Der Industriestandort Deutschland ist mit seinen Produktionsabläufen ohne Stückgutlogistik schlichtweg nicht denkbar. Die Abläufe sind hoch komplex, der Organisationsgrad entsprechend professionell. Hier zeigt gerade auch der deutsche Mittelstand seine Stärken.
Deutschland ist Weltmeister. Nicht nur auf dem Fußballfeld sondern auch in der Logistik. In dem von der Weltbank am 31. März 2014 veröffentlichten Logistics Performance Index hat Deutschland den ersten Rang zurückerobert und konnte sich im Vergleich mit 160 Ländern vor allem aufgrund seiner hochwertigen Handels- und Transportinfrastruktur durchsetzen. Die Spitzenposition, die der Logistikstandort Deutschland damit im internationalen Vergleich innehat, spiegelt sich auch in der Bedeutung wider, die die Logistik im innerdeutschen Branchenvergleich einnimmt.
Nach der Automobilwirtschaft und dem Handel ist die Logistik der drittgrößte Wirtschaftsbereich in Deutschland. Mit über 2,8 Millionen Beschäftigten rangiert sie noch vor dem Maschinenbau und der Elektronikbranche. Nach Angaben der Studie „Die TOP 100 der Logistik 2012/2013“ von Fraunhofer Supply Chain Services (SCS) generierte die Branche einen jährlichen Umsatz von 228 Milliarden Euro. Damit hatte sie im Jahr 2012 einen Anteil von 24,5 Prozent am Logistikumsatz des europäischen Wirtschaftsraums, der bei 930 Milliarden Euro liegt. Deutschland ist damit nicht nur weltweit sondern auch im europäischen Vergleich ein „Leader in Logistics“.
Die Gründe des deutschen Vorsprungs in der Logistik sind vielschichtig. Als europäisches Kernland teilt Deutschland seine Grenze mit neun weiteren Staaten und muss somit als Transitland „funktionieren“. Mit seinem starken industriellen Kern ist Deutschland jedoch auch Teil der globalen arbeitsteiligen Wirtschaft. Lieferketten werden über Grenzen aufgebaut und müssen zuverlässig und pünktlich ablaufen, um Produktionsprozesse just-in-sequence zu unterstützen. Darüber hinaus ist die Versorgung von über 80 Millionen Konsumenten auf relativ engem Raum über die Distributionskanäle des Handels sicherzustellen. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Teilmarkt der Stückgutlogistik zu.
Mit gut zehn Milliarden Euro hat dieses Segment zwar nur einen Anteil von 4,4 Prozent am großen Kuchen des Logistikmarktes, seine Bedeutung für viele Branchen ist jedoch immens. Als Transportband zwischen verschiedenen Fertigungsstufen und als Bindeglied zwischen Erzeuger, Groß- und Einzelhandel sind die getakteten Systemverkehre der deutschen Logistikdienstleister eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen von Arbeitsteilung überhaupt. Nicht umsonst bezeichnet das Fraunhofer Institut diesen Teilmarkt in seiner Studie „Challenges 2013“ als „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“.
Dies wird belegt durch das große Vertrauen, das die Auftraggeber in ihre Stückgutspediteure legen. Während im allgemeinen Logistikmarkt nur knapp die Hälfte des Marktpotenzials an Dienstleister vergeben wurde, beträgt der Outsourcinggrad von Industrie und Handel auf dem Stückgutmarkt laut Fraunhofer-Institut etwa 95 Prozent. Dies ist zum einen aufgrund der Effizienzvorteile zu erklären, die die Spediteure durch Bündelung verschiedener Sendungen von verschiedenen Versendern realisieren und an ihre Auftraggeber weiterreichen. Zum anderen bieten die deutschen Stückgutspediteure ein flächendeckendes Netz, welches durch einzelne Unternehmen der verladenden Wirtschaft kaum lohnend betrieben werden könnte.
Der typische Stückgutverkehr (auch: Spediteursammelgutverkehr) ist durch die folgenden Eigenschaften gekennzeichnet:
– Heterogenes Sendungsaufkommen im Gewichtsbereich von 30 bis maximal 2.500 Kilogramm (oft stapelbar und palettentauglich).
– Die Sendungen verschiedener Auftraggeber werden im Regionalbereich abgeholt (Vorlauf) und in einem Umschlagslager nach Relationen sortiert.
– Gleiche Relationen werden im Fernverkehr gebündelt (Hauptlauf) und im Eingangsdepot der Zieldestination zu Nahverkehrstouren gebündelt und zugestellt (Nachlauf).
– Alternativ werden alle Sendungen an ein zentrales Umschlagslager (Hub) zugestellt und von dort an die regionalen Depots verteilt, wo sie auf Nahverkehrsfahrzeuge umgeschlagen werden.
– Besonderheit: Getaktete Verkehre, d.h. die Fahrzeuge fahren nach einem festen Zeitplan. Die Abläufe sind standardisiert und industrialisiert. Der Einsatz von Sendungsverfolgungssystemen, Barcodes und IT-gestützter Auftragsabwicklung ist mittlerweile „state of the art“.
Die Abwicklung von Stückgutverkehren erfolgt in der Regel über ein Netz von 30 oder mehr regionalen Umschlagslägern. Diese gehören zu einem Konzern oder setzen sich aus den Depots der regionalen Partner von Stückgutkooperationen zusammen. Innerdeutsch können die meisten Sendungen innerhalb von 24 Stunden zugestellt werden. Eine Leistung, die im europäischen Vergleich einzigartig ist.
Dies ist umso bemerkenswerter, als der Stückgutmarkt sehr mittelständisch geprägt ist, was im Übrigen auch auf den Kreis der Kunden zutrifft. Diese stammen zur Hälfte aus der Nahrungs- und Lebensmittelbranche (19 Prozent), gefolgt vom Metall- und Maschinenbau (17 Prozent) und der Baubranche (14 Prozent). Die zweite Hälfte verteilt sich auf nahezu alle anderen Branchen. Aus diesem Grunde verlaufen die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und die Entwicklung des Stückgutmarktes weitgehend parallel. (Quelle: „Challenges 2013“, Fraunhofer Arbeitsgruppe SCS)
Dies betrifft auch die internationale Ausrichtung dieses Marktes. Genauso wie die deutsche Wirtschaft sehr international ausgerichtet ist, folgen die Stückgutnetze diesem Trend und bauen ihre europäischen und internationalen Verbindungen zunehmend aus. Dies geschieht zum einen durch Gründung eigener Niederlassungen und zum anderen durch Aufnahme internationaler Partner in das Netz deutscher Speditionskooperationen. Der gesamteuropäische Umsatz im Stückmarkt liegt bei 44 Milliarden Euro, was einem Anteil von fünf Prozent am Umsatz der Logistik insgesamt entspricht.
Die Bedeutung der Stückgutlogistik für eine moderne, arbeitsteilig und global ausgerichtete Wirtschaft ist existenziell. Dies spiegelt sich auch in dem Stellenwert wider, den der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) diesem Teilsegment beimisst. Nach der letzten Branchenerhebung des DSLV aus dem Jahr 2010 engagieren sich 54 Prozent seiner Mitglieder im Bereich Stückgutspedition / Spediteursammelgutverkehr. Für 28 Prozent der DSLV-Mitgliedsunternehmen ist dies sogar der Schwerpunkt ihrer logistischen Tätigkeit. Darum unterhält der Verband auch eine Reihe von Arbeitskreisen, die sich mit den typischen Themen dieses Segments befassen, wie dem Paletten-/Lademittelmanagement, den Abläufen an den Verladerampen von Industrie und Handel oder der Analyse der Kostenentwicklung im Bereich des Stückgutmarktes.
Weiter Informationen finden Sie unter www.dslv.org
Der 1957 geborene Autor ist Speditionskaufmann und studierter Betriebswirt (FH) Verkehrswesen. 1981 trat er in das elterliche Unternehmen ein und leitet die Krage Speditionsgesellschaft mbH seit 1986 als geschäftsführender Gesellschafter. Krage ist Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbands e.V. (DSLV).