Die vierte industrielle Revolution, im Englischen „Internet of Things“, soll die Fabrik der Zukunft mit ihrem gesamten Produktionsumfeld zu einer intelligenten Umgebung vernetzen. Diesem Trend wird sich kaum ein Unternehmen entziehen können. Der sächsische Maschinenhersteller KAMA hat die Zeichen der Zeit erkannt und setzt verstärkt auf die Themen „Prozessoptimierung“ und „Vernetzung der Maschinen“.
Erster Mai 1851. Menschenmassen strömten an diesem Tag zum Londoner Hyde Park, wo Prinz Albert die erste Weltausstellung eröffnete. Die Besucher bejubelten die Vorbereiter des Industriezeitalters, allen voran die ersten industriell nutzbaren Dampfmaschinen und die Fortschritte im Telegrafiewesen. Die Folgen der ersten industriellen Revolution sind hinlänglich bekannt und gesellschaftswissenschaftlich gut analysiert, bedeuteten sie doch maßgebliche soziale und ökonomische Veränderungen und reformierten die industriellen Abläufe in bisher nie bekanntem Ausmaß.
Kaum 150 Jahre später kam es zu einer ähnlich dynamischen Entwicklung: Die zweite industrielle Revolution im Zeichen der elektrischen Energie erhöhte die Produktivität nochmals erheblich. Produkte (z. B. Automobile) konnten plötzlich in verschiedenen Varianten hergestellt werden. Fließbänder erhöhten die Arbeitsproduktivität durch Beschleunigung und Standardisierung der innerbetrieblichen Logistik.
Waren Dampfkraft und arbeitsteilige Massenproduktion Phänomene des 19. bzw. 20 Jhdt., erfuhr die industrielle Produktion ab den 1970er Jahren durch die Einführung des Computers in die Arbeitsabläufe eine nachhaltige Veränderung. Komplexe Arbeitsprozesse konnten nun bis ins Detail geplant und gesteuert werden. Mit dieser dritten industriellen Revolution griffen Fachrichtungen wie Messtechnik oder Automatisierungstechnik, Maschinenbau, Elektrotechnik und zunehmend auch die Informatik ineinander und sorgten für extrem leistungsstarke Produktionsstätten.
Vernetzung für den nächsten Quantensprung. Die Produktionsarbeit unserer Tage ist wie nie zuvor innerhalb verschiedenster Branchen stark miteinander verknüpft. Doch ein neuer grundlegender Transformationsprozess hält seit wenigen Jahren Einzug in die industrielle Fertigung und seine Folgen erleben wir bereits hautnah. Zukünftig werden alle Maschinen, Menschen und sogar einzelne Komponenten über das Internet miteinander verbunden sein und interaktiv kommunizieren. Damit werden Insellösungen und reine Verkabelungen der Vergangenheit angehören. Das Ziel dieser revolutionären Veränderung ist bereits ausgemacht und besteht in der „Verschmelzung der IT-Welt mit der klassischen Automatisierungstechnik“1. Für diese Verschmelzung sind eingebettete Systeme (Embedded Systems) in den Maschinen notwendig, welche durch die Kopplung mit globalen Netzen (Internet) zu Cyber-Physical-Systems (CPS) werden – der Basis von Industrie 4.0, der vierten industriellen Revolution.
Nicht alle Industrie 4.0-Themen sind neu – schon vor vielen Jahren sprach man von einer rein rechnergestützten Fabrik und von Produktdatenmodellen. Der Begriff Industrie 4.0 steht in diesem Fall allerdings für eine völlig neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Diese Zyklusbetrachtung umfasst verschiedene Phasen, von der Idee über die Entwicklung, Fertigung und Auslieferung eines Produkts an den Endkunden bis zum Recycling. Basis sind die permanente Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit, die Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit, aus diesen Daten zu jedem Zeitpunkt den optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten.
So revolutionär und innovativ sich diese Änderungen anhören, im alltäglichen Workflow lassen sich diese Prozesse nicht ohne Erfahrungswerte aus der Praxis umsetzen. Unternehmen sind komplexe Gebilde, die Umstellung der Produktionsprozesse auf Industrie 4.0-Normen ist ein technischer Entwicklungsprozess, der viel Know-how, Investitionen und ein gewisses Maß an Mut benötigt.
Von der Rilllinie zum vernetzten Workflow. Wie die Weichen für diese Entwicklung gestellt werden können, lässt sich an der Unternehmensgeschichte der Dresdner KAMA GmbH gut erkennen. Als Carl Theodor Remus 1894 mitten in der ersten industriellen Revolution sein „Verfahren und Vorrichtung zum Biegen von Pappe in scharfem Winkel ohne vorheriges Ritzen oder Nuthen“ zum Patent anmeldete, war die digitale Vernetzung noch Zukunftsmusik. Der Zeitpunkt der Erfindung der Rilllinie für Kartonagen passte perfekt, denn mit der Industrialisierung stieg der Bedarf an Verpackungen von Konsumgütern enorm, und Pappe und Papier waren kostengünstig. Von den 20er Jahren bis nach 1937 beeindruckte das Unternehmen, damals noch unter dem Namen SCAMAG, immer wieder mit Neuerungen bei Druck- und Weiterverarbeitungsmaschinen und entwickelte die erste automatische Stanzmaschine der Welt. Turbulente Zeiten folgten für die Dresdner während des zweiten Weltkriegs und danach und in den Jahren im Wirtschaftssystem der DDR. 21 verbliebene „Kamanesen“ erkämpften sich nach der Wende eine einjährige, vom Staat finanzierte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, welche 1994 die Grundlage für die Neugründung bildete – genau hundert Jahre nach der ersten Firmengründung. KAMA verfügt heute über zwei Geschäftsfelder: den Bau von Stanz- und Veredelungsautomaten und Falt-/Klebemaschinen sowie die Entwicklung und Fertigung von Systemkomponenten in beiden Bereichen beträgt der Exportanteil mehr als 80 Prozent.
Seit 2000 bringt das Unternehmen jährlich Innovationen auf den Markt, eine Grundvoraussetzung, um auch den digitalen Umstieg auf Industrie 4.0 zu meistern, denn die exponentielle Entwicklung der Digitalisierung der industriellen Produktion fordert geradezu ständige Erneuerungen und braucht hoch qualifizierte Entwicklungsingenieure. KAMA kooperiert eng mit den Hochschulen in Sachsen. Der Paradigmenwechsel zu Industrie 4.0 ist ein langfristiges Vorhaben. KAMA hat die Potenziale frühzeitig erkannt und ist mit eigenen Entwicklungen und Kooperationen in der Branche Vorreiter für Weiterverarbeitungsprozesse bei digital gedruckten Auflagen im Akzidenz- und Verpackungsdruck.
Weltpremiere für Faltschachteln „on Demand“. Den ersten großen Schritt präsentierten KAMA und HP Indigo auf den Finishing Days 2014 in Dresden mit einem effizienten end-to-end Workflow für digital gedruckte Faltschachteln. Neu für die meisten Unternehmen in der Verpackungsindustrie: Alle Maschinen im Workflow sind über ein Netzwerk verbunden – Voraussetzung, um die vielen kleinen Aufträge zu koordinieren (Track and Trace). Zentraler Leitstand für die KAMA-Maschinen und Netzwerk-Client ist das sogenannte „Cockpit“. Die gesamte Produktionssteuerung, Voreinstellungen der Maschinen, Inspektionssysteme zur Qualitätssicherung sowie die Auswertung von Leistungsdaten laufen über das elektronische Job-Ticket. Gedruckt und lackiert werden die Faltschachteln im digitalen Bogendruck beispielsweise auf der HP Indigo 30000. Die Weiterverarbeitung läuft auf der flexibel einsetzbaren Stanzmaschine KAMA DC 76 wahlweise mit oder ohne Heißfolienprägung. Im letzten Schritt faltet und klebt die FlexFold 52 die Zuschnitte zu lieferfähigen Faltschachteln mit Längsnaht oder Automatikboden. Die erste Faltschachtelklebemaschine für Kleinauflagen – neueste Entwicklung aus dem Hause KAMA – ist netzwerkfähig und verfügt über ein voll automatisiertes Einrichtesystem für sehr schnelle Auftragswechsel.
Prozessoptimierung in Echtzeit. Die effiziente Komplettlösung für kleine Faltschachtelauflagen trifft den Nerv der Zeit. Denn der Anstieg von Kleinauflagen bei Kosmetika, Arzneimitteln/Pharma, Beauty & Care sowie Food stellt Verpackungsmittelhersteller vor besondere Herausforderungen. Deren hochproduktive Fertigungsanlagen sind für große Auflagen mit Millionen Stück ausgelegt. Kleinauflagen lassen sich nur schwer integrieren, doch gerade hier wächst der Markt. Gebraucht wird eine Lösung mit minimalen Rüstzeiten, die in kurzer Zeit viele Auftragswechsel meistert und die für den Verpackungsmarkt erforderliche high-end Qualität liefert. Der Einsatz der neuen FlexFold rechnet sich schon für Auflagen ab 1.000 Stück. KAMA hat für die Neuentwicklung ein Patent angemeldet.
Die Umstellung auf vernetzte und flexible Produktionstechnologien wird KAMA’s Kunden viele Vorteile bringen. So kann flexibel auf Marktentwicklungen, auf kurzfristig geänderte Produktanforderungen oder auf schwankende Rohstoff- und Energiepreise reagiert werden, selbst bei unvorhergesehenen Ereignissen oder Störungen wie Stromausfällen oder Lieferungsverzögerungen. Die nächste Phase im Bereich Industrie 4.0 ist bereits im Kommen. Insbesondere im B2C-Bereich können Kunden ihre elektrischen Geräte künftig per Touch mit einer App auf dem Smartphone steuern und Zusatzinformationen abrufen.
Marcus Tralau
Der Autor ist Mitgründer und geschäftsführender Gesellschafter der KAMA GmbH. Nach erfolgreichen Jahren als Unternehmensberater im Auftrag der Bundesregierung übernahm Tralau bei dem Maschinenhersteller für die grafische Industrie selbst das Steuer. Mit Neuentwicklungen und strategischen Partnerschaften brachte der Betriebswirt und passionierte Segler den Traditionsbetrieb wieder auf Erfolgskurs, aktuell mit dem ersten e2e Workflow zum Fertigen digital gedruckter Faltschachteln.