Die neue Generation von Windenergieanlagen-Prototypen fällt durch besonders lange Rotorblätter auf. Die riesigen Strukturen sollen die Energieausbeute erhöhen. Bei jeder Umdrehung der Anlage wird eine Fläche überstrichen, die mehrere Fußballfelder groß ist – und punktuell sehr unterschiedliche Windverhältnisse aufweist. Im Forschungsverbund Windenergie werden „intelligente Rotorblätter“ entwickelt, die die unterschiedlichen Belastungen auf dieser Fläche regulieren und somit die Wirtschaftlichkeit von Windenergieanlagen verbessern.
Die Prototypen der neuen Offshore-Anlagengeneration – in Dänemark eine Acht-Megawatt-Anlage mit einem Rotor von 164 Metern Durchmesser, in Schottland eine Sieben-Megawatt-Anlage mit sogar 171 Metern Rotordurchmesser – wurden Anfang des Jahres aufgebaut. Die Entwickler haben einen gewaltigen Größensprung im Vergleich zu den derzeitigen Serienanlagen, deren Rotorblätter etwa 20 Meter kürzer sind, realisiert. Im Onshore-Bereich sind Rotordurchmesser von 120 Metern inzwischen eine übliche Größenordnung. Diese Abmessungen werden erst durch Vergleiche mit anderen technischen Produkten greifbar: Die Spannweite großer Langstrecken-Passagierflugzeuge beträgt 80 Meter.

Rotorblätter sind Hightech-Produkte mit Abmessungen, die die Spannweite eines Langstrecken-Passagierflugzeuges bei weitem übertreffen.
Das derzeitige Wachstum der Windenergieanlagen betrifft insbesondere die Rotorfläche. Die Motivation für diesen Trend waren der Wunsch nach maximaler Energieausbeute innerhalb der verfügbaren Flächen und die zunehmende Nutzung windschwächerer Standorte. Der weltweite Ausbau der installierten Windenergiekapazität erfordert die Erschließung von Standorten möglichst nahe an Verbrauchszentren, um die Kosten für den Energietransport gering zu halten. Viele dieser Standorte verfügen über nur mäßige Windverhältnisse. Daher wurde die für die „Windernte“ relevante Rotorfläche vergrößert.
Für die Offshore-Windenergie war der Treiber ebenfalls der möglichst maximale Ertrag bezogen auf die zu errichtende Infrastruktur (Gründung, Netzanschluss). Aufgrund der höheren Windgeschwindigkeiten auf See konnte dies am kostengünstigsten mit einer Kombination von großem Rotor und hoher Nennleistung erreicht werden.
Prof. Dr.-Ing. Andreas Reuter hat Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Berlin studiert und wurde 1995 promoviert. Anschließend wirkte er in leitender Funktion bei verschiedenen Windkraftanlagenherstellern und Ingenieurbüros. Reuter ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES Nordwest.
Inzwischen überstreichen die neuen, bis zu 85 Meter langen Rotorblätter bei jeder Umdrehung eine Fläche, die der Größe mehrerer Fußballfelder entspricht. Die Böigkeit des Windes innerhalb dieser großen Fläche führt aber zu sehr unterschiedlichen Windverhältnissen, so dass ein alleiniges Verstellen des gesamten Rotorblattes durch so genannte Pitch-Systeme keine optimale Regelung bewirkt. Innovative Technologien wie bewegliche Vorflügel, Hinterkanten und andere Systeme könnten die lokale Strömung an Rotorblättern genauer und schneller beeinflussen.
Anlagenbauer scheuen bislang jedoch die Entwicklung und den Einsatz von Smart-Blades-Technologien, denn die Herausforderungen sind gewaltig: Allein zur Beschreibung der Strömungsverhältnisse müssen neue Modelle entwickelt werden, die bisherigen Ansätze der Windenergie arbeiten zu pauschal und können viele lokale Phänomene nicht abbilden. Die Ausbildung der Stellglieder kann nicht direkt aus der Luftfahrt übernommen werden, da die Beanspruchungen und die Verformungen an Rotorblättern sich stark von denen an Tragflächen unterscheiden. Weiterhin muss eine Lebensdauer von 20 Jahren bei gleichzeitig minimaler Wartung erreicht werden. Da Windenergiebauteile aus Verbundwerkstoffen um den Faktor 10 bis 100 preiswerter sein müssen als Bauteile aus der Luftfahrt, steht natürlich auch nur ein sehr begrenztes Budget für aktive Mechanismen in Rotoren zur Verfügung.
Dr. Stephan Barth ist seit 2008 Geschäftsführer von ForWind, dem Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen. Davor forschte der promovierte Physiker beim niederländischen ECN als Projektleiter im Bereich Rotor- und Parkaerodymamik. Barth ist neben weiteren Funktionen Vorstandsmitglied des europäischen Windenergieverbandes EWEA.
Im BMUB-geförderten Forschungsprojekt „Smart Blades“ wollen das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES), das Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen (ForWind) und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) nachweisen, dass der Einsatz aktiver Klappensysteme oder passiver struktureller Regelung an Rotorblättern ein effizienteres Anlagenverhalten und letztlich eine Verlängerung der Lebensdauer erzielen kann. Diese Designänderungen haben das Potenzial, ein aerodynamisch optimiertes, leichteres Design der Gesamtanlage und somit Einsparungen bei Material- und Logistikkosten zu ermöglichen. Die große Herausforderung ist, dabei zu verhindern, dass die Rotorblätter durch aktive Mechanismen letztlich nicht fehleranfälliger, schwerer und wartungsintensiver werden, was die Stromgestehungskosten treiben würde. Ziel des mit 12 Millionen Euro geförderten Verbundforschungsprojektes ist es daher, die Machbarkeit, die Effizienz und die Zuverlässigkeit von Smart Blades unter Beweis zu stellen.
Passive Smart Blades werden so ausgelegt, dass sie sich bei aerodynamischen Laständerungen nicht nur biegen, sondern auch um ihre Achse verdrillen, damit den Anströmwinkel verändern und sich somit automatisch einer überhöhten Belastung entziehen. Diese Technologie ist einem kommerziellen Einsatz am nächsten und soll in einem direkten Folgeprojekt an einer Forschungswindenergieanlage demonstriert werden.
Aktive Smart Blades erreichen den gleichen Effekt mit Hilfe verformbarer Teile oder verstellbarer Klappen, die sich entweder an der Vorder- oder an der Hinterkante des Blattes befinden können.
Im Vergleich zu passiven Systemen besteht zur Implementierung von aktiven Systemen zur Verstellung der Hinterkante noch deutlich höherer Forschungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der Aktuatorik, aber auch der Ankopplung der aktiven Systeme an das Blatt. Auch zu dieser Technologie soll in Zukunft ein Blattsatz gebaut und getestet werden können.
Dr. Jan Teßmer hat Bauingenieurswesen an der Universität Hannover studiert und promovierte 2000 im Bereich der numerischen Mechanik. Er arbeitete in Forschung und Industrie in leitender Funktion auf dem Gebiet der Strukturmechanik und ist seit 2012 Koordinator für Windenergieforschung im DLR.
Beide Technologien werden im Rahmen der dreijährigen Projektlaufzeit bis zur Entwicklung fertiger Konstruktionsunterlagen geführt.
Das Fraunhofer IWES hat eine Referenzanlage mit einem 80-Meter-Rotorblatt entwickelt, um die einzelnen Konzepte, die dem aktuellen Stand der Forschung und Industrie entsprechen, vergleichen zu können. Des Weiteren wurden die Methoden für Design und Lastenrechnung aktiver und passiver intelligenter Blätter modifiziert und weiterentwickelt. Aufgrund des unterschiedlichen Blattverhaltens müssen Einzelkomponenten wie zum Beispiel der Regler genau untersucht und angepasst werden. Das Verhalten des neuartigen Referenzblattes hat eine ganz eigene Belastungssituation am Material zur Folge, die Berücksichtigung finden muss. Hierfür wurden neue Testmethoden konstituiert und in der Anwendung überprüft.
Am DLR arbeiten Forscherinnen und Forscher unter anderem an der konzeptionellen Umsetzung der aktiven Elemente. Dabei werden verschiedene Konzepte für eine flexible Vorder- beziehungsweise Hinterkante auf ihre Tauglichkeit untersucht und über generierte aerodynamische oder strukturelle Randbedingungen evaluiert. Um die erforderlichen Dimensionen und das Regelungsverhalten der Elemente zu bestimmen, wird zudem die Wirksamkeit einer formvariablen Vorder- oder Hinterkante numerisch untersucht. Zur Steigerung der Produktionseffizienz werden am DLR neue Materialsysteme erprobt und darüber hinaus an der Automatisierung der Produktionsprozesse gearbeitet.
Im Windkanalversuch wird dann noch eine dritte Technologievariante experimentell erprobt: die Implementierung von adaptiven Vorflügeln oder aktiven Vorderkanten, durchgeführt im Windkanal von ForWind an der Universität Oldenburg.
Die Forscherinnen und Forscher von ForWind beschäftigen sich außerdem mit Querschnittsthemen wie der Validierung von Strömungssimulationen sowie der konstruktiven Auslegung der Blätter, Regelungskonzepte und Zuverlässigkeitsanalysen von Windenergieanlagen mit Smart Blades als Gesamtsystem.
Am Ende der Projektlaufzeit steht eine detaillierte Bewertung der unterschiedlichen Ansätze zur Identifikation von Potenzialen und Schwachstellen. Dazu sollen die experimentellen, aber auch die numerischen Ergebnisse beitragen.
Dabei sollen das Know-how, die Werkzeuge und die Ressourcen entwickelt und beurteilt werden, die Rotorblatthersteller und die Windenergieindustrie benötigen, um effektivere, kosteneffizientere und zuverlässigere Lösungen auf den Markt zu bringen und somit die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.