„Und dem Licht der Sonne folgend, verließen wir die Alte Welt.“ Dieses Zitat, eingraviert auf Christopher Columbus Karavelle „Santa Maria“, ist Sinnbild für das Bestreben des Menschen sich trotz unbekannter Gefahren stets neuen Herausforderungen zu stellen, zu erforschen und zu entdecken. Nun liegen die Ziele der Menschen aber schon lange nicht mehr in der Entdeckung neuer Kontinente. Ironischerweise befindet sich der Ort unserer Begierde nur rund 100 Kilometer über unseren Köpfen und ist doch um einiges schwerer zu erreichen. Wo sich Columbus mit Stürmen, Wellen und Problemen der Nahrungs- und Trinkwasserbeschaffung auseinandersetzen musste, birgt die Erkundung des Weltraums allerdings völlig andere Gefahren. Bereits der Start ins All ist nicht erst seit der Challenger-Katastrophe im Jahr 1986 mit großen Risiken verbunden. Damit Menschen im luftleeren Raum überleben können, sind massive Sicherheitsmaßnahmen notwendig. Nicht nur die enormen Entfernungen, sondern auch die Strahlenbelastung und extreme Temperaturunterschiede machen jede Reise, und sei es nur in den erdnahen Orbit, zu einem gefährlichen Unterfangen.
Am Robotik und Mechatronik Zentrum (RMC) des DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) mit Sitz in Oberpfaffenhofen und Berlin erforschen Ingenieure daher Möglichkeiten, wie Roboter gefährliche Aufgaben übernehmen können. Das Ziel ist die Entwicklung von mobilen, im Erdorbit fliegenden, oder auf Planetenoberflächen laufenden und fahrenden Robotern zur Unterstützung des Menschen. Diese sogenannten „Robonauten“ sind geprägt von den Forderungen der Raumfahrt nach extremer Gewichts- und Energie-Ersparnis. Noch sind die Fähigkeiten eines menschlichen Astronauten denen von Robotern überlegen und zwar nicht nur bezüglich der kognitiven Anpassungsfähigkeit an unterschiedlichste Situationen, sondern ganz einfach bedingt durch die Tatsache, dass die Sensomotorik des Menschen sehr viel detailliertere Bewegungsabläufe gestattet. Eine zentrale Aufgabe der Forschung ist es daher, den Händen und Armen eines Roboters für das Greifen Feingefühl zu geben. Die Prototypen-Modelle am DLR sind dafür mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet. Die neueste Entwicklung stellt das „anthropomorphe Hand-Arm-System“ dar: Die Glieder der Finger lassen sich einzeln bewegen, wobei die jeweils mit zwei Minimotoren betriebenen Seile die Sehnen simulieren und nach dem antagonistischen Antriebsprinzip biologischer Muskeln arbeiten. Durch gleichsinnige Bewegung der beiden Antriebe (Agonist, Antagonist) wird ein Fingersegment in die entsprechende Richtung bewegt.
Da die Antriebe bei gegenläufiger Bewegung über eine spezielle Konstruktion die Sehnenspannung erhöhen, kann das System über gleichzeitige Anspannung der antagonistischern „Muskeln“ seine Steifigkeit erhöhen und sich so optimal
auf unterschiedliche Aufgaben und Umgebungen anpassen.
Heutige Industrieroboter können fest einprogrammierte Handlungen besonders schnell ausführen, sind aber in ihrer Reaktionsfähigkeit beschränkt. Je komplexer der Bewegungsablauf, desto größer ist der Planungs- und Programmieraufwand in der Vorbereitungsphase. Die Forschung macht in diesem Bereich allerdings deutliche Fortschritte. Schon heute werden am Robotik und Mechatronik Zentrum in Oberpfaffenhofen „anthropomorphe“, das heißt menschenähnliche Roboter einer völlig neuen Generation entworfen. Der zweiarmige Leichtbau-Roboter JUSTIN kann mit mehr als 40 Gelenken ausgesprochen feinfühlig reagieren und komplexe Bewegungsabläufe in der Interaktion mit Menschen durchführen. Mit seinem multisensoriellen Kopf, der mit Stereo-Kameras, Laserscanner und Lichtschnittprojektor ausgestattet ist, kann er sogar durchsichtige Gläser erkennen und greifen, Flaschen öffnen, Getränke einschenken oder schwere Getränkekästen heben. Die Technologiestudie soll vor allem das beidhändige Manipulieren von Objekten demonstrieren und weiterentwickeln. Doch JUSTIN muss seine Umwelt erst analysieren und jede Bewegung einzeln und detailliert planen, bevor er handeln kann. Wo beim Menschen durch tägliche Anwendungen Bewegungsabläufe in Erfahrung und Routine übergehen und dadurch weniger Aufmerksamkeit erfordern, muss Justin seine komplette Umwelt erst analysieren um interagieren zu können, und das jedes Mal komplett aufs Neue.
Wo JUSTIN heute die Spitze der humanoiden Roboter-Entwicklung darstellt, kann das ehemalige DLR-Institut bereits auf langjährige Erfahrungen bei der Roboterfernsteuerung im Erdorbit zurückblicken. Bereits 1993 wurde der erste ferngesteuerte Roboter ROTEX in den Weltraum geschickt. Das Institut hat 1999 den ersten frei im Weltraum fliegenden japanischen ETS VII-Roboter von der japanischen Wissenschafts-Stadt Tsukuba aus fernprogrammiert. Von 2005 bis 2010 haben die DLR-Robotiker die Raumfahrttauglichkeit ihrer Leichtbau-Roboter-Gelenke mit dem einzigartigen ROKVISS-Arm auf der Außenhaut der Raumstation ISS nachgewiesen und die Wirkungsweise der sogenannten Telepräsenzkonzepte demonstriert, wobei über Stereobild- und Kraftrückkopplung das Gefühl erzeugt wird, als könnte man vor Ort agieren; man spricht daher gern auch vom verlängerten Arm des Menschen im Weltraum. Zusammen mit den vier- und fünf-fingrigen künstlichen Händen aus dem Institut, von denen eine erste raumfahrttaugliche Version von der Raumfahrtorganisation ESA verwendet wird, entstehen auf diese Weise zentrale Bausteine für die europäischen Robonauten der Zukunft.
Das Robotik und Mechatronik Zentrum arbeitet zudem an der Entwicklung des ersten europäischen Mars-Rovers ExoMars, der 2018 zum Mars fliegen soll, an Rover-Konzepten für Mondlande-Missionen und an sechs-beinigen Krabblern für die sogenannte planetare Exploration.
Ein aus der planetaren Rovertechnik abgeleitetes ROBOMOBIL soll darüber hinaus der Elektromobilität neue Impulse geben und gleichzeitig die Synergie zwischen den Themen Robotik und Fahrzeugtechnik demonstrieren. Es ist so konzipiert, dass es mit einem ausschließlich auf Kameras basierten Autonomiekonzept selbständig fahren kann, aber auch von einem Fahrer mit Sidestick oder von einem Teleoperator aus der Ferne gesteuert werden kann.
Die multiphysikalische Modellbildung, Dynamik-Simulation und regelungstechnische Beherrschung mechatronischer Systeme kommt aber auch der klassischen terrestrischen Fahrzeugtechnik zunehmend zugute, etwa in der Fahrdynamik-Optimierung und der Komponenten-Entwicklung. In ähnlicher Weise werden Dynamik und Energieverbrauch großer Flugzeuge modelliert und optimiert (Kooperation mit Airbus). Die bemannten Flugroboter aus dem Zentrum erstellen mit ihren Kameras 3D-Gebäudemodelle und bereiten sich schon auf das „Manipulieren aus der Luft“ vor, während sich die solargetriebene Höheplattform ELHASPA in naher Zukunft in die Stratosphäre hochschrauben soll. An der Entwicklung von Kleinsatelliten, insbesondere zur Feuer-Detektion auf der Erde, arbeitet hingegen der Berliner Bereich des RMC. Dort werden auch die Arbeiten auf dem Gebiet der fotorealistischen 3D-Weltmodellierung (interaktive Landschaften, Baudenkmäler) durch die Entwicklung innovativer Kameratechnologien und multispektraler Sensoren unterstützt, die sich für den Einsatz auf planetaren Sonden aber auch für Satelliten und Flugzeuge eignen. Das Semiglobale Matching SGM gilt inzwischen als einer der besten Stereo-Algorithmen, mit dem nicht nur Berge wie der Mount Everest und der K2, aufgenommen von Satelliten, in 3D modelliert wurden, sondern auch Autos der Marke Daimler Hindernisse in Echtzeit erkennen. Zu guter Letzt, stellt der aus der Leichtbau-Technologie entwickelte Roboter MIRO einen Durchbruch in der Chirurgierobotik dar. Mit seinem Eigengewicht von nur zehn Kilogramm und den kompakten Abmessungen ähnlich dem menschlichen Arm kann er direkt neben dem Chirurgen am Operationstisch eingesetzt werden, wo das Platzangebot beschränkt ist. Die geplanten Einsatzzwecke des Roboterarms reichen vom Führen einer Lasereinheit über das Setzen von Löchern für Knochenschrauben bis zum Einsatz in der minimal invasiven „Schlüsselloch“-Chirurgie. Immer wieder finden Technologien des Instituts aber auch Anwendung im täglichen Leben. Wie etwa die sogenannte Space Mouse, welche aus der Notwendigkeit zur räumlichen Steuerung der DLR-Roboter heraus entwickelt wurde und später als Lizenzobjekt vom Computerzubehör-Hersteller Logitech zum weltweit populärsten 3D-Mensch-Maschine-Interface (mit über einer Million installierter Systeme in der 3D-Computergrafik und Konstruktionstechnik) gemacht wurde.
Die Schaffung und Sicherung von etwas mehr als eintausend hochspezialisierten Arbeitsplätzen in der Industrie und die zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen haben dem DLR-Institut in Oberpfaffenhofen den Ruf einer international renommierten Technologieschmiede eingebracht und wesentlich zur gemeinsamen Entscheidung des Bundes und des Landes Bayern beigetragen, es zum Robotik und Mechatronik Zentrum, RMC und damit zu einer der weltweit größten Einrichtungen in der angewandten Roboterforschung auszubauen. Und da, wo die besten Ressourcen aufeinandertreffen, ist auch die Realisierung großer Ziele und die Entdeckung neuer Welten nur noch eine Frage der Zeit.
Der Autor ist Professor der Robotik-Wissenschaften und seit 1992 Leiter des Instituts für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Darüber hinaus ist er Verfasser von über 600 wissenschaftlichen Publikationen und Träger zahlreicher Auszeichnungen, darunter des Bundesverdienstkreuzes am Bande und des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises.