Der ökonomische und soziale Fortschritt in Schwellenländer, sogenannten „Emerging Economies“, ist auf die Entwicklung von Innovationen in der Informationstechnik und dabei auch der graphischen Datenverarbeitung und der zugehörigen graphisch-interaktiven Oberflächen angewiesen. Als Innovationsberater für verschiedene Multi-Nationals und Regierungen habe ich mich mehrere Jahre sehr intensiv mit der Frage beschäftigt, wie man diese Entwicklung unterstützen und beschleunigen kann. Dies ist selbstverständlich auch im Interesse unserer Wirtschaft.
Was meine ich aber mit Fortschritt durch Innovation? Investiert man Geld, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, dann betreiben wir Forschung. Wenn investiert wird, um aus den gewonnenen Erkenntnissen und neuem Wissen Geschäfte zu erschließen beziehungsweise zu ermöglichen, dann fördern wir Innovationen. Diese Geschäfte wiederum generieren die Mittel, die für neue Forschung notwendig sind. Dies ist ein Prozess, der letztlich die sozio-ökonomische Entwicklung jedes Land vorantreibt. Dabei muss sichergestellt werden, dass der berüchtigte „Valley of Death“, d.h., dass vieles was in der Forschung erarbeitet wird den Weg in die Anwendung und Verwertung nie findet, überwunden wird.
Um den Prozess der Innovationsentwicklung aufrecht zu erhalten, wurde das Konzept der sogenannten „Innovations-Plattformen“ entwickelt. Dabei geht es darum, den privaten Sektor (Universitäten und Institute, zuständige Agenturen und Verbände, Anwender, Industrie, Finanzierungsinstitutionen, u. a.) bereits im Vorfeld zu beteiligen, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse auch zur Anwendung und zur Kommerzialisierung geführt werden. Nur so ist eine erfolgreiche Umsetzung möglich. Eine solche Innovationsplattform unterscheidet sich von anderen Modellen, wie zum Beispiel die Industrieparks, bei denen es um die Förderung der Ansiedlung von innovativen Unternehmen geht, von den „Living Labs“, wo die Nutzer bereits frühzeitig an die Entwicklung herangeführt werden sollen, oder auch von den sogenannten „Innovation Villages“, in denen der öffentliche und der private Sektor auf regionale Ebene zusammengeführt werden sollen.
Bei einer „Innovations-Plattform“ verständigen sich die für eine bestimmte Innovations-Thematik notwendigen Stakeholders auf den Rahmen für den entsprechenden Innovations-Prozess. Man verständigt sich über Hardware und Software sowie über Standards, Schnittstellen und Methoden, die zu verwenden sind, um die gewünschte Integrationsfähigkeit und Interoperabilität der im Innovationsprozess erzielten Ergebnisse sicherzustellen. Die beiden Schichten (die technische und die rechtliche) an Festlegungen, Absprachen und Verträge sind dann im Verbund die Basis für eine „Public-Privat-Partnership“ zur Realisierung und Finanzierung der „Innovations-Plattform“.
Diese Innovationsplattformen bringen zunächst einen themen- beziehungsweise anwendungsbezogenen, regionalen Schub für die Umsetzung, die Kommerzialisierung und die konkrete Anwendung bestimmter Forschungsergebnisse, die in verschiedenen Projekten erarbeitet werden. Sie müssen dann skaliert werden, um Beiträge zur Lösung großer Herausforderungen, wie zum Beispiel die künftige Energieversorgung, der Klimawandel, die Gesundheitsvorsorge und vieles andere leisten zu können. Diese Lösungen müssen auch Beiträge zum wirtschaftlichen Wachstum, zur Reduzierung der Armut und dadurch insgesamt zur sozio-ökonomische Entwicklung der betreffenden Regionen leisten. Die Skalierung geschieht über eine Vernetzung der Innovations-plattformen. Sie bilden dann eine Matrix aus Elementen, die Plattform-übergreifend (z. B. Informationstechnologien) und Regionen übergreifend zur Lösung der „Grand Challenges“ (Energie, Klima, Gesundheit, etc.) sind.
Dabei müssen wir auch die „digitale Revolution“ berücksichtigen, die wir gegenwärtig weltweit erleben, durchlaufen und die unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen erheblich verändern. Wie wird sich das auf die Wertschöpfung global auswirken? Können die „Emerging Economies“ dabei vielleicht sogar einige Entwicklungsschritte überspringen? Diese Veränderungen werden beeinflusst und geprägt von Mobilität, Internet und den modernen Informationstechniken und Endgeräten (Smart-Phones, Smart-Tablets, etc.), die immer breiter verwendet werden. Sie erreichen im globalen Maßstab einen sehr hohen Durchdringungsgrad, auch in den sich entwickelnden Regionen. Es geht schon heute so weit, dass sogar dort, wo Menschen nicht lesen können und in Armut leben, sie trotzdem mit diesen Techniken und Geräten umgehen können. Hier könnte ein Ansatzpunkt liegen, um diesen Menschen zu helfen und für sie neue sozio-ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen und umzusetzen.
In diesem Veränderungsprozess wird aus einem System, in welchem die Menschen nur Anwender oder Konsumenten sind, ein neues System, in dem der Mensch in den Wertschöpfungsprozess selbst eingreifen kann. Der Mensch kann dann selbst in diesem Prozess „partizipieren“; er kann sogar selbst zusätzlich auch zum Produzenten werden. Dies ist dadurch möglich, dass der gesamte Wertschöpfungsprozess mehr und mehr digital wird. Das Internet wird sich auch zu einem „Internet der (digitalen) Prozesse“ weiterentwickeln. Das nennt man heute „Mobile Empowerment“.
Analog zu den heutigen politischen und privaten sozialen Netzwerken werden neue Formen von Technologie- und Technik-Dienstleistungs-Netzwerke entstehen, die sich dann zu Exzellenzcluster für bestimmten Themen, Technologien und Anwendungen zusammenschließen und die letztlich zu neuen Formen und Strukturen für Industrie und Wirtschaft führen werden. Über dieses „Internet der Prozesse und der Technologie- und Technik-Dienstleistungen“ werden dann Industrie und Wirtschaft neue Formen des „Outsourcen“ finden und nutzen. Diese werden auch global entstehen. Dieses neue System der Wertschöpfung wird auch verschiedene Formen des Cloud-Computing nutzen. In dieser Vision eines neuen (digitalen) Wertschöpfungssystems liegt eine große Chance für die Beschleunigung der sozio-ökonomischen Entwicklung der „Emerging Economies“. Sie bringt aber auch Herausforderungen und Veränderungen für unsere eigene Industrie und Wirtschaft. Sie müssen sich aber diesem Evolutionsprozess stellen und dafür adäquate Lösungen finden. Viele der sogenannten Multi-nationals sind auch schon dabei, sich diesem Evolutionsprozess strategisch zu stellen.
In einem solchen Wertschöpfungssystem können so viele, viele Menschen aktiv mitwirken, indem sie über das Internet bestimmte Dienstleistungen oder spezielle Problemlösungen anbieten und abliefern. Das Ganze wird über eine Plattform integriert und verwaltet. Es sind auf Mobile Empowerment basierende vertikale Anwendungen, die insbesondere für Emerging Economies eine immer größer werdende Rolle spielen. Beispiele davon sind unter anderem:
– Mobile Gesundheitsversorgung mit Pharmazeutika und medizinischen Dienstleistungen;
– Mobile Lebensmittelversorgung durch intelligente Nutzung der Lebensmitteltransporte
– Unterstützende Infrastruktur für den mobilen Individualverkehr außerhalb der Ballungszentren
– Mobile Schulen, die bestimmte Inhalte und Dienstleistungen abliefern;
– Mobile Unterhaltung, wie das digitale Kino „on demand“;
– Mobile Versorgung und Unterstützung von Sport-Infrastrukturen;
– etc., etc., etc.
Eine strategische Entwicklung, Realisierung und Umsetzung dieses „Mobile Empowerment“ setzt drei Komponenten voraus: die hier beschriebenen Innovationsplattformen, ein Aufbau und Ausbilden der notwendigen Human Ressources und ein Zusammenführen und Einbinden aller notwendigen Stakeholders (Collaboratory).
Die hier präsentierten Ideen und Konzepte sind in vielfältigen Formen im Rahmen von Industriekooperationen insbesondere mit Süd-Afrika entwickelt und versucht worden. Die EU fördert viele Projekte im Rahmen der EU-Afrika-Programme, die diese oder ähnliche Ideen in Form von Piloten und Use-Cases ausprobieren, evaluieren und weiterentwickeln. Die Ergebnisse sind vielversprechend. Ein „best practice“ Beispiel für ein solches System (Collaboratory) bildet die von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) betreute deutsch-indische Partnerschaft für die Informationstechnik GRIP-IT ( http://www.acatech.de/?id=1073 ).
Es besteht somit die Hoffnung, dass die neuen partizipatorischen Möglichkeiten der künftig auf IT-Netzwerken basierenden Industrie- und Wirtschaftsstrukturen auch neue Chancen und neue Wege für die sozio-ökonomische Entwicklung für die „Emerging Economies“ bieten.
Der Autor war 1987 Gründer und bis zu seiner Pensionierung in 2006 Direktor des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt. Ab 1975 war er Professor für Informatik an der Technischen Universität Darmstadt und dort Leiter des Fachgebiets Graphisch-Interaktive Systeme (GRIS). Seit 1.10.2009 ist José Luis Encarnação Professor Emeritus der Technischen Universität Darmstadt.