Auch wenn das heute kaum einem mehr bewusst ist – schon bei der Gründung von IDS Scheer in Saarbrücken im Jahr 1984 stand der Geschäftsprozessgedanke im Mittelpunkt der Unternehmensleistungen. Ich hatte das erste deutschsprachige Buch zum CIM-Organisationskonzept (CIM = Computer Integrated Manufacturing) geschrieben und IDS Scheer war – obwohl damals ein kleines saarländisches Start-up-Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern – von großen Industrieunternehmen wie Bosch oder Daimler bereits als konzeptioneller Berater gefragt.
CIM war nichts anderes als ein erstes Geschäftsprozesskonzept, das die gesamte Logistik umfasste. Auch die technische Beschreibung geometrischer Produkteigenschaften und deren Nutzung zur Generierung der Steuerungsprogramme für Maschinen wurden als zusammengehörender Prozess erkannt. Diese zwei wesentlichen Geschäftsprozesse waren von mir in dem Y-CIM-Modell erfasst worden, das auch – grafisch vereinfacht – zum Logo der IDS Scheer gewählt wurde. Deshalb bezeichnet bereits das Y-Logo den Prozessgedanken, der auch heute noch das Alleinstellungsmerkmal der Software und Beratungsleistungen von IDS Scheer darstellt.
ARIS-Haus und Lifecycle-Konzept
Parallel zum Aufbau meines damals kleinen Unternehmens habe ich mich in meinen Forschungsarbeiten mit Methoden zur betriebswirtschaftlichen, also benutzerorientierten Beschreibung von Informationssystemen beschäftigt.
Dabei zeigte es sich, dass die Beschreibung der Unternehmensdaten zwar sehr wichtig, aber nicht ausreichend ist, um einen Geschäftsprozess selbst zu definieren. Es fehlten unter anderem die Angaben der Funktionen und ihrer Zusammenhänge. Ich brauchte ein Konzept, das die Forderung nach Einfachheit für den Benutzer und gleichzeitiger methodischer Stringenz zur Übertragung der Prozessinhalte in die informationstechnischen Unterstützungssysteme erfüllen konnte. Mit dem ARIS-Konzept, insbesondere dem grafischen ARIS-Haus-Modell, habe ich dann wirklich ein einfaches Rahmenkonzept zur Definition von Geschäftsprozessen gefunden und gleichzeitig mit einem Lifecycle-Konzept den Weg von der Unternehmensstrategie zur informationstechnischen Implementierung der Geschäftsprozesse aufzeigen können. Bereits 1991 trat die ARIS-Methode ihren Siegeszug um den Globus an.
An meinem Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes als Prototyp erdacht, haben wir dann bei IDS Scheer ein Softwareprodukt zur IT-Unterstützung der Beschreibung, Modellierung und Optimierung von Geschäftsprozessen nach dem ARIS-Modell entwickelt. Innerhalb von wenigen Monaten wurde ein komplett neues Softwaresystem entwickelt, das heute in vielen Weiterentwicklungen vorliegt.
Inzwischen setzen weltweit über 7.500 Kunden das ARIS-System ein. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit Technologiepartnern, insbesondere SAP und Beratungshäusern wie Accenture oder Capgemini zusammen, so dass sich ARIS als weltweiter Standard zur Optimierung von Geschäftsprozessen immer mehr durchsetzt.
Systemunabhängigkeit der Prozessebene
Nicht zuletzt durch die bestehende Zusammenarbeit mit SAP wurde die Verbindung der konzeptionellen Modelle mit der Implementierungsebene immer dringlicher. Diese unterdessen bestehende bruchlose Verbindung ist heute zu einem erfolgreichen und zukunftsträchtigen Konzept herangewachsen.
Geschäftsprozessmanagement, von der Strategieentwicklung bis zur Kontrolle der laufenden Geschäftsprozesse, ist selbst ein Geschäftsprozess. Dieser Prozess des Geschäftsprozessmanagements muss unabhängig von der eingesetzten Anwendungssoftware der operativen Geschäftsprozesse sein. Der Gedanke, oberhalb der Anwendungssysteme zunächst die Geschäftsprozessstrategie zu entwickeln und anschließend detailliert fachlich zu beschreiben, um erst dann in unterschiedliche Anwendungssysteme zu verzweigen, bot IDS Scheer die Möglichkeit, sich eigenständig zu positionieren.
Neue ARIS-Komponenten entstanden. Insbesondere die Komponente PPM (PPM = Process Performance Manager) zur Kontrolle und Analyse der laufenden Geschäftsprozesse ist ein Kernstück der Weiterentwicklung. Heute wird der Prozess des Geschäftsprozessmanagements komplett von der ARIS-Suite unterstützt und ist sowohl bei Beratungsprojekten zur Einführung des Geschäftsprozessmanagements in Unternehmen als auch für die ARIS-Software der treibende Gedanke.
In den letzten Jahren ist ein neuer Prozesstyp hinzugekommen, der sich direkt an die Unternehmensleitung wendet, weil er sich auf das Unternehmen als Ganzes bezieht: der Prozesstyp GRC (Governance Risk & Compliance). Mit dem Risikomanagement werden die Risiken in Prozessen identifiziert und Lösungsmöglichkeiten, zum Beispiel durch Definition alternativer Prozessschritte bei Ausfall einer zunächst vorgesehenen Funktion, in die Modellierung des Geschäftsprozesses aufgenommen. Die Notwendigkeit der Transparenz von Geschäftsprozessen für das Management ist gerade bei der Bankenkrise deutlich geworden.
Ein wesentlicher Grund der Krise war schließlich die fehlende Transparenz von Risiko und Abläufen, insbesondere bei Investmentbanken.
Blick in die Zukunft
Die Grundgedanken, die von Anfang an die Entwicklung des ARIS-Konzeptes bestimmt haben, leiten uns weiterhin, nämlich die Generierung und Anpassung von Informationssystemen aus dem betriebswirtschaftlichen Organisationsgedanken heraus zu unterstützen, heute als „Model Driven Software Development“ bekannt. Gleichzeitig verbessern wir ständig die Benutzerfreundlichkeit unserer Systeme, die durch die Forderung „models to the people“ ausgedrückt wird.
Ich bin davon überzeugt, dass nach 25 Jahre Entwicklungsgeschichte von Business Process Management mit ARIS der große Erfolg des Konzeptes weitergeht. Um diesen Erfolg in der auf Konsolidierungskurs befindlichen IT-Branche auch langfristig sicherzustellen, habe ich mich entschlossen, meine IDS Scheer-Beteiligung an die Software AG zu verkaufen. Damit schließen sich in Deutschland die Nummer zwei und Nummer drei der Branche zu einem neuen starken Unternehmen zusammen. Ergänzt durch unsere weitreichenden strategischen Partnerschaften mit großen internationalen IT-Unternehmen ist so eine gesicherte Plattform geschaffen, um das ARIS-Konzept auch langfristig weiter in die Welt zu tragen.
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer wurde 1941 im westfälischen Lübbecke geboren. Er ist Gründer der IDS Scheer AG und Emeritus an der Universität des Saarlandes, an der er als Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik gewirkt und gelehrt hat. Prof. Dr. Scheer ist neben weiteren Ämtern Beauftragter des saarländischen Ministerpräsidenten für Innovation, Technologie und Forschung.