Ein zentraler Kompetenzfaktor für jeden Wirtschaftsstandort mit exportorientierter Produktion ist seine organisatorische Fähigkeit. Dabei lässt sich Logistik nicht nur auf den Transport von Waren reduzieren. Eine ganzheitliche Betrachtung muss ebenfalls Prozesse der Digitalisierung, die Energieversorgung und Infrastrukturen sowie mittlerweile auch demografische Entwicklungen mit einbeziehen.
Die Metropolregion Berlin-Brandenburg wächst. Allerdings stellen Berlin und der Speckgürtel des Umlandes das Gravitationszentrum dar. Weiter entfernte ländliche Regionen Brandenburgs hingegen sehen sich den Auswirkungen des demografischen Wandels und einer schwachen industriellen Prägung ausgesetzt. Ein starkes städtisches Wachstum bei gleichzeitig sinkenden Bevölkerungszahlen im Umland verursacht Dynamiken, die zu verstehen und insbesondere zu steuern sind. Dabei spielt die Logistik eine entscheidende Rolle. Zuweilen verkannt und reduziert auf Transportverkehre gilt es die Logistik als integralen und damit interdisziplinären Funktions- und Infrastrukturbereich zu verstehen.
Logistik hat demnach zwei Seiten: eine vordergründige, die sich als Logistikwirtschaft mit den zugehörigen Anbietern von Logistikleistungen und Infrastrukturen manifestiert und sich wie die Spitze eines Eisbergs erhebt. Und eine hintergründige, die sich als notwendige Funktionsstruktur in allen Unternehmens- und Lebensbereichen wiederfindet. Diese verdeckten Logistikleistungen sind schwer zu quantifizieren, machen aber einen bedeutenden Anteil der Gesamtwirtschaftsleistung der Logistik aus.
In der Bevölkerung wird die Logistik häufig auf die Spitze des Eisbergs reduziert und zum Teil als störend empfunden. Dass die Logistik eine kritische Infrastruktur darstellt, die für die Versorgung der Menschen in allen Bereichen des Daseins Verantwortung trägt, ist wenigen bewusst. Ob Lebensmittel, Konsumgüter oder Medikamente: All das muss zu den Konsumenten gelangen. Und vieles muss wieder zurückgebracht oder entsorgt werden. Aber auch Gesundheitsversorgung als solche mit ihren Krankenhäusern und Pflegediensten ist von logistischen Aktivitäten geprägt. Darüber hinaus sind klassische Events wie die Fanmeile in der Hauptsache logistische Meisterleistungen. Ganz zu schweigen von der individuellen Mobilität in unterschiedlichen Modalitäten. Auch das ist natürlich Logistik.

Vorstände des LNBB und Ländervertreter aus Berlin und Brandenburg während der Jahresveranstaltung im November 2015.
Die Gestaltung der Logistik ist Stadtentwicklung. Zukünftige Smart Cities sind nur in der interdisziplinären Strukturierung aller Bereiche zu organisieren. In Zeiten durchdringender Digitalisierung verschmelzen bisherige vertraute Teilbereiche und Branchen. Als Beispiel kann die Elektromobilität genannt werden. Hier konvergieren Energieversorgung, Automobilindustrie und logistische Mobilitätskonzepte zu einem funktionierenden Ganzen. Dabei werden neue Geschäftsmodelle und Akteure entstehen. Im modernen E-Commerce und Handel werden die digitalen Versprechen meistens von der Logistik gehalten. Und logistische Geschäftsprozesse sind die tragenden Säulen der Geschäftsmodelle. Denken wir nur an die Herausforderungen des Retourenmanagements.
Deutschland ist ohnehin Logistikland und Berlin-Brandenburg wird in Zukunft verstärkt ein wesentlicher Treiber dieser international anerkannten nationalen Position sein. Als Brücke zwischen Norden, Süden, Ost und West kann sie Referenzmetropole für innovative Logistikkonzepte auf Basis einer einmaligen Wissenschaftslandschaft werden und Logistik „made in BB“ exportierbar machen.
Genau hier greifen die Aktivitäten des LogistikNetz Berlin-Brandenburg e.V. (kurz LNBB): Es stärkt die Hauptstadtregion als Logistik- und Wirtschaftsstandort. Unternehmen aus Produktion, Handel und Dienstleistung finden im LNBB den zentralen Ansprechpartner für alle Fragen rund um Infrastruktur, Logistiklösungen, Geschäftsmodelle und Fördermöglichkeiten. Das LNBB ist auch Plattform für die Artikulation von Interessen und verantwortlich für die Aufklärung über die Bedeutung von Logistik, um Bewusstsein für die richtigen Veränderungen zu schaffen, die nicht nur die Spitze des Eisbergs betreffen.
Die enge Vernetzung des LNBB mit den Wirtschaftsförderern der Länder ist eine notwendige, aber längst nicht hinreichende Bedingung für die Logistikexzellenz. Vielmehr muss auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Logistik eine Schlüsselvoraussetzung für globale Wertschöpfungsketten darstellt. Hier greifen regionale Aspekte alleine zu kurz. Unternehmen wie Bayer, Siemens und Daimler denken und handeln global und wollen auch so verstanden werden. Nur so können infrastrukturelle Entwicklungen für die Unternehmen attraktiv gestaltet werden. Gute Beispiele finden sich bei den zahlreichen Berliner Industriebetrieben. In der Stadt ansässig, bietet sich selten Raum für Erweiterung. Hier gelingt ein wettbewerbsfähiges Wirtschaften nur durch Innovationen und logistische Exzellenz. Nicht ohne Grund hat der Daimler-Konzern im letzten Jahr in das Werk in Marienfelde 500 Millionen Euro investiert, Investitionen um die Innovationskraft des Standortes zu stärken.
Verkehrsinfrastrukturprojekte zur Stärkung von Straßen, Schienen und Wasserwegen sind vorhanden oder auf der Agenda. Auch dank des LNBB, das seit nunmehr über zehn Jahren die Logistik in der Region voranbringt. Dies gelingt aber nur, wenn die Akteure sich engagieren und die Plattform nutzen.
Prof. Dr.-Ing. Frank Gillert
Der Autor blickt auf mehr als 20 Jahre Erfahrungen in den Bereichen AutoID/RFID und Supply-chain-management zurück. Nach seinem Maschinenbau-Studium war er 1995 Mitbegründer des Instituts für Distributions- und Handelslogistik in Dortmund. Ab 1998 bekleidete er verschiedene Managementpositionen in der Sicherheitsindustrie. 2005 gründete er das Unternehmen UbiConsult. Frank Gillert hält seit 2008 eine Professur für Logistikmanagement an der TH Wildau. Seit Januar 2016 ist er Vorstandsvorsitzender des LNBB | LogistikNetz Berlin-Brandenburg e.V.