Tunesien steht vor vielen Herausforderungen. Neben politischer Stabilität muss das Land für nachhaltiges Wirtschaftswachstum sorgen und die Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Akademikern, senken. Ein wichtiger Schritt dabei ist, die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu steigern. Sie machen 95 Prozent der Betriebe in Tunesien aus. Gerade sie müssen angesichts der angestrebten Marktöffnung, insbesondere gegenüber der Europäischen Union, konkurrenzfähig bleiben.
Die Förderung von Innovationen und Existenzgründungen spielt hierbei eine wichtige Rolle. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt deshalb die tunesische Regierung im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) dabei, ein maßgeschneidertes Förderangebot für KMU und Existenzgründer aufzubauen. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Verbesserung des Angebots an Beratungsdienstleistungen für KMU im Bereich Innovation.
Erfolgsfaktor Innovation. Zum Thema Innovationsmanagement hat die GIZ tunesische Unternehmensberater intensiv weitergebildet. Die wiederum haben im Rahmen eines Pilotprojektes 80 kleine und mittlere Unternehmen beraten. Diese praktische Beratung zum Innovationsmanagement hatte auf beiden Seiten positive Auswirkungen.
Auf der einen Seite können die Unternehmen Innovationsprojekte inzwischen besser managen und bei der Einführung neuer Produkte besser mit den damit verbundenen Risiken umgehen. Auf der anderen Seite bieten 90 Prozent der beteiligten Unternehmensberater den tunesischen KMU nun Innovationsberatung als festen Bestandteil ihres Beratungsangebots an. Mehr noch: Sie gründeten das erste Beraternetzwerk zu Innovation und Nachhaltiger Entwicklung in Tunesien, um gemeinsam den Unternehmen die Bedeutung von Innovation zu vermitteln und ihnen zur Seite zu stehen.
Mit dem Durchbruch des Themas Innovation bei Unternehmen und Unternehmensberatern gelang auch der Durchbruch auf politischer Ebene. Als Ergebnis stellt die tunesische Regierung den Unternehmen erstmals Finanzierungsinstrumente und Fördermaßnahmen zur Verfügung. Das Industrieministerium hat zudem eine eigene Abteilung für Innovation und Technologieentwicklung geschaffen.
Um die Innovationskraft tunesischer Unternehmen messbar zu machen, hat die GIZ ein „Innovations-Scoreboard“ mit entwickelt. Heute kann damit auf Ministeriumsebene gemessen werden, wie hoch beispielsweise die Ausgaben der tunesischen Unternehmen für Forschung und Entwicklung sind. Die so gewonnenen Informationen helfen der tunesischen Regierung, eine geeignete Innovationspolitik zu formulieren und deren Umsetzung effektiv zu steuern.
Ein gutes Beispiel für gelungenes Innovationsmanagement ist das tunesische Molkereiunternehmen Vitalait. Als Vitalait 1998 gegründet wurde, hatte es gerade einmal 50 Mitarbeiter und produzierte nur Milch in Flaschen und Butter. Heute hat Vitalait 450 Mitarbeiter und mehrere moderne Produktionsanlagen, mit denen es eine Vielzahl von Milch- und Joghurtvarianten herstellt. Der Jahresumsatz beläuft sich auf 12 Millionen Dinar, der Bruttogewinn auf 5,5 Millionen – immerhin rund 2,9 Millionen Euro. Angefangen hat die Diversifizierung bei Vitalait mit einem Pilotprojekt mit der GIZ. Zum Thema Innovation ausgebildete Unternehmensberater entwickelten mit Vitalait die neue Strategie und eröffneten so gemeinsam mit dem Betrieb neue Märkte mit neuen Produkten.
Nachhaltige Unternehmensgründung. Doch nicht nur bei der Verbesserung der Innovationskraft bestehender Unternehmen, sondern auch bei Gründung neuer Unternehmen unterstützt die GIZ in Tunesien tatkräftig. Im Fokus der Beratung bei Unternehmensgründungen stehen immer die lokalen Besonderheiten einer spezifischen Region. Verfügt ein Gebiet über natürliche Ressourcen? Existieren bereits bestimmte Wirtschaftssektoren? Wie sieht die Infrastruktur aus? Mit der Beantwortung dieser Fragen lassen sich kurz- und mittelfristige Marktnischen mit Wachstumspotentialen in verschiedenen Wirtschaftsregionen identifizieren. Um diese Nischen zu fördern und zu entwickeln, vernetzt die GIZ verschiedene Förderinstitutionen miteinander.
In den so geschaffenen Netzwerken arbeiten heute Fachleute zusammen, die beraten, Unternehmensgründungen begleiten und Finanzierungsinstrumente anbieten. Die Beratung orientiert sich an den Bedürfnissen der Unternehmer in spe. Sie umfasst fachliche, technische, betriebswirtschaftliche Komponenten und solche zur finanziellen Förderung. Auch die besonderen Anforderungen von Hochschulabsolventen, rückkehrenden Migranten und Frauen berücksichtigt das Angebot.
Neben der grundsätzlichen Beratung von KMUs leistet die GIZ auch bei der Vernetzung von Wirtschaft und Hochschule Unterstützung. Inzwischen ist das Hochschulministerium, das die Lehrinhalten und -methoden an Universitäten erarbeitet, in die nationale Politik zur Unternehmerbildung und Existenzgründung mit einbezogen. Eines der Ergebnisse dieser Einbeziehung ist, dass künftig – wie in Deutschland üblich – Diplomarbeiten in Betrieben geschrieben werden können. Ein weiteres ist, dass die praktische Beratung bereits bei Studierenden ansetzt. So soll das unternehmerische Potential der Studierenden gefördert werden, indem professionelle Unternehmensberater sie bereits während ihrer Abschlussarbeiten zu einer möglichen Gründung im Anschluss beraten.
Ein anschauliches Beispiel für die erfolgreiche Arbeit mit Studenten ist Aouini Itissar. Die Tunesierin studierte Biotechnologie an der Universität Jendouba in Beja. Sie hatte die Idee, Speiseöl aus Tomatenkernen zu extrahieren. Die fallen als Abfallprodukt in großen Mengen bei der Herstellung von Tomatenmark oder getrockneten Tomaten an. Itissar entwickelte in ihrer Bachelorarbeit zusammen mit dem Unternehmen Sicam eine Methode, das Öl der Kerne zu nutzen. Kurz entschlossen nahm die junge Frau am Wettbewerb der besten Geschäftsidee teil, den ihre Uni gemeinsam mit der GIZ ausrichtet – und gewann den ersten Preis.
Ihr Studium hat sie inzwischen abgeschlossen und auch gleich beim nationalen Wettbewerb des besten Geschäftsplans teilgenommen. Den richten das Industrie-, Hochschul- und Arbeitsministerium aus, unterstützt von der GIZ. Hier erlangte sie den dritten Platz. Ihre Methode zur Gewinnung des Speiseöls hat sie inzwischen patentieren lassen. Momentan sucht sie nach Partnern, die sich für ihre Geschäftsidee interessieren und mit eigenem Kapital in ein gemeinsames Geschäft einsteigen. Bei der Identifizierung seriöser Partner und der Erarbeitung eines finanzierungsfähigen Geschäftsplans stehen ihr die Experten der GIZ, die hier im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) tätig sind, tatkräftig zur Seite.
Die Volljuristin wurde 1969 in Sigmaringen geboren und war von 2005 bis 2011 Umweltministerin des Landes Baden-Württemberg. Seit Juli 2012 ist sie Sprecherin des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH.