Kleines Land, große Ambitionen. Zu Beginn wurde biologische Landwirtschaft in Tunesien nur vereinzelt betrieben. Es gab einige wenige Privatinitiativen, die in den achtziger und Anfang der neunziger Jahre Vorreiter waren. Vorangetrieben wurde sie im Jahre 1997, als eine nationale Strategie von der Regierung forciert wurde. Im gleichen Jahr nahm das Land zum ersten Mal an der internationalen Messe BIOFACH teil. Ab 1999 wurden rechtliche Rahmenbedingungen festgelegt, die seitdem durch mehrere Gesetzesausfertigungen und Verordnungen aktualisiert wurden, um somit dem Bedürfnis der Branche nach Struktur und Unterstützung gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang wurden in Tunesien spezielle Einrichtungen geschaffen, wie das technische Zentrum für biologische Landwirtschaft „Technical Centre of Organic Agriculture“ (CTAB) im Jahre 1999 und zuletzt die Generaldirektion für biologische Landwirtschaft „General Direction of Organic Agriculture“. Ziel von CTAB ist es, den tunesischen Landwirten die biologische Landwirtschaft näherzubringen. Die weiteren Aufgaben umfassen die Koordination der angewandten Forschung und Wissensvermittlung an die Landwirte anhand von Schulungen, Veranstaltungen und Veröffentlichungen. Das nationale Programm für den biologischen Landbau hat sich unter anderem die Erweiterung der ökologischen Anbauflächen auf 500.000 Hektar und die Erreichung eines örtlichen Bio-Verbrauchs von einem Prozent bis 2014 zum Ziel gesetzt. Zu diesem Zweck werden Maßnahmen zur Sensibilisierung der Bevölkerung für eine gesündere Ernährung und Konsumgewohnheiten ergriffen, wie beispielsweise die biologische Woche oder die jährliche Ausstellung Bio Expo, welche dieses Jahr vom 9. bis 11. Mai stattfindet.
Die Motivation dieser Maßnahmen ist die Förderung von Investitionen in die moderne biologische Landwirtschaft: Neben den üblichen Steuervergünstigungen werden ökologische Erzeugnisse beispielsweise bis zu 30 Prozent subventioniert. Darüber hinaus werden den Bio-Landwirten unter bestimmten Bedingungen über fünf Jahre hinweg jährliche Prämien gewährt, mit denen sie rund 70 Prozent der Zertifizierungskosten decken können. Die akkreditierten Zertifizierungsstellen in Tunesien sind: ECOCERT, IMC, BCS, LACON, ICEA, SUOLO ET SALUTE und INNORPI. Die staatlichen Bemühungen scheinen sich zu lohnen: Laut dem Amt für Landwirtschaftsförderung „Agricultural Investments Promotion Agency“ (APIA) erreichten die Ausgaben für die biologische Landwirtschaft im Jahr 2012 rund 7,59 Millionen Euro und damit über 52 Prozent aller registrierten landwirtschaftlichen Investitionen. Die biologische Landwirtschaft in Tunesien bietet eine attraktive Plattform für ausländische Investoren und treibt Partnerschaften zwischen tunesischen Landwirten und ausländischen Investoren voran. So haben beispielsweise italienische und französische Betreiber große Mengen an Kapital in den ökologischen Landbau in verschiedenen und manchmal abgelegenen Gebieten des Landes investiert. Zuständige Behörden prüfen derzeit ein neues deutsch-tunesisches Joint-Venture mit einem geschätzten Wert von drei Millionen Euro. Vorgesehene Aktivitäten umfassen biologischen Gemüseanbau, biologische Aufzucht, biologischen Oliven-, Getreide- und Zitrusanbau sowie eine Öko-Lodge.
Auf der Seite der Privatbetreiber rief der tunesische Bauern- und Fischereiverband „Tunisian Farmers’ and Fishermen’s Union“ (UTAP) schon im Jahr 1999 den Nationalen Verband für ökologische Landwirtschaft „National Federation of Organic Agriculture“ (FNAB) ins Leben. Damit sollten die speziellen Interessen der Bio-Produzenten repräsentiert und die Verbreitung des biologischen Anbaus unter den Landwirten unterstützt werden. Im Zuge dessen wurden beispielsweise Schulungen speziell für gering verdienende Bio-Landwirtinnen konzipiert.
Warum sind tunesische Produzenten so an Bio-Landwirtschaft interessiert? Zum einen bieten die natürlichen Gegebenheiten einen Wettbewerbsvorteil: Im Vergleich zu anderen Ländern mit intensiver Bodennutzung ist der tunesische Boden nur wenig bis gar nicht verschmutzt. Zum anderen leisten Tunesiens geothermische Wasserressourcen einen wertvollen Beitrag zum biologischen Landbau, da sie einen besseren Geschmack der Produkte begünstigen und somit auch ein Zugang zu attraktiven Nischen geboten wird. Darüber hinaus verfolgen die tunesischen Landwirte sehr aufmerksam die Erwartungen des Marktes und sind davon überzeugt, dass die Nachfrage nach Bio-Produkten ein Megatrend ist.
Born to bi-o-live! Abgesehen von einer Krise im Jahr 2009 verzeichneten die tunesischen Bio-Exporte in den vergangenen Jahren ein stetiges Wachstum und verdoppelten sich zwischen 2006 und 2012 mit einem Wert von 40,5 Millionen Euro im Jahr 2012 nahezu (statistische Daten der DGAB). Wie vermutlich erwartet, sind die zwei wichtigsten tunesischen Exportprodukte Bio-Olivenöl nativ extra und Bio-Datteln. 2012 machten Olivenprodukte einen Anteil von 76 Prozent der Exporte aus (siehe Grafik unten). Tunesien ist der weltweit drittgrößte Hersteller von Bio-Olivenöl: 115.000 Hektar der Olivenhaine besitzen eine Bio-Zertifizierung und die Hälfte der Ernte wird in rund 50 Länder exportiert. Die Hauptabnehmer sind Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Einige der tunesischen Bio-Olivenöle erhielten sogar Auszeichnungen für ihren Geschmack und ihre Qualität. Ein tunesischer Anbieter erläutert: „Es geht nicht nur darum, dass ein bestimmtes Unternehmen einen Wettbewerb gewinnt. Vielmehr geht es um die Anerkennung des Ursprungs und der Qualität des tunesischen Bio-Öls im Allgemeinen, da die Mehrheit der tunesischen Öle immer noch in Behältern verkauft und durch den Importeur zusammen mit anderen Ölen, einschließlich seines eigenen Öls, abgefüllt wird.“ In diesem Zusammenhang verwaltet das „Packaging Technical Centre“ (PACKTEC) das landesweite Förderungsprogramm für tunesisches Olivenöl (Promotion Programme for Tunisian Olive Oil) und fördert die Anerkennung des „grünen Goldes“ aus Tunesien – vorrangig biologisch, in Flaschen und mit Etikett versehen.
Tatsächlich ermöglichte die Kategorisierung des tunesischen Bio-Öls den Exporteuren den Zugang zu neuen, fernen und für das herkömmliche Olivenöl wettbewerbsintensiven Märkten. Mit einer höheren Wertschöpfung ist der Biosektor lukrativ: Laut den befragten Bio-Öl-Exporteuren kann der Verkauf des Bio-Olivenöls, im Vergleich zum herkömmlichen Olivenöl, einen doppelten Bruttogewinn erbringen.
Mit einem Anteil von 20 Prozent des Bio-Exports in 2012 sind tunesische Datteln der Bio-Verkaufsschlager Nummer zwei. Der Anbau befindet sich in dem Oasengebiet Djerid im Südwesten des Landes und wird von fünf Hauptbeteiligten und rund 200 kleinen und mittelständischen Landwirten und Kooperativen betrieben. Ein befragter Großlieferant erklärt, dass der Bruttogewinn der Bio-Datteln um 20 Prozent höher liegt als der von herkömmlichen Datteln. „Wir exportieren jährlich 12.000 Tonnen Datteln, 600 davon sind Bio-Datteln. In Tunesien sind wir der einzige Produzent von BioDatteln mit einer FAIRTRADE-Zertifizierung. Diese Zertifizierung ermöglicht beispielsweise, dass wir 10 Cent pro verkauftes Kilogramm zurücklegen; das nennen wir unser „Fairtrade-Kapital“. Zum Ende des Jahres wird dieses Kapital proportional an unsere 30 bis 40 kleinen Lieferanten verteilt. Zudem setzen Produzenten in der Regel ihre Preise für Bio-Datteln 15 Prozent höher als für herkömmliche Datteln an“, erklärt er.


Auch andere Bio-Produkte wie Kaktusfeigen, Aloe, Granatäpfel, Tomaten, Melonen, Gurken, Würzkräuter, ätherische Öle oder Getreide verzeichnen einen guten Umsatz. Die tunesische Halbblutorange „Maltaise“ und der Granatapfel aus Gabès sind auf den neuen Märkten ganz besonders gefragt. Laut einem führenden tunesischen Anbieter wächst der Markt für Produkte aus Kaktusfeigen, wie Extraktöle und Kosmetik, jährlich um 15 Prozent. „Einige meiner Produkte erzeugen einen fünffachen Mehrwert im Vergleich zu den herkömmlichen Kaktusfeigen“, fügt er hinzu. Andere Neuzugänge in der Bio-Produktion umfassen Honig, Hühner und Schafe.
In Tunesien hat die biologische Landwirtschaft eine Hebelwirkung auf den gesamten landwirtschaftlichen Sektor. Diese kommt den beteiligten Interessengruppen zugute und bringt Mehrwert und Stabilität für Produzenten und Arbeiter. Zudem gibt sie Anstoß für Forschung und Innovation, beispielsweise hinsichtlich des Produktsortiments sowie Düngungs- und Bewässerungsmethoden. Die positive Auswirkung auf die Umwelt ermöglicht Tunesien, den Weg zur Nachhaltigkeit im Interesse der zukünftigen Generationen – der vorrangigen Interessengruppe – einzuschlagen.
In dieser engen Kooperation mit allen relevanten Institutionen unterstützt und berät die Deutsch-Tunesische Industrie- und Handelskammer (AHK Tunesien) die tunesischen Bio-Produzenten bei ihren Exportaktivitäten nach Deutschland, beispielsweise durch gezielte Marketing- und PR-Aktivitäten sowie durch Unterstützung bei speziellen internationalen Messen wie Anuga Organic oder BIOFACH. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an die Bereichsleiterin für Nahrungsmittel Frau Souad Maknine Mami.
Die Autorin wurde 1978 geboren. Souad Mami absolvierte einen Research Master in Tourismuswirtschaft und nachhaltige Entwicklung sowie einen Master in Hotel- und Tourismusmanagement. Seit 2012 ist sie Bereichsleiterin im Kompetenzfeld Nahrungsmittelindustrie bei der Deutsch-Tunesischen Industrie- und Handelskammer (AHK Tunesien).