Schleswig-Holstein wird eher selten als klassischer Chemiestandort wahrgenommen. Gleichwohl ist Brunsbüttel mit rund 4.000 Mitarbeitern und einem Areal von 2.000 ha einer der herausragenden Fixpunkte der Chemischen Industrie Deutschlands.
Wer durch das eher beschauliche Brunsbüttel fährt, ahnt erst auf den zweiten Blick, dass die maritime Stadt an Elbe und Nord-Ostsee-Kanal das Zentrum des größten Industriegebiets von Schleswig-Holstein darstellt. Erst nach der Fahrt via Fähre oder Brücke über den Kanal in südlicher Richtung erschließt sich ein etwa 2.000 Hektar großes Areal an Gewerbeflächen mit gewaltigen industriellen Anlagen, die von landwirtschaftlich genutzten Feldern und Windkraftanlagen gesäumt werden. Das Gebiet liegt etwa 80 Kilometer nordwestlich von Hamburg entfernt und ist damit Teil der Metropolregion Hamburg, dem deutschen „Tor zur Welt“, dessen internationaler Flughafen innerhalb einer Autostunde erreicht werden kann.
Eingebunden ist das Gebiet zudem in den Wirtschaftsraum Unterelbe, der auch die niedersächsischen Industrieflächen an der Elbe umfasst. Damit die Wege auch hier immer kürzer werden, hat die egeb: Wirtschaftsförderung gemeinsam mit Partnern auf niedersächsischer Seite eine neue Fährverbindung zwischen Cuxhaven und Brunsbüttel angesiedelt, die mittlerweile auch das Interesse der Wirtschaft im benachbarten Dänemark geweckt hat.
Ein wichtiger Schwerpunkt der Industrieproduktion liegt – wie ursprünglich geplant – im Bereich der Chemie- und Mineralölindustrie. Seit den 1970-er Jahren siedelten sich zahlreiche Betriebe international erfolgreicher Unternehmen in Brunsbüttel an. Dazu zählen unter anderem Covestro (früher: Bayer MaterialScience), Bioenergie Brunsbüttel Contracting, Lanxess, Sasol, Total, Mercuria und Yara. Sie beliefern ihre Märkte rund um den Globus mit Produkten, die in Brunsbüttel produziert oder veredelt werden.
Gemeinsam mit weiteren Werken anderer Branchen am Standort Brunsbüttel sowie mit Betrieben aus der Region entlang der Strecke Hamburg-Sylt schlossen sich diese Unternehmen zum ChemCoast Park zusammen. Die Werkleiterrunde des ChemCoast Parks setzt zahlreiche wirtschaftliche Impulse in der Region und darüber hinaus – dies wird durch die Brunsbüttler Industriegespräche (BIG) eindrucksvoll dokumentiert.
Der ChemCoast Park selbst verfügt über eine gut ausgebaute Infrastruktur. Neben den bereits vorhandenen Anlagen stehen voll erschlossene, als Industriegebiet ausgewiesene Flächen auch für zukünftige größere Vorhaben zur Verfügung – und das zu vergleichsweise ausgesprochen günstigen Preisen. Darüber hinaus bieten die Partnerfirmen eine Vielzahl von Dienstleistungen an, die vom Brand- und Werkschutz über das Facility Management bis zur Analytik reichen. Die Rohstoffversorgung über Pipelines ist dabei ebenso gesichert wie eine umfassende technische Infrastruktur, die unter anderem auch Industriegas und Glasfaseranbindungen umfasst. Für die Entsorgung von Sonderabfall steht die Sonderabfallverbrennungsanlage SAVA in unmittelbarer Nähe zur Verfügung.
Grundsätzlich werden also partnerschaftlich viele Synergieeffekte genutzt, die zum Beispiel durch Einkaufsgemeinschaften, einen Werkstoffverbund oder auch in der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften entstehen. Teure Insellösungen werden damit vermieden und ersparen den Unternehmen hohe Kosten.
Vor allem das Know-how der regional und überregional tätigen Logistikunternehmen trägt entscheidend zum Erfolg der Produktionsbetriebe am Standort bei. So ist unter anderem die Friedrich A. Kruse jun. Internationale Spedition mittlerweile ein bedeutender Teil der Supply-Chain für die hier ansässigen Betriebe. Auf ihrem Betriebsgelände erfolgt zudem der Umschlag für führende Unternehmen der Windenergie-Branche, die aufgrund der riesigen Anlagenbauteile ein besonders großes Lager-Areal mit einem trimodalen Anschluss benötigen. Mit der Hinwendung zur boomenden Windkraft an der Nordseeküste – im Offshore-Bereich, aber auch an Land – soll in Teilen der Ausstieg aus der Kernkraft kompensiert werden.
In den drei zur Brunsbüttel Ports GmbH gehörenden Häfen werden jährlich rund 12 Mio. Tonnen Ladung umgeschlagen, womit Brunsbüttel der sechstgrösste Seehafenstandort Deutschlands ist. Zudem verbindet der Hafen eine enge Partnerschaft mit dem Hafen Hamburg.
Durch die Ausrichtung als Universalhafen können unterschiedlichste Ladungen aus den Bereichen Stück-, Flüssig- und Massengüter umgeschlagen werden. Regelmäßige Umschlagsgüter im Bereich Flüssiggut sind u.a. Rohöl, Propangas sowie Chemieprodukte. Der Elbehafen ist mit einem maximalen Schiffstiefgang von 14,80 Meter für Seeschiffe der PanMax-Klasse ausgelegt. Die Brunsbütteler Häfen sind trimodal angebunden. Neben der wasserseitigen Anbindung können die Güter landseitig sowohl per Bahn als auch über die Straße (A23 / B5) zu oder von den Häfen transportiert werden.
Die Chemie- und Mineralölindustrie ist immer noch von großer Bedeutung für die Wirtschaftsregion; so sind in den vergangenen Jahren die ansässigen Betriebe deutlich vergrößert und diversifiziert worden. Weitere Ansiedlungen wie die des Konservierungsmittel-Herstellers Schülke & Mayr befinden sich kurz vor der Umsetzungsphase. Unternehmen anderer Branchen wie die Bioenergie Brunsbüttel Contracting GmbH entschieden sich ebenfalls für diesen lukrativen Standort. Von der prosperierenden Wirtschaft im Raum Brunsbüttel profitieren auch zahlreiche Unternehmen in einem Radius von weniger als 70 Kilometer. Ob Gesundheitswirtschaft, Dienstleister oder Technologieunternehmen – in den Kreisen Dithmarschen und Steinburg gilt das industrielle Zentrum Brunsbüttel als „Zugpferd“ der wirtschaftlichen Entwicklung im Westen Schleswig-Holsteins. Das stellt sich nicht zuletzt auch in der Zahl der Arbeitsplätze dar. Während in Brunsbüttel direkt etwa 4.000 Menschen in der Industrie arbeiten, werden weitere 12.500 Arbeitsplätze in der Region von den Unternehmen am Standort beeinflusst. Unterdessen wächst der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften, vor allem an Technikern und Ingenieuren, weiter an. Ihnen wird im Umland ein hohes Maß an Lebensqualität geboten, die beim extrem günstigen Erwerb von Wohneigentum beginnt und bei einem für ländliche Regionen erstaunlich vielfältigen kulturellen Angebot endet.
Unabhängig von allen konjunkturellen Entwicklungen etablierten sich Brunsbüttel und der ChemCoast Park über Jahrzehnte als stabile Industrieregion im weltweiten Wettbewerb. Doch Stillstand bedeutet Rückschritt – und so sind die nächsten Schritte für den Ausbau des Standortes bereits umgesetzt oder zumindest im Planungsstadium. Am Elbehafen ist eine Multi Purpose Pier geplant, um zum Beispiel auch extrem schwere Güter vor Ort be- und entladen zu können. Einen weiteren Schub dürfte die Industrieregion zudem mittel- bis langfristig erfahren, wenn der geplante Weiterbau der Autobahn A20 bis Itzehoe und darüber hinaus nach Niedersachsen realisiert wird. Unterdessen wachsen die einzelnen Industriegebiete entlang der Unterelbe auf beiden Seiten – also in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen – weiter zusammen. Nicht zuletzt aufgrund eines gemeinsamen Regionalmanagements entsteht so ein großer Wirtschaftsraum, der problemlos mit anderen Großregionen in Europa konkurrieren kann und damit Zehntausende Arbeitsplätze in verschiedenen Branchen bietet.
Martina Hummel-Manzau
Die Autorin hat Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftsrecht und Politikwissenschaften studiert und hat nach einigen Stationen 2005 die Leitung des Centrums für Angewandte Technologien (CAT) in Meldorf übernommen, bevor sie 2007 als Stellvertreterin in die Geschäftsführung der egeb: Wirtschaftsförderung und ab 2009 zusätzlich in die Geschäftsführung des Wirtschafts- und Wissenschaftsparks für Marine Biotechnologie in Büsum (mariCUBE) einstieg. Seit 2014 ist sie alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der Entwicklungsgesellschaft Brunsbüttel mbH.