Mit einem jährlichen Umsatz von rund 233 Milliarden Euro gehört der Deutschlandtourismus zu den „Lokomotiven“ der deutschen Wirtschaft. An den Ausgaben der Tages- und Übernachtungsgäste verdienen nicht nur die Anbieter klassischer touristischer Leistungen wie Hotels und Gastronomie. Von der Querschnittsbranche Tourismus profitieren viele. Insbesondere der Einzelhandel, aber auch regionale Verkehrsträger, Handwerksbetriebe, Taxiunternehmen oder Werbeagenturen: Tourismus „steckt fast überall drin“. Er sichert 2,8 Millionen nicht exportierbare Arbeitsplätze am Standort Deutschland und sorgt als klein- und mittelständisch geprägte Branche für Beschäftigung, auch abseits der urbanen und industriellen Zentren, im ländlichen Raum. Doch die Dienstleistung Tourismus wird in ihrer wirtschaftlichen und strukturpolitischen Wirkung nach wie vor unterschätzt. Gerade als nicht-exportabhängige Branche stellt sie für die deutsche Wirtschaft eine robuste und enorm wichtige Größe dar – mit wachsendem Erfolg. Über 390 Millionen Mal wurde 2011 in deutschen Hotelbetten, in Pensionen und auf Campingplätzen genächtigt. Im Kampf um den Titel „Übernachtungs-Europameister 2011“ liefert sich Deutschland ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Spanien.
Sowohl bei in- als auch bei ausländischen Gästen erfreut sich das Reiseland Deutschland zunehmender Beliebtheit. Deutschlands Stärke liegt jedoch nach wie vor im Binnentourismus. Die Deutschen verreisen am liebsten in der Heimat. Rund 85 Prozent der Übernachtungen gehen jährlich auf die eigene Bevölkerung zurück. Im europäischen Vergleich ist das ein absoluter Spitzenwert und insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Jahren ein klarer Vorteil. Ein starker Binnentourismus wirkt stabilisierend und macht vergleichsweise unabhängig von den ausländischen Quellmärkten. Doch auch bei ausländischen Gästen steht die Destination Deutschland immer höher im Kurs. Ihr Anteil bei den Übernachtungen ist in den letzten Jahren gestiegen. Mit der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2006 haben die Deutschen als Gastgeber sicherlich auch im Ausland verstärkt Sympathiepunkte gesammelt. Darüber hinaus ist Deutschland als Tagungs- und Veranstaltungsort gefragt und liegt als internationaler Meeting- und Tagungsstandort weltweit auf Platz Zwei, gleich hinter den USA.
Vor allem Städte profitieren vom Geschäftsreisemarkt. Auch der Trend zum spontanen Kurztrip oder Tagesausflug wirkt sich positiv für die urbanen Destinationen aus, die mit Bahn, Auto oder Flugzeug problemlos für Gäste aus dem In- und Ausland erreichbar sind. Der privat motivierte Stadtbesuch boomt, die Städtereise ist die häufigste Form der Kurzurlaubsreise.
Insbesondere Großstädte mit über 100.000 Einwohnern erreichen einen Übernachtungszuwachs, der weit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Mit rund 22 Millionen Übernachtungen liegt Berlin an der Spitze, gefolgt von München und Hamburg mit rund zwölf beziehungsweise zehn Millionen Übernachtungen. Die neue Urlaubsformel lautet heute: häufiger, aber kürzer, denn es finden immer mehr Zweit- und Drittreisen pro Jahr statt. Das ist von Vorteil für das Reiseland Deutschland, denn drei Viertel aller Kurzreisen bleiben im Inland. Auch das nach wie vor unterschätzte Mega-Segment der Tagesausflüge und Tagesreisen spielt dem Binnentourismus in die Karten: Fast 94 Milliarden Euro werden hier jährlich umgesetzt.
Deutschlands Erfolg als Reisedestination basiert auf seiner hervorragenden Infrastruktur, dem ausgewogenen Preis-Leistungs-Verhältnis und zielgruppenspezifischen Angeboten für jeden Geldbeutel. Doch das Versprechen auf Erholung und Abschalten vom Alltag, nach wie vor das Hauptreisemotiv der Deutschen, die Sehnsucht nach Natur oder das Bedürfnis, einfach mal entspannt Zeit mit der Familie zu verbringen, wird von einem hart konkurrierenden Markt der Wettbewerber bedient. Deutschland steht gut da und damit das auch in Zukunft so bleibt, setzt sich der Deutsche Tourismusverband e.V. (DTV) dafür ein, dass Urlaub „Made in Germany“ als verlässliches Qualitätsmerkmal gilt. Die Anforderungen sind vielfältig und betreffen „harte“ Faktoren wie beispielsweise die Ausstattung von Ferienwohnungen genauso wie „weiche“ Faktoren im Service. Für beide Bereiche stellt der DTV bundesweit einheitliche Klassifizierungs- und Zertifizierungssysteme zur Verfügung. Seit fast zwei Jahrzehnten zeichnet der Verband Ferienhäuser und -wohnungen sowie Privatzimmer mit den DTV-Sternen aus. Als markantes Symbol für unabhängig geprüfte Qualität weisen sie dem Gast mittlerweile über 63.000 Urlaubsdomizile aus. Vor gut 50 Jahren rief der DTV die Zertifizierung von Touristinformationen ins Leben, die 2006 mit der Einführung der i-Marke in ein modernes Markensystem überführt wurde. Das weiße i auf rotem Grund wurde 2011 zum 500sten Male an eine Touristinformation verliehen.
Die Dienstleistungsbranche Tourismus orientiert sich an den Bedürfnissen ihrer Kunden. Es gilt einen zunehmend „multioptionalen“ Urlauber, für den Destinationen und Urlaubsformen immer austauschbarer werden, zufrieden zu stellen. Exzellenter Service wird da zum Wettbewerbsvorteil und Entscheidungskriterium. Mit der Initiative ServiceQualität Deutschland wurde ein Schulungs- und Zertifizierungsprogramm umgesetzt, das es Dienstleistungsbetrieben ermöglicht, systematisch individuelle Servicelücken zu schließen. Der DTV koordiniert diese Qualitätsinitiative, welcher sich mittlerweile alle 16 deutschen Bundesländer angeschlossen haben.
Mehr denn je gilt, die Trends von heute und morgen zu identifizieren und sich auf Veränderungen einzustellen. Die drängendsten Herausforderungen sind der Demographische Wandel, der Fachkräftemangel und die zunehmende Individualisierung. Unsere Gesellschaft wird immer älter, schon im Jahr 2013 wird knapp die Hälfte der Menschen in Deutschland 50 Jahre und älter sein, jeder dritte Mensch älter als 60. Ältere Menschen verfügen heute über ein hohes wirtschaftliches Potenzial. Sie geben überproportional viel Geld für Gesundheit und Reisen aus. Jetzt gilt es die Weichen zu stellen und sich auf die Bedürfnisse der älteren Gäste einzustellen, die hohe Ansprüche an das Produkt und den Service stellen. Die Entwicklung bietet insbesondere eine große Chance für Präventiv- und Wellness-Angebote mit medizinischer Komponente. Die Menschen erkennen vermehrt, dass sie selbst für ihre Gesundheit verantwortlich sind. Das gilt auch für die jüngere Generation. Wir erleben eine Entwicklung vom Kur geprägten Angebots- zum Nachfragemarkt der Selbstzahler, mit der Bereitschaft aus eigener Tasche in die Gesundheit zu investieren. Der Trend reicht von Beauty über Wellness bis hin zu medizinisch indizierten, so genannten MedicalWellness-Angeboten.
Der demographische Wandel verändert nicht nur die Gästestruktur sondern auch den Arbeitsmarkt im Tourismus. Vor dem Wettbewerb um den Gast steht künftig der Wettbewerb um den Auszubildenden, um die Mitarbeiter. Hoch qualifizierte Fachkräfte bilden ein sicheres Fundament für die Wettbewerbsfähigkeit.
Gäste sind heute zunehmend reiseerfahren und gut informiert, mit hohen Erwartungen an Komfort und Qualität. Der Urlauber der Zukunft ist durch und durch Individualist. Er will ein maßgeschneidertes Angebot und vor allem flexiblen Service. Die verstärkte Entwicklung hin zu Lebensstilgruppen und zum „hybriden“ Kunden, mit individuellen und wechselnden Ansprüchen erfordert Weitblick, Innovationskraft und geschultes Personal.
Damit Deutschland auf Dauer das Urlaubsziel mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis in Europa wird, setzt der Deutsche Tourismusverband e.V. auf die zwei zentralen Säulen Innovation und Qualität. Denn nur so kann sich das Reiseland Deutschland im internationalen Wettbewerb behaupten.
Der Autor ist seit 2007 Präsident des Deutschen Tourismusverbandes. 2006 war Reinhard Meyer Chef der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern; von 2001 bis 2005 Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern und zuvor Abteilungsleiter in der Senatskanzlei Hamburg, der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern und der Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern beim Bund.