Wachstum ist für den deutschen Mittelstand Verpflichtung und Herausforderung zugleich. Eine Verpflichtung, weil die Exportstärke des deutschen Mittelstands eine wesentliche Voraussetzung für seinen anhaltenden ökonomischen Erfolg darstellt. Eine Herausforderung, weil sich die Marktsituation verändert.
Noch beurteilt die Mehrzahl der heimischen Unternehmen die Geschäftslage als stabil und ist entsprechend zuversichtlich. Doch es gibt gewichtige Herausforderungen, die auf Unternehmen zukommen. Vereinfacht lassen sie sich in zwei Kategorien unterteilen – eine hat eine nationale, die andere eine internationale Dimension. Beide eint, dass sie sich als wachstumshemmend auswirken können, wenn die Unternehmen nicht angemessen auf sie reagieren.
Die nationale Herausforderung lässt sich mit der demografischen Entwicklung der deutschen Bevölkerung erklären und erfordert die Erledigung einiger „Hausaufgaben“. In einer alternden Gesellschaft verändern sich die Anforderungen an Produkte, Design, Service und Kundenbetreuung. Auf diese Kundenbedürfnisse müssen sich die Unternehmen einstellen. Wer wachsen will, muss zudem auf seinem Heimatmarkt die anfallenden „Hausaufgaben“ erledigen. Studien zufolge planen viele Unternehmen des deutschen Mittelstands in den kommenden Monaten erhebliche Investitionen, vor allem in die Qualität der Maschinen für eine effizientere Produktion und in die Modernisierung der IT-Systeme.
Die internationale Herausforderung ist mindestens ebenso groß und wird von Monat zu Monat größer: Sie ergibt sich aus der Wirtschaftslage der Eurozone. Zwar hat die Widerstandsfähigkeit des Mittelstands gegenüber konjunkturellen Schwankungen zugenommen, weil viele Unternehmen ihre Kosten gesenkt und die Eigenkapitalbasis verbessert haben. Doch das reicht nicht aus. Das Zentrum des deutschen Mittelstands liegt seit jeher in Europa. Die Schuldenkrise hat aber die Planungssicherheit der Betriebe nachhaltig gestört. Die Unternehmen werden daher beinahe dazu getrieben, sich noch stärker auf Märkte außerhalb Europas zu fokussieren – hier erscheint das wirtschaftliche Potenzial zumindest kurzfristig weit größer als in Europa selbst.
Zwar fließen noch immer gut 40 Prozent der deutschen Exporte in die Euro-Zone und weitere 20 Prozent in die übrigen EU-Länder. Doch im Zuge der Globalisierung expandieren mittelständische Unternehmen zunehmend in Märkte außerhalb Europas. Mehr als jeder dritte Export-orientierte Mittelständler setzt einer jüngsten Befragung zufolge auf die Expansion in internationale Wachstumsmärkte.
Das größte Wachstumspotenzial liegt in den Schwellenländern. China und Südostasien ebenso wie Indien, Brasilien und Russland gelten als dynamische Märkte. Aber auch die USA werden zunehmend wichtiger als Absatzmarkt von Unternehmen. Nur wer in diesen Regionen präsent ist, kann sich erfolgreich in dem erwarteten Verdrängungswettbewerb in der Heimat durchsetzen.
Das Potenzial jedoch, sich über den Kontinent hinauszubewegen, muss angemessen finanziert sein. An dieser Stelle kommt die Bankenbranche ins Spiel. Mittelständische Unternehmen benötigen starke Finanzpartner an ihrer Seite. Und zwar solche, die auf Augenhöhe kommunizieren, ihre Bedürfnisse kennen und praxisorientierte Lösungen bieten. Erst recht, wenn die Unternehmen noch weiter außerhalb ihres Heimatmarkts aktiv sind als bisher. Banken mit ihrem internationalen Netzwerk müssen daher den Unternehmen relevantes Know-how zur Verfügung stellen. Die Expertise der Finanzinstitute in den neuen Märkten vor Ort gepaart mit einer lokalen Präsenz in der Fläche – davon kann ein in Europa verwurzelter deutscher Mittelstand auf neuen Wegen profitieren.
Auch weil die Komplexität in der globalisierten Welt noch einmal deutlich gestiegen ist. Der Finanzverantwortliche eines mittelständischen Unternehmens ist heute mit zahlreichen unterschiedlichen länderspezifischen Anforderungen konfrontiert – ob es um die Optimierung von Liquidität, den Aufbau kosteneffizienter Strukturen oder die Einführung einer neuen Produktlinie geht. Zudem erschweren unterschiedliche regulatorische Anforderungen die Umsetzung vieler Projekte. Nur eine lokal ansässige Bank eines internationalen Netzwerkes kann eine komplizierte Transaktion vor Ort entsprechend steuern. Eine Expansion in neue Märkte kann nicht nur zentral von Deutschland aus finanziert werden. An vielen Punkten sind international orientierte Banken gefragt, die lokale Märkte kennen und passende Lösungen für den individuellen Bedarf des Unternehmens entwickeln können.Auch das Management von Risiken rückt angesichts der weiteren Internationalisierung verstärkt in den Fokus deutscher Mittelständler. Sie wollen mit einem professionellen Risikomanagement den Fortbestand des Unternehmens sichern. Deshalb sind die Unternehmen auf intelligente Finanz-Lösungen angewiesen, mit denen sie sich gegen Zins- und Währungsrisiken absichern. Gerade in den Emerging Markets sind die Transaktionskosten bei Währungsgeschäften deutlich höher als in den „vertrauten Märkten“ wie beispielsweise in UK oder der Schweiz. Diese Kosten und das Risiko gilt es sinnvoll abzusichern.
Die Konsequenz aus beiden Herausforderungen, der nationalen wie der internationalen, ist allerdings die gleiche: Der Finanzierungsbedarf der Unternehmen wächst. Der Ratingagentur Standard & Poor’s zufolge müssen europäische Mittelständler bis zum Jahr 2018 etwa 3,5 Billionen Euro frisches Kapital aufnehmen. Entgegen den landläufigen und im Umfeld der Krise entstandenen Vorurteilen ist der Bankkredit dabei kein Auslaufmodell. 90 Prozent ihres Fremdkapitals finanzieren deutsche Mittelständler immer noch über Bankkredite.
Wenn heute also viele Banken in scheinbarer Einmütigkeit Mittelstandsoffensiven starten, ist dies mitnichten die verzweifelte Suche einer Branche nach neuen Ertragsquellen. Es sind vielmehr essenzielle Initiativen, um den Mittelstand angemessen zu versorgen. Für die Finanzierung des Wachstums braucht der Mittelstand geeignete Partner und stellt zu Recht hohe Ansprüche an die Finanzinstitute. Gleichzeitig befürchten die Unternehmen aber aufgrund der strengeren Regeln für Banken (etwa die unter Basel III bekannten Eigenkapitalanforderungen), dass sie in Zukunft für frische Kredite eher mehr bezahlen müssen.
Die Banken müssen daher noch stärker auf die gestiegenen Anforderungen reagieren und Angebote aus einer Hand bieten. Ein weltweites Netzwerk mit lokaler Expertise, ein professionelles und individuelles Management von Währungs- und anderen Risiken sowie neue Finanzierungsmöglichkeiten neben dem Bankkredit. Mit dieser Beratungsleistung der Banken erhält der Mittelstand den notwendigen „Kraftstoff“, um weiterhin die Lokomotive der deutschen Wirtschaft zu bleiben und gleichzeitig auf der Weltbühne angemessen vertreten zu sein.
Der Autor wurde 1963 geboren und hat in Köln Betriebswirtschaftslehre studiert. 2011 stieg er nach verschiedenen Positionen in New York, Frankfurt und London bei der BNP Paribas S.A. ein. Er ist CEO Corporate and Investment Banking Germany und seit 2013 Mitglied des Vorstands von BNP Paribas Germany.