Das Erfordernis schneller und sicherer Diagnosen stellt die ohnehin vor zunehmenden finanziellen Belastungen stehenden Gesundheitssysteme vor neue Herausforderungen. Das digitale Zeitalter eröffnet aber auch neue Chancen. Das Zauberwort der Gegenwart heißt Telemedizin.
Die Gesundheitswirtschaft ist die bedeutendste Einzelbranche des Landes Nordrhein-Westfalen. Mehr als 1,1 Millionen Menschen sind hier tätig und erwirtschaften einen jährlichen Umsatz von rund 60 Milliarden Euro. Etwa jeder sechste Beschäftigte ist mittel- oder unmittelbar in der Gesundheitsversorgung im Land tätig. Diese Rahmendaten unterstreichen, warum Nordrhein-Westfalen die Entwicklung der Gesundheitswirtschaft vielfältig unterstützt, beispielsweise durch ein eigenes Landeszentrum Gesundheit, das auf dem neu entwickelten Gesundheitscampus in Bochum zwischen der Hochschule für Gesundheit und dem Krebsregister NRW angesiedelt ist.
Im Rahmen seiner Landesinitiative eGesundheit.nrw bündelt das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen zahlreiche Projekte, die Informations- und Kommunikationstechnologien zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens erproben. Für den Bereich Telematik und Telemedizin ist Nordrhein-Westfalen institutionell mit dem Kompetenzzentrum ZTG (Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH) seit 1999 gut aufgestellt. Ziel des ZTG ist es, moderne Informations- und Kommunikationstechnologien für das Gesundheitswesen zu entwickeln, einzuführen und zu verbreiten, um die Versorgungsqualität bei begrenzten Kosten zu verbessern. Seit 2012 wird am ZTG mit dem Zentrum für Telemedizin (ZfT) zusätzlich eine eigenständige Abteilung für Telemedizin aufgebaut. Diese Abteilung ist dafür verantwortlich, die Ziele des Landes – den Aufbau entsprechender Rahmenbedingungen für eine telemedizinfreundliche Versorgungskultur in Nordrhein-Westfalen und die Steigerung der Akzeptanz für telemedizinische Anwendungen wie Telemonitoring, Telekonsil, Teleradiologie und Teletherapie – zu verwirklichen. Das ZfT ist außerdem Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung von Telematik und Telemedizin. Das Land fördert in diesem Bereich laut Mathias Redders, Leiter des Referats Gesundheitswirtschaft, Telematik im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium, zurzeit 30 Projekte mit insgesamt 25 Millionen Euro. Allein 14 Fördermaßnahmen entfallen dabei auf die Telemedizin, mit der sich im Land alleine insgesamt rund 60 Projekte befassen.
Weitere Forschungsschwerpunkte sind die elektronischen Fall- und Patientenakten, die in neun Projekten entwickelt und bearbeitet werden. Vorreiter ist hierbei die am Universitätsklinikum in Aachen entwickelte elektronische Fallakte (EFA). Unter der gemeinsamen Dachmarke Gesundheitswirtschaft.NRW vertreten die sechs Gesundheitswirtschaftsregionen Nordrhein-Westfalens landesweit abgestimmte Schwerpunktthemen und Themenpatenschaften.
Schwerpunktthemen der sechs Gesundheitsregionen in Nordrhein-Westfalen
Region Aachen: Medizintechnik/Life Science
Region Köln/Bonn: Gesundheit für Generationen
Region Münsterland: Präventive Medizin
Region Ostwestfalen-Lippe: Vernetzte Versorgung
Region Metropole Ruhr: Klinikwirtschaft
Region Südwestfalen: Werkstoffe und Techniken für die Gesundheitswirtschaft
Neben der EFA und telemedizinischen Projekten in der Modellregion Ostwestfalen hat besonders ein auf die teleradiologische Kommunikation aufsetzendes Projekt einen erfolgversprechenden Weg genommen. Mit TeBiKom.Ruhr ist 2012 ein durch das Land NRW und die EU unterstützter telemedizinischer Projektverbund mit einem Gesamtvolumen von rund 2,5 Millionen. Euro und einer Laufzeit bis 2015 an den Start gegangen.
Die Gesamtkoordination des Vorhabens liegt beim größten regionalen Netzwerk der Gesundheitswirtschaft in NRW (MedEcon Ruhr). Mit der VISUS GmbH aus Bochum, einem Marktführer für Bildmanagementlösungen in der Medizin, ist zudem ein etablierter Partner für die technische Entwicklungsplattform beteiligt, der einerseits jahrelange intensive Erfahrungen auf dem Gebiet der Bilddatenkommunikation hat und andererseits auch in der Lage ist, Weiterentwicklungen zu begleiten und umzusetzen. Ein Teilbereich dieses Projektes ist die Qualitätssicherung in der elektiven Teleradiologie, um den Auswirkungen des demografischen Wandels und des zunehmenden Ärztemangels entgegenzuwirken, der insbesondere in ländlichen Regionen Versorgungsengpässe entstehen lässt. Die elektive Teleradiologie könnte daher einen erheblichen Beitrag zur Sicherstellung der lokalen stationären Versorgung leisten. Ein weiteres Feld ist die interventionelle Behandlung von Schlaganfallpatienten, die oft eine rasche Verlegung der Patienten in ein entsprechend spezialisiertes Zentrum erfordert. Ein weiteres TeBiKom.Ruhr-Feld ist die teleradiologische Vernetzung von rund 30 kooperierenden neurologischen Kliniken, darunter acht Zentren mit interventionellem Schwerpunkt, und die Klärung der dafür notwendigen informations- und kommunikationstechnischen Voraussetzungen und medizinischen Anforderungen.
Bemerkenswert an diesem Projekt ist, dass es auf bereits etablierten und markterprobten Strukturen aufbaut – dem Westdeutschen Teleradiologieverbund. Mit diesem besteht ein Netzwerk von rund 200 angeschlossenen Kliniken, Reha-Einrichtungen und radiologischen Praxen, die mittels einer standardbasierten, herstellerneutralen und offenen Lösung aktuell 100.000 Untersuchungen jährlich untereinander versenden. Dieses bundesweit einmalige Netzwerk hat es nicht nur geschafft, die Kooperation von Kliniken zu verbessern, sondern auch eine lebendige Netzwerk-Gemeinschaft entstehen zu lassen. Bei regelmäßigen Veranstaltungen werden praktische Weiterentwicklungen von telemedizinischen Anwendungen diskutiert und Entwicklungsaufträge für die Industrie formuliert. So passt es auch gut zusammen, dass der Brückenschlag zwischen dieser Anwendung und der EFA vollzogen wurde und auch ein Projekt zur Integration von elektronischen Arztbriefen unter Einbeziehung des bei niedergelassenen Ärzten eingesetzten Standards KV-CONNECT auf den Weg gebracht wurde.
Das neue und weitere Entwicklungen auf ein bereits im Markt akzeptiertes und etabliertes System aufsetzen sollen, ist eine Besonderheit in einem Förderprojekt. Hiermit soll auch möglichst vermieden werden, dass neue Projekte zwar mit guten Ergebnissen, aber letztendlich als Insellösungen enden, die nicht oder nur mit erheblichen weiteren Aufwendungen mit anderen Lösungen kompatibel sind. Hier zeigt sich, dass die Bedeutung von Interoperabilität und Standards bei telemedizinischen Anwendungen und Entwicklungen auf nahezu allen Ebenen erkannt wird und auch entsprechende Berücksichtigung in konkreten Maßnahmen findet.
Und genau dieser Aspekt ist auch Thema des intensiven und vielfältigen Austauschs der verschiedenen Marktakteure, angefangen von der Landespolitik, die Rahmenbedingungen vorgibt und Fördermöglichkeiten eröffnet, über die NRW-Gesundheitsregionen, Fachverbände, Kliniken, Kostenträger sowie Dienstleister und die Industrie, die zum Beispiel durch CompuGroup Medical AG (Hattingen), i-SOLUTIONS Health GmbH (Bochum), März Network Services GmbH (Essen) oder der VISUS Technology Transfer GmbH (Bochum) stark vertreten ist. Damit zeigt Nordrhein-Westfalen, dass es seine Größe und seine Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Gesundheitsmarktstruktur nutzt, um federführend die Entwicklungen im Bereich Telematik und Telemedizin voranzutreiben.
Marcus Kremers.
Der Autor ist 45 Jahre alt und als Diplom-Volkswirt Absolvent der Universität Köln. Beruflich hat Marcus Kremers unter anderem mehrere Jahre als Pressesprecher der Vereinigung der Unternehmerverbände für Mecklenburg-Vorpommern gearbeitet. Seit 2012 ist er Geschäftsführer der MedEcon Telemedizin GmbH mit Sitz in Bochum.