Können wir uns heute noch ein Leben ohne Smartphone vorstellen? Eine Arbeit ohne Internet? Diese Beispiele zeigen uns, dass sich unser Leben in den letzten zehn Jahren grundlegend verändert hat. Das Internet mit all seinen Technologien hat uns viele neue Möglichkeiten der Kommunikation beschert – aber leider auch die Schattenseiten dieses Umbruchs verdeutlicht.
Nun macht ein neues Schlagwort die Runde: „Industrie 4.0“. Was 2011 mit der Prägung dieses Begriffs begann, hat sich mittlerweile zu einem neuen Hype entwickelt. Damit gemeint ist eine prognostizierte vierte industrielle Revolution. In Anbetracht dieser Entwicklung ist die Frage erlaubt, ob hier nur eine neue Blase entsteht, die genauso schnell auch wieder platzt, oder ob wir wirklich am Beginn des prognostizierten neuen Zeitalters industrieller Produktion stehen.
Die Ausgangslage: „Geiz ist geil“ war die Kundenmaxime des letzten Jahrzehnts! Produkte, insbesondere im Konsumbereich mussten billiger, billiger und noch mal billiger sein. Dies ließ sich nur noch umsetzen, wenn auch die Lohnkosten „billiger“ wurden. So wanderte die Produktion in Richtung China ab. Doch nun scheint sich hier ein grundlegender Wandel abzuzeichnen. Und dieser Wandel hat mehrere Auslöser: China ist nicht mehr billig. Der Transport in unsere Märkte dauert zu lange. Und der Kunde hat andere Bedürfnisse, nämlich nach Individualisierung und Emotionalisierung der Produkte.
Der Kunde verlangt in immer kürzeren Zeitabständen nach immer neuen Produkten, die stärker an seine persönlichen Wünsche angepasst sein müssen. Diese Herausforderung wird offensichtlich am heutigen Smartphone-Markt erfüllt. Lebenszyklen von nur noch sechs bis neun Monaten sind hier mittlerweile die Regel. Und Handys sind nur dann erfolgreich, wenn man sie per App personalisieren kann. Eine vergleichbare Entwicklung vollzieht sich momentan auch in der Automobilindustrie. Die Modellvielfalt unserer Autos wird immer größer, die Lebenszyklen immer kürzer und die Qualitätsansprüche des Kunden immer höher.
„Geiz ist geil is over“, könnte man sagen, wir leisten uns wieder was! Doch dazu brauchen wir einen neuen Ansatz für die Produktion unserer Güter. Wir fangen hier sicher nicht bei Null an. In den letzten zehn Jahren konnten wir durch die enorme Leistungssteigerung der CAD-Technologien die Konstruktions- und Planungsphasen an diese veränderten Randbedingungen anpassen. Nun steht der eigentlichen Produktion ein ähnlicher Umbruch bevor.
Deutschland ist ein Hochtechnologieland und erwirtschaftet einen sehr großen Anteil des Bruttosozialprodukts mit der Produktion von Gütern, vor allem aber auch mit der hierfür notwendigen Produktionstechnik. Wenn wir es nicht schaffen, unsere Produktionsanlagen deutlich schneller an die veränderten Marktanforderungen anzupassen, dann werden wir einen vergleichbaren Weg gehen wie die Mobiltelefonproduktion im vergangenen Jahrzehnt: Es wird produziert – aber nicht mehr bei uns.
Noch vor wenigen Jahren hat die Bankenkrise die Weltwirtschaft an den Abgrund gebracht. Nur wir Deutschen hatten offenbar die richtigen Rezepte, um den Weg aus der Krise zu meistern. Dies ist ganz wesentlich der Tatsache zu verdanken, dass wir nicht nur gute Ingenieure, sondern eben auch die Fähigkeit zur Produktion unserer Güter behalten haben. Und so bin ich davon überzeugt, dass auch in Zukunft ein starker Produktionsstandort Deutschland krisensicher macht.
Aber die Zeiten werden schwieriger. Märkte, Technologien, Geschäftsmodelle verändern sich mit einer immer schnelleren Geschwindigkeit. Ein wesentlicher Treiber hierfür ist das Internet, das Märkte über alle Ländergrenzen hinweg transparent und nutzbar macht. „Order today – deliver tomorrow“ ist das neue Paradigma und zum Teil schon heute Realität.
So stehen wir offenbar vor einem großen Umbruch – der vierten industriellen Revolution. Das Internet verändert bereits heute unser tägliches Leben. Computer werden kleiner und verschwinden in nahezu allen technischen Geräten. Obendrein verbinden sie sich in einem weltumspannenden Netzwerk: dem Internet. Denkt man diesen Weg konsequent weiter, so werden nahezu alle Dinge des Alltags smarte Knoten eines weltweiten Netzwerks werden. Dieses Phänomen bezeichnet man auch als das Internet der Dinge. Und es ist völlig klar, dass diese Entwicklung nicht vor den Fabriktoren Halt machen wird. Die stark elektrotechnisch und hierarchisch geprägte Welt der Fabrikautomatisierung wird sich zu smarten Fabriknetzwerken wandeln, die immer stärker von den Fortschritten der Informations- und Kommunikationstechnik und damit auch der Informatik geprägt werden.
Um hier in einem globalen Wettbewerb mithalten zu können, bedarf es einer schnellen Wandlungsfähigkeit und Agilität der Produktionssysteme. Dies wird u.a. durch die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnik ermöglicht. Somit muss der Mensch diese neue Systemwelt immer schneller planen, aufbauen und betreiben können. Nur die Nationen auf der Welt, die es schaffen, die Qualifikation und Ausbildung ihrer Menschen den neuen Gegebenheiten schnell anzupassen, werden auf dem Weltmarkt Erfolg haben.
Deutschland bringt hierfür gute Voraussetzungen mit. Wir gehören in der Forschung zu vernetzten eingebetteten Systemen, semantischen Technologien und beim Entwurf komplexer cyber-physischer Systeme international der Spitzengruppe an. Hier liegt die Chance für unsere heimische Industrie, den beschriebenen Herausforderungen des Weltmarktes durch einen technologischen Quantensprung zu begegnen.
Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Detlef Zühlke
Detlef Zühlke ist Inhaber des Lehrstuhls für Produktionsautomatisierung (pak) an der Technischen Universität Kaiserslautern. Seit 2009 leitet er den Forschungsbereich Innovative Fabriksysteme (IFS) am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) GmbH. Zühlke ist Hauptinitiator und Vorstandsvorsitzender der Technologie-Initiative SmartFactory KL e.V. – die intelligente Fabrik der Zukunft, die 2005 mit namhaften Partnern aus Industrie und Wissenschaft gegründet wurde.