den aktuellen Stand der Technik zu berücksichtigen. Die tatsächliche Praxistauglichkeit wird hierdurch jedoch nicht sichergestellt, sodass die beteiligten Akteure mit einer Vielzahl an nicht immer widerspruchsfreien Regularien konfrontiert werden. Spannungsfelder stellen z.B. der Datenschutz und die Speicherung sicherheitsrelevanter Daten dar sowie Widersprüche bzw. nicht eindeutige Abgrenzung zwischen europäischen und nationalen Regularien. Die Kompetenzen und Aufgaben verschiedener Ministerien hinsichtlich Sicherheit im Luftverkehr erhöhen in Deutschland zudem die Komplexität für die beteiligten Akteure. Verglichen zu anderen Verkehrsträgern ist die Luftfracht ohnehin stark durch Regularien und aufwendige Prozesse geprägt.
Luftfracht wird häufig nicht in reinen Frachtmaschinen, sondern auch zusammen mit Passagieren als sogenannten Belly-Freigt im Unterflurbereich von Passagierflugzeugen befördert. Weltweit wird Luftfracht ca. zu gleichen Teilen als Belly-Freight und Nur-Fracht transportiert5. Die Sicherheitsanforderungen an Belly-Freight übersteigen die bereits hohen Anforderungen an die Fracht in reinen Transportflugzeugen aufgrund der vermuteten höheren Attraktivität für terroristische Anschläge, wodurch es zu ungleichen Sicherheitsanforderungen und -niveaus innerhalb der Luftfracht kommt. Hier stellt sich einerseits die Frage der Sinnhaftigkeit und wird andererseits die Komplexität für die beteiligten Akteure aufgrund abweichender Prozesse, Anforderungen etc. erhöht.
Die Anpassungsfähigkeit der Terroristen und anderer Krimineller an jede Form von Sicherheitsmaßnahmen erschwert die Erhöhung sowie Aufrechterhaltung des Sicherheitsniveaus und erfordert eine permanente Evolution der Sicherheitsmaßnahmen. Bei konstanter Weiterentwicklung der Sicherheitsmaßnahmen muss gleichzeitig die Praktikabilität, Wirtschaftlichkeit und Homogenität der Sicherheitsmaßnahmen bzw. -niveaus regional, national und international gewährleistet werden. Übermäßig erhöhte Kosten, Wettbewerbsverzerrungen oder gar Handelsbarrieren dürfen national wie international nicht auftreten. Nationale Umsetzungen vonEU-Verordnungen (z.B. hinsichtlich Technologieeinsatz oder Schulungen) in den 27 Mitgliedsstaaten führen aktuell zu uneinheitlichen Sicherheitsanforderungen und somit Wettbewerbsnachteilen z.B. in Deutschland gegenüber anderen Standorten innerhalb der EU, da Waren von Nachbarländern unter Umständen schneller und kostengünstiger verschickt werden können. Deutsche Versender prüfen dies und verlagern teilweise ihren Versand in angrenzende EU-Staaten wie zum Beispiel die Niederlande. Sicherheitsrelevante Schulungen, die innerhalb der EU wechselseitig anerkannt werden, unterscheiden sich zwischen EU-Staaten teilweise erheblich hinsichtlich Anforderungen und Umfang. Höhere Anforderung in einzelnen Ländern führen dabei keinesfalls zu einem höheren internationalen Sicherheitsniveau, da Luftfracht grenzüberschreitend transportiert wird, sondern erhöhen lediglich Kosten und zeigen die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes. Innerhalb der EU werden ebenfalls Sicherheitsstatus von Fracht aus Mitgliedsstaaten anerkannt, obwohl die sich Auslegungen der Verordnungen unterscheiden können. Der Zugewinn an Sicherheit durch höhere Auflagen einzelner Staaten an die Sicherheitskontrollen ist somit äußerst fraglich. Das Projekt „Sichere Luftfracht-Transportkette: Konzepte, Strategien und Technologien für sichere und effiziente Luftfracht-Transportketten“ (SiLuFra) unter Leitung der TU Hamburg-Harburg sowie Einbindung aller relevanten Akteure (Behörden, Luftfahrtunternehmen, Logistiker, Versender etc.) nimmt sich dieser Herausforderung an und hat sich die gleichzeitige Erschließung von Sicherheits- und Effizienzpotentialen für ein Teilgebiet des Luftverkehrs zur Aufgabe gemacht. Sicherheitsmaßnahmen werden derart gestaltet und in die übrigen Prozesse integriert, dass eine flexible Ausbaufähigkeit und Veränderung der Sicherungsmaßnahmen sichergestellt werden. Um sich auf die weiter steigenden gesellschaftlichen und regulatorischen Sicherheitsansprüche vorzubereiten und um weiterhin effizient und wettbewerbsfähig agieren zu können, ist ein proaktives Handeln aller Akteure der Luftfracht-Transportkette anzustreben. Neue Vorfälle oder Regularien sollen nicht die vordringliche Motivation für Entwicklungen bezogen auf die Luftfrachtsicherheit sein. Dieses Engagement sollte verantwortungsvoll von politischen Entscheidungsträger und Behörden mit den Bedürfnissen der Branche begleitet werden.
Der Autor hat an der Universität Duisburg studiert und promoviert. Nach Tätigkeiten in der Industrie im Bereich der Satelittenkommunikation hat Dr. Blecker sich in Klagenfurt habilitiert. Seit 2004 ist er Professor für Logistik und Unternehmensführung an der TU Hamburg-Harburg.
Der Autor hat in Hamburg Wirtschaftsingenieurwesen studiert und ist seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TUHH. Zu seinen Forschungsthemen zählen unter anderem Supply Chain Security, Supply Chain Risk, Luftfrachtsicherheit, Maritime Sicherheit.