In den Städten werden die Zukunftsprojekte für Gesellschaft und Wirtschaft diskutiert, entworfen und erprobt. In den Städten muss der Kampf gegen den Klimawandel gewonnen werden. In den Städten suchen Menschen Mobilität, Existenzchancen und Aufstiegsmöglichkeiten. Unsere Städte müssen sich besonderen Herausforderungen stellen. Die Zeiten, in denen Ökologie, Ökonomie und soziale Chancengleichheit als konkurrierende Ziele betrachtet wurden, sind vorbei. Von Nachhaltigkeit in allen relevanten Handlungsfeldern spricht heute jeder und Begriffe wie „green building“, „green IT“ oder „green technology“ sprechen für sich. Selbst in den Finanzzentren ist das Thema angekommen, das beweisen Börsenindizes wie der Dow Jones Sustainability Index.
Auch in einer zunehmend virtuellen Welt findet Wirtschaft nicht im virtuellen Raum statt. Sie wird von Menschen gemacht, die in einer realen Stadt leben und arbeiten. Sie haben dort ihr Zuhause, ihre Familien, ihre Freunde und Bekannten. Ich bin davon überzeugt, dass urbane Modernität mit dem Leitbild einer „green city“ eine neue Dynamik und Realität gewinnt. Die „green city Darmstadt“ ist für mich ein lebenswertes Darmstadt in einer lebenswerten Region Rhein-Main-Neckar. Diese Stadt wird aber nicht alleine von den hier lebenden Menschen geprägt. Ebenso muss sie auch eine Stadt sein, in der Unternehmen und Einrichtungen – die institutionellen Bürger der Stadt – sich gerne ansiedeln und zu Hause sind. 2011 bin ich als Oberbürgermeister an der Spitze eines neuen Magistrats und einer neuen Koalition angetreten, um dafür zu arbeiten. Versetzen wir uns also in unser Darmstadt im Jahr 2025 und lassen Sie mich darstellen, wie die Vision der „green city“ auf verschiedenen Feldern Wirklichkeit wird.
Wirtschaft. Darmstädter Unternehmen wirtschaften nachhaltig – auch aufgrund der guten logistischen Anbindung und der Versorgung aus regenerativen Energien. Die Wertschöpfung der Zukunft ist kreativ, divers, innovativ und nachhaltig. Unsere wirtschaftlichen Entwicklungscluster der Gegenwart, Chemie/Pharma/Biotech, IUK-Technologien, Haarkosmetik, Maschinenbau/Elektrotechnik/Mechatronik sowie Weltraum- und Satellitentechnologie, haben wir im Jahr 2025 mit einem neuen Entwicklungscluster Nachhaltigkeit ergänzt und verbunden. Hier sind neue Unternehmen entstanden, die mit „green technology“ erfolgreich sind. Darmstädter Unternehmen haben in ihren jeweiligen Märkten führende Positionen eingenommen, da sie wissensbasiert arbeiten, auf exzellente Fachleute zurückgreifen können und in einer optimalen Kooperation mit Stadt und Region unterstützt werden.
Wissenschaft. Darmstädter Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen sind an der Spitze in Forschung und Entwicklung bei „green technology“ und „green cities“. Neue Fachbereiche setzen weltweit Trends. Historisches Beispiel ist die weltweit erste Fakultät für Elektrotechnik, gegründet 1883. Hier werden heute schon Forschung und Entwicklung für die effektive Erzeugung und Nutzung elektrischer Energie vorangetrieben. Neben den naturwissenschaftlichen und technischen Fakultäten hat die Wissenschaftsstadt Darmstadt an allen drei Hochschulen Fachbereiche für Gesellschafts- und Sozialwissenschaften. Über 30 wissenschaftliche Institute, darunter bedeutende Fraunhofer- und Helmholtz- Standorte, das Öko-Institut und das Institut Wohnen und Umwelt, haben sich mit ihren jeweiligen Kompetenzen in der Entwicklung der „green city“ engagiert und bilden das Netzwerk „green thinking“.
Der Autor (Jahrgang 1962) hat Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität in Göttingen studiert. Von 2006 bis 2011 war er hauptamtlicher Stadtrat der Wissenschaftsstadt Darmstadt sowie Dezernent für Soziales, Jugend, Wohnen, Arbeitsmarktpolitik, Frauenpolitik und interkulturelle Angelegenheiten. Jochen Partsch ist seit dem 25. Juni 2011 Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt.
Energie. Unabhängig von großen Konzernen wird Energie durch den Energieversorger HSE, der mehrheitlich in städtischer Hand ist, ohne Atomstrom, mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien erzeugt. Die HSE-Vertriebstochter Entega ist schon heute einer der bedeutendsten Ökostrom-Lieferanten Deutschlands. Lange vor der Entscheidung des Bundestages zum Atomausstieg haben wir in Darmstadt die Blaupause für die Energiewende entwickelt. Im Jahre 2025 wird nicht nur die Stadtverwaltung, wie das heute schon der Fall ist, sondern der Großteil der Haushalte und Unternehmen erneuerbare Energie nutzen.
Gebäude. Der durchschnittliche Energieverbrauch pro Quadratmeter für Heizung und Kühlung von Darmstädter Gewerbe- und Wohngebäuden wird deutlich unter dem Bundesdurchschnitt und nah am Niedrigenergiehaus-Standard liegen. Bestehende Gebäude, auch Bürogebäude, wurden energetisch modernisiert und Neubauten nach optimalen energetischen Standards errichtet. Die Vorreiterrolle Darmstadts im „green planning“ und „green building“ ist in den Architekturstudiengängen erfahrbar, wird in den Planungsbüros konkretisiert und ist an den Gebäuden in der Stadt sichtbar.
Mobilität. Darmstadt ist 2025 eine Stadt der kurzen Wege, in der Mobilität intelligent organisiert ist, auch für Menschen, die von außerhalb in die Stadt kommen. Energieeffiziente Verkehrsmittel werden von der Bevölkerung angenommen, weil sie bedarfsgerecht, bequem und preiswert organisiert sind. Busse, Straßenbahnen und Regionalbahnen schaffen attraktive Verbindungen innerhalb und außerhalb der Stadt. Leihräder und Carsharing sind selbstverständlich. Darmstadt hat sich von der Modellregion für Elektromobilität zur Vorbildregion für ökologische Mobilität entwickelt. Im Mobilitätsmix der Stadt haben alle Verkehrsteilnehmer einen angemessenen Platz – Darmstadt ist ein positives Beispiel für „green mobility“.

Logistik. Auf dem Feld der „green logistics“ ist Darmstadt eine der letzten Städte mit einem Güterbahnhof in unmittelbarer Nähe zu den Gewerbegebieten. Für den Güterumschlag hat er 2025 eine gestärkte zentrale Funktion. Zusammen mit dem 20 Kilometer entfernten Container-Terminal am Rheinhafen Gernsheim haben wir über die Seehäfen Rotterdam und Antwerpen globale Gütertransport-Verbindungen. Für den Handel mit Osteuropa existiert über den Rhein-Main-Donau-Kanal eine Verbindung bis zum Schwarzen Meer.
Soziale Nachhaltigkeit. „Wir in Darmstadt – wir für Darmstadt“ – gleich welche Staatsangehörigkeit, welches Alter oder welches Lebensmodell. Dieses Gefühl hat sich bei der Mehrheit der Menschen, die in Darmstadt leben, lernen und arbeiten, verinnerlicht. Denn die Stadt macht nicht alles, aber alle machen die Stadt! Frühzeitige Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie weiteren institutionellen Akteuren bei wichtigen Projekten hat die Menschen in Darmstadt darin bestärkt, mit zu entscheiden und damit die Entwicklung der Stadt mit zu gestalten. Zum Beispiel bei einem Bürgerhaushalt, bei Infrastrukturentscheidungen oder Maßnahmen zur Kinderbetreuung. Darmstädterinnen und Darmstädter übernehmen Verantwortung für ihre Stadt, sie mischen sich ein und werden gehört, auch jenseits von Wahlterminen.
Erholungsräume. Eines der traditionellen Etiketten Darmstadts, „die Stadt im Walde“, ist auch 2025 nach wie vor gültig. Die Stadt ist umgeben von ökologisch gesunden Wäldern, Wiesen und Feldern. Von jedem Teil Darmstadts können Sie in maximal 45 Minuten zu Fuß einen Wald erreichen. Die Aktiven aus Deutschlands erstem Lauftreff an der Lichtwiese genießen regelmäßig das Laufen in der Natur. Darmstadt ist also auch aus der Vogelperspektive eine „green city“.

Dies alles ist nicht nur Zukunftsmusik, wie ein Blick auf bisher Erreichtes zeigt. Nachhaltigkeit ist in Darmstadt seit langem zu Hause. Zahlreiche Initiativen, Aktivitäten und Institutionen wurden hier gegründet. Sie zeigen, dass wir bereits auf einem guten Weg zur „green city“ Darmstadt sind. 1971 wurde das Institut für Wohnen und Umwelt gegründet, im Jahr 1980 folgte die Gründung der Öko-Institut-Niederlassung Darmstadt. Deutschlands erstes Passivhaus wurde 1991 in Darmstadt-Kranichstein bezogen und 1996 das Passivhaus-Institut ins Leben gerufen. Im gleichen Jahr entstand hier Deutschlands erster Lehrstuhl für regenerative Energien. Das Agenda21-Büro der Wissenschaftsstadt Darmstadt öffnete 1998. Die HSE-Tochter NATURpur Energie AG ging 1999 an den Start und zur Förderung des gemeinnützigen bürgerschaftlichen Engagements wurde die HSE Stiftung ins Leben gerufen. Im Jahr 2005 fuhr Deutschlands erste Ökostrom-Straßenbahn in Darmstadt. Seit 2010 beziehen wir den gesamten ÖPNV-Strombedarf aus klimaneutralem Ökostrom. Die Stadt stellt seitdem ein kostenfreies Solarpotenzialkataster im Internet zur Verfügung. Damit kann flächendeckend für jedes Gebäude die Eignung zur Solarenergiegewinnung dargestellt werden. Bereits 2012 wurde von der HSE eine Gasturbinenanlage mit einer Leistung von 100 Megawatt in Betrieb genommen, um die Schwankungen von regenerativen Energien auszugleichen. Zurzeit hat die HSE elf Windparks, vier Solarparks, über 120 Fotovoltaikanlagen, vier Biogasanlagen und ein Biomasseheizkraftwerk in Bau oder Betrieb. Bis 2015 wird die HSE AG über eine Milliarde Euro in erneuerbare Energien investiert haben.
Wir können in Darmstadt auf vielen starken Fundamenten unsere „green city“ aufbauen. Gemeinsam mit Bürgerschaft, Wirtschaft und Wissenschaft werden wir die Vision der „green city Darmstadt“ verwirklichen.