Unter der Marke „Gesundheitsregion“ haben sich im Kreis Segeberg zahlreiche ambulante, stationäre und teilstationäre Dienstleister der Medizinbranche zusammengeschlossen. Im Interview mit Gesundheitswirtin Katharina Silies erläutert die Bad Segeberger Landrätin Jutta Hartwieg die Stärken der Gesundheitswirtschaft im Holsteiner Süden.
Guten Morgen Frau Hartwieg.
Haben Sie heute schon etwas für Ihre Gesundheit getan?
Jutta Hartwieg: (Lacht) Ich dachte, wir wollen über die Gesundheitswirtschaft im Kreis Segeberg reden? Aber Sie haben natürlich recht, wenn wir über Gesundheit reden, müssen wir bei uns selbst anfangen. Mein Job als Landrätin hat jede Menge ungesunde Seiten: Stress, Arbeitsbelastung, unregelmäßiges Essen und so weiter. Ich stehe deshalb früh auf, damit ich den Tag in Ruhe beginnen kann. Außerdem habe ich ein Dienstfahrrad – damit kann ich nahegelegene Termine auch mal mit etwas Bewegung verbinden.
Wie ist denn der Kreis Segeberg in der Gesundheitswirtschaft aufgestellt?
Sehr gut. Unter den sieben größten Arbeitgebern im Kreis Segeberg kommen vier aus der Gesundheitswirtschaft, an der Spitze die Firma Ethicon in Norderstedt. Insgesamt sind im Kreis Segeberg 13 Prozent aller Beschäftigten in der Gesundheitswirtschaft tätig, damit ist diese Branche der zweitwichtigste Wirtschaftszweig in unserem Kreis.
Im Bereich der stationären Versorgung bei den Pflegeeinrichtungen sind nur Kiel und Lübeck bezogen auf die Einwohnerzahlen besser versorgt. In einigen Disziplinen sind unsere Leistungserbringer so gut, dass sie auch überregional versorgen. Das Herzzentrum der Segeberger Kliniken beispielsweise führt im Jahr 7.000 Linksherzkatheteruntersuchungen durch – in der Uniklinik Lübeck sind es etwa 4.200!
In Sülfeld, einer unserer Gemeinden mit etwa 3.400 Einwohnern, ist das Forschungszentrum Borstel ansässig – und als Leibniz-Institut für Medizin und Biowissenschaften international tätig. Darauf sind wir natürlich besonders stolz. Der Kreis Segeberg ist Mitstifter des Forschungszentrums und als solcher im Kuratorium und in der Stiftungsversammlung vertreten. Drei unserer sechs Kliniken sind als Lehrkrankenhäuser anerkannt – so können wir sicher sein, immer am Puls der aktuellen Forschung und Lehre zu sein.
Die Kreisstadt Bad Segeberg ist Sitz zweier wichtiger Organe in der Gesundheitsversorgung: der Ärztekammer Schleswig-Holsteins und der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holsteins. Nicht zuletzt ist die traditionelle Verbindung zwischen Gesundheit und Natur in unserem Kreis zu nennen. Wir haben zwei Heilbäder, Bad Segeberg und Bad Bramstedt, die sich zu modernen Gesundheitsstandorten mit Angeboten nicht nur im klassischen Reha-Bereich, sondern auch für medizinische Wellness und Gesundheitstourismus mausern.
Im Bereich des stationären Vorsorge- und Reha-Angebots liegen wir auf Platz vier von allen 15 Gebietskörperschaften in Schleswig-Holstein. Das neugegründete Kompetenzzentrum Gesundheitstourismus, ansässig in Bad Bramstedt, wird diese Entwicklung für den Kreis Segeberg und für Schleswig-Holstein voranbringen.
Und was tun Sie als Kreis, als Gebietskörperschaft für das Thema?
Wir legen Wert auf Vernetzung. Seit 2001 gibt es die Gesundheitsregion Segeberg, ein Netzwerk aus Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, welches vom Kreis Segeberg koordiniert wird. Unter der Marke Gesundheitsregion finden Veranstaltungen statt, zum Beispiel zum Thema Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, ein Thema bei dem wir als Verwaltung selbstverständlich ressortübergreifend arbeiten. Seit 2008 sind wir Initiator und Träger eines weiteren Netzwerkprojekts: MedComm – Regionalmanagement Gesundheit Südholstein. Wir haben eine Geschäftsstelle eingerichtet, von der aus Veranstaltungen und Projekte initiiert und koordiniert werden. Wir erhalten dafür Fördermittel aus dem Zukunftsprogramm Wirtschaft und werden zusätzlich von allen Kliniken im Kreis unterstützt. Wir wollen mit diesem Projekt ein Signal setzen, das auch über den Kreis Segeberg hinausgehen soll: Gesundheitswirtschaft ist für unsere Zukunft von immenser Bedeutung, als Wachstumsmarkt, Jobmotor und als Antwort auf die kommenden Herausforderungen einer gesunden Gesellschaft. Dafür müssen wir uns rüsten, und zwar gemeinsam mit Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Nicht zuletzt sind auch unsere Bürgerinnen und Bürger gefragt. In den Aktivregionen im Kreis Segeberg, zum Beispiel bei „Holsteins Herz“, kann jeder mitarbeiten und Projekte realisieren. Gesundheit und Lebensqualität ist hier das Handlungsfeld Nummer eins. Über die Aktivregion läuft auch unser Projekt „Gesundheitspark am Großen Segeberger See“. In Bad Segeberg entsteht ein neues Konzept für den Gesundheitsstandort, welches bestehende Angebote mit neuen unter einer gemeinsamen Marke verbindet. Das Thema Gesundheit muss einfach noch besser sichtbar und erlebbar werden – die Menschen sollen Spaß daran haben, etwas für ihre Gesundheit zu tun, und sehen, wie viele Möglichkeiten es dazu gibt. Ohne Menschen, die an ihrer Gesundheit interessiert sind, kann die Wirtschaft auch keine Kunden gewinnen.

Am Forschungszentrum in Borstel werden unter anderem neue Methoden zur Erkennung und Behandlung von Lungenerkrankungen entwickelt.
Nicht zuletzt möchte ich auch einmal auf unsere Verwaltung hinweisen, die sehr kompetent, aber manchmal etwas zu sehr im Verborgenen arbeitet – ich sage jetzt nur mal das Stichwort Schweinegrippe, dort wurde Bürgerorientierung und Engagement gezeigt.
Wo sind denn heute Schwachstellen? Oder zeichnen sich zukünftige Probleme ab?
Bei Problemen in der Gesundheitswirtschaft beziehungsweise in der gesundheitlichen Versorgung spielt natürlich immer der demografische Wandel eine Rolle. Wir werden auch im Kreis Segeberg älter. Bei der hausärztlichen Versorgung kommen bei uns gut 1.600 Einwohner auf einen Hausarzt, 2015 werden es über 2.700 sein. Die Landkreise in Schleswig-Holstein liegen heute im Mittel bei etwa 1.500 Einwohnern pro Hausarzt. Im Kreis Segeberg haben wir zusätzlich eine strukturell unterschiedliche Versorgung. Norderstedt im Speckgürtel von Hamburg ist da besser aufgestellt als der Nordosten des Kreises.
Ganz wichtig für die Gesundheitswirtschaft ist natürlich der Nachwuchs an qualifizierten Arbeitskräften. Wir haben über MedComm einmal untersucht, wie sich die Ausbildung und Beschäftigung in den Gesundheitsberufen entwickelt und es ist klar: Wir müssen noch viel mehr Werbung für diesen Arbeitsmarkt machen, der mit Vielfältigkeit und Krisenfestigkeit punkten kann.
Unter fünf Prozent Arbeitslosigkeit in den Gesundheitsberufen! Davon können andere Branchen nur träumen.
Welche Strategien verfolgen Sie, um hier besser zu werden?
Wir arbeiten in verschiedenen Gremien eng mit den Akteuren zusammen. Zum Thema Versorgung im Alter hat die Pflegekonferenz des Kreises Segeberg ein Strategiepapier entwickelt: Älter werden im Kreis Segeberg. Zentrale Aussage ist, dass ältere Menschen länger in der eigenen Häuslichkeit leben sollen. Dafür benötigen sie Netzwerke und individuelle Dienstleistungen im Homecare-Bereich – auch das ist ein Zukunftsmarkt gerade für kleine Unternehmen. Beim Stichwort “Leben zuhause” sind wir natürlich auch bei der Telemedizin. Es gibt heute bereits tolle Möglichkeiten, von zuhause aus mit dem Arzt oder dem Krankenhaus zu kommunizieren und sogar Vitalwerte wie EKG, Puls, Blutdruck, Blutzucker und so weiter zu übermitteln. Solche Angebote sind natürlich besonders für chronisch kranke Menschen und in der ländlichen Versorgung wichtig. Im Kreis Segeberg haben wir bereits ein telemedizinisches Zentrum an den Segeberger Kliniken, die sehr gute Erfahrungen mit herzkranken Patienten gemacht haben. Im Moment läuft gerade ein neues Projekt in Trägerschaft des Kreises Segeberg an, mit dem die Herztöne des ungeborenen Kindes in der Schwangerschaft von zuhause aus an den Kreißsaal geschickt werden können, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Mit solchen Angeboten schafft man auch im ländlichen Raum nachhaltig Lebensqualität und damit wollen wir punkten.
Was ist Ihre Vision für 2020?
Zunächst einmal wünsche ich mir mehr Transparenz und Übersichtlichkeit. Patienten sollten mehr als Kunden betrachtet und der Zugang zur passenden medizinischen Versorgung erleichtert werden, zum Beispiel wenn man neu in einer Stadt ist.
Dann stelle ich mir vor, dass wir den Wert unserer Gesundheit und auch den Wert gesundheitsbezogener Dienstleistungen mehr zu schätzen wissen, weg von der Haltung, die Kasse wird es schon bezahlen, hin zu mehr Eigeninitiative für Gesundheit. Am Arbeitsplatz sind auch die Arbeitgeber gefragt, Gesundheitsförderung als Nutzen bringend aufzufassen und ihren Mitarbeitern ein Angebot zu machen, zum Beispiel Fitnessräume, das ist in anderen Ländern schon gang und gäbe, Stichwort “Work-Life-Balance”. Und nicht zuletzt wünsche ich mir für unsere Region, dass man sich im Zusammenhang mit Gesundheit wieder auf seine Tradition besinnt und ein authentisches Angebot entwickelt, das modern ist, aber auch in die natürliche und die wirtschaftliche Landschaft passt.
Jutta Hartwieg ist Landrätin des Kreises Segeberg. Sie studierte Informatik und Pädagogik, lehrte in verschiedenen Bildungseinrichtungen und entwickelte EDV-gestützte Lernsysteme. Sie konzeptionierte und leitete zahlreiche IT-Projekte, unter anderem als Beraterin im Deutschen Bundestag. Als selbstständige Unternehmensberaterin und Trainerin begleitete sie Reformprozesse und bildete Führungskräfte aus.