Millionenmetropolen mit hoher demografischer Dynamik sind unter anderem mit den Herausforderungen der Ver- und Entsorgungswirtschaft konfrontiert, die noch dazu die hohen deutschen Standards in Fragen des Umweltschutzes bewältigen müssen. Davon betroffen ist auch die Hauptstadtregion, wie der Beitrag des BDE-Präsidenten Peter Kurth zeigt.
Kreislaufwirtschaft zwischen Ballungszentrum und ländlichem Raum. Urbanisierung und demografischer Wandel – zwei globale Megatrends, deren Auswirkungen auch Berlin spürt. Immer mehr Menschen verlassen aus unterschiedlichen Gründen ländliche Gebiete und siedeln sich in Städten an. So wohnen aktuell mehr als 3,5 Millionen Menschen in Berlin, bis zum Jahr 2030 prognostiziert die Berliner Senatsverwaltung rund 3,75 Millionen Einwohner. Gleichzeitig soll der Altersdurchschnitt von derzeit 42,3 Jahren auf 44,2 Jahre steigen. In Brandenburg hingegen – jenseits des Speckgürtels um Berlin – wird die Bevölkerungsanzahl um über 250.000 auf 2,25 Millionen Einwohner im Jahr 2030 fallen. Die Metropolregion Berlin-Brandenburg steht deshalb wie kaum eine andere Region vor der Herausforderung, ihre Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen den neuen demografischen Verhältnissen anzupassen. Eine Herausforderung, der sich die Unternehmer der Kreislaufwirtschaft mit innovativen Konzepten entgegenstellen. Die Folgen des Bevölkerungsanstieges und einer älter werdenden Gesellschaft in Berlin sind Treiber, neue Lösungen für die Sammlung und Verwertung von Abfällen zu entwickeln.
Kreislaufwirtschaft vereint heute Ökologie und Ökonomie. Die Städtereiniger und Müllkutscher von einst sind heute moderne Kreislaufwirtschaftsunternehmen. Müll wird von ihnen längst als Wertstoff begriffen. Als Umweltdienstleister sind sie Teil der Green Economy. Dank moderner Verfahren und ingenieurtechnischen Know-hows gewinnen die Entsorgungsunternehmen aus Abfällen Sekundärrohstoffe. Heute ist bereits jede siebte Tonne eines eingesetzten Rohstoffs in Deutschland aus dem Recycling hervorgegangen. Abfälle, aber auch speziell aufbereitete Ersatzbrennstoffe dienen der Erzeugung von Wärme und Strom, Primärenergieträger wie Kohle und Gas werden eingespart. Vom Weltkonzern Siemens über die BSR, den größten kommunalen Entsorger Deutschlands, zum international operierenden Recyclingspezialisten ALBA oder den GreenTec Awards, Europas größtem Umwelttechnologiepreis: Am Wirtschaftsstandort Berlin sind über 75.000 Beschäftigte und mehr als 6.000 Unternehmen Teil der Green Economy, allein in der Abfallwirtschaft sind über 300 Unternehmen tätig.
So verarbeitet die ALBA Group in Berlin-Mahlsdorf knapp 140.000 Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr. Mit optischer Elektronik und Nahinfrarotkameras ausgestattet, trennt die Sortieranlage den Kunststoffabfall von fünf Millionen Einwohnern der Metropolregion Berlin-Brandenburg in zwölf Fraktionen. Die Wertstoff-Union Berlin sortiert und verpresst jährlich etwa 120.000 Tonnen Altpapier. Als Sekundärrohstoff hat Altpapier heute bereits einen Anteil von 70 Prozent an der Papierproduktion, so auch in den Brandenburger Papierfabriken von UPM, Leipa oder Hamburger Rieger. Die Unternehmen bilden nur einen Bruchteil der verarbeitenden Unternehmen ab, die hochwertige Sekundärrohstoffe herstellen und der Industrie zur Verfügung stellen. Neben dem Abfall, der zu Sekundärrohstoffen aufbereitet wird, werden bei der thermischen Verwertung des Berliner Restmülls durch die BSR auch Strom und Wärme für 61.000 Haushalte gewonnen. Zusammen mit ALBA betreibt die BSR zwei MPS-Anlagen (Mechanisch-Physikalische Stabilisierung) in Berlin und stellt den leistungsfähigen und klimafreundlichen Ersatzbrennstoff „Grüne Kohle“ her.
Partner für städtebauliche Herausforderungen. Die Kreislaufwirtschaft steht in urbanen Räumen wegen des höheren Abfallaufkommens der städtischen Bevölkerung vor logistischen Herausforderungen in der Entsorgung. Technische Lösungen wie Unterflursysteme oder unterirdische Entsorgung weisen den Weg auf die Herausforderungen von morgen. Neue Wege in der horizontalen und vertikalen Entsorgung müssen beschritten werden, wenn die Bevölkerung altert oder Städte aufgrund des begrenzten Raumes in die Höhe wachsen.
Das Daimler-Areal am Potsdamer Platz zeigt, wie neu errichtete Wohn- und Gewerbegebiete zukünftig verlässlich versorgt und der Abfall entsorgt werden kann. Unterirdisch werden jedes Jahr rund 3.000 Tonnen Gewerbeabfall gesammelt und mittels Lkw zu den Recyclinganlagen der ALBA Group abtransportiert. In bereits erschlossenen Wohngebieten wie in Berlin-Hohenschönhausen können moderne Unterflursysteme auf geringem Raum größere Mengen Abfall aufnehmen. Dadurch wird zusätzlicher Platz frei, auf dem Grünflächen, Spiel- oder Parkplätze geschaffen werden können.
In der Logistik prägen moderne Fahrzeuge mit Elektro- oder Gasantrieb das Stadtbild. Die CO2-freie Stadtlogistik sowie eine geräuscharme Abwicklung der Ver- und Entsorgung im Mehrschichtbetrieb erhöhen die Lebensqualität in Berlin spürbar. Als Stadt mit einer florierenden Start-up-Szene profitiert die Berliner Entsorgungsbranche von modernster Technik, die innerhalb dieser Branche entwickelt werden. Informations- und Kommunikationssysteme mit unterschiedlichen Schnittstellen an und in Fahrzeugen, Chiptechnik für die Abfalltonnen und eine computeroptimierte Tourenplanung halten schon heute Einzug in der Abfallentsorgung.
Green Economy – Chancen für Klimaschutz und Wachstum schaffen. Die Dynamik der Green Economy – das deutschlandweite Marktvolumen soll sich von aktuell 350 Milliarden Euro bis ins Jahr 2025 nahezu verdoppeln – entwickelt sich auch dank des Standortes Berlin. Als bedeutende Wissenschaftsregion in Europa etabliert, bietet Berlin an seinen Universitäten und Fachhochschulen zahlreiche umwelt- und nachhaltigkeitsorientierte Studiengänge an. Unternehmen der Green Economy schätzen die langfristigen Planungsmöglichkeiten in Berlin und investieren in Anlagen, Fahrzeuge und qualifiziertes Personal. So können die Unternehmen der Entsorgungs- und Kreislaufwirtschaft den Bürgern der Metropolregion Berlin-Brandenburg einen Komplettservice anbieten, der sich dem Wandel der Stadt und dem Stadtbild anpasst. Zugleich bietet Berlin aber auch die Möglichkeit, Green-Economy-Potenziale in den EU-Nachbarländern wie Polen oder Tschechien zu erschließen, deren Abfallwirtschaft aktuell neu organisiert wird.
Senator a.D. Peter Kurth
Der Autor ist Präsident des BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V. Peter Kurth war Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Finanzen und von 1999 bis 2001 Finanzsenator der Bundeshauptstadt Berlin. Von 2001 bis 2009 gehörte er dem Vorstand der ALBA AG an und ist seit 2009 Geschäftsführender Präsident des BDE und seit 2012 Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).