Die arabische Welt befindet sich seit 2011 im Umbruch. Dieser Umbruch nahm seinen Anfang in Tunesien. Deshalb ist es besonders wichtig, dass Tunesien den demokratischen Wandel unumkehrbar macht. Auch wenn der Ausgang der Entwicklung noch offen ist, ein Zurück zu den alten Verhältnissen ist kaum vorstellbar. Die Menschen haben genug von Bevormundung, Unterdrückung und fehlenden Perspektiven. Die Errungenschaften der Jasmin-Revolution und das zarte Pflänzchen Demokratie dürfen mit Blick auf die derzeitige schwierige Situation nicht aufs Spiel gesetzt werden. Von den politisch Handelnden der Regierung und Opposition in Tunesien wünsche ich mir, dass sie sich in diesem entscheidenden Moment der jungen Demokratie ihrer Verantwortung für das Wohl des ganzen Landes bewusst sind.
Von zentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung in Tunesien ist der wirtschaftliche Erfolg. Und dabei kommt es ganz besonders darauf an, jungen Menschen neue Perspektiven zu bieten. Mehr Freiheit, mehr Lebenschancen, mehr Arbeitsplätze. Die Defizite hier waren der Auslöser für die politischen Umbrüche in Tunesien.
Daher kann die Wende dauerhaft auch nur gelingen, wenn die wirtschaftliche Lage besser wird und vor allem die jungen Menschen neue Chancen sehen. Tunesien bei diesem Prozess zu unterstützen ist eine Chance, auch für Deutschland. Es geht hier nicht darum, eine Demokratie im Stil des westlichen Vorbilds zu exportieren: Ein politisches System kann nur dann langfristig stabil sein, wenn es auf den Legitimitätsvorstellungen der eigenen Gesellschaft beruht. Aber: Unsere kulturelle Offenheit findet ihre Grenze da, wo fundamentale Menschenrechte verletzt werden. Die Achtung der Menschenrechte ist die Grundvoraussetzung für eine Unterstützung durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.
Tunesien ist uns wichtig. Deshalb führte ich im September 2012 erstmals auf Staatssekretärs-Ebene mit einem Partnerland der Maghreb-Region Regierungsgespräche. Diese Konsultationen waren Ausdruck der neuen Qualität der bilateralen Beziehungen und der Bedeutung, die die Bundesregierung dem politischen und wirtschaftlichen Wandel in Tunesien beimisst. Die in Berlin unterzeichnete „Gemeinsame politische Erklärung“ vertiefte die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Tunesien in den Bereichen Bildung, Hochschulwesen, Berufs- und Weiterbildung, Forschung und Innovation einschließlich der Zusammenarbeit im Energiebereich sowie bei der guten Regierungsführung.
Tunesien ist bereits seit Jahrzehnten Partner für Deutschland. Aber die Jasmin-Revolution hat ein neues Kapitel in unserem bilateralen Verhältnis aufgeschlagen.
Deutschland stellt für die Entwicklungszusammenarbeit und die deutsch-tunesische Transformationspartnerschaft einen dreistelligen Millionenbetrag bereit. Wir richten die Zusammenarbeit an den neuen Prioritäten des Landes aus: Entwicklung entlegener Regionen, Beschäftigungsförderung und politische Transformation. Deutschland hat 60 Millionen Euro Schulden des alten Tunesien umgewandelt – Geld, das das neue Tunesien nun für Entwicklungsprojekte und beschäftigungswirksame Fördermaßnahmen in ärmeren Regionen einsetzen kann. Deutschland stellt außerdem 51 Millionen Euro zur Verfügung, um den Finanzzugang kleinerer Unternehmen in Tunesien zu verbessern und so nachhaltig Jobs zu schaffen. Im politischen Transformationsprozess unterstützen wir Tunesien zum Beispiel bei der Dezentralisierung. Denn dezentrale Planungsprozesse unter Einbeziehung der Bevölkerung können helfen, eine konstruktive Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft aufzubauen.
Wirtschaftliche Freiheit bietet den Rahmen für ein freies Handeln. Gerade die jungen Menschen wollen ihr Leben durch eigene Arbeit verbessern und bei der Gestaltung des neuen Tunesiens mitwirken. Sie wollen den Wert der Freiheit leben. Wir unterstützen Tunesien, eine ökologisch nachhaltige, soziale und wettbewerbsfähige Wirtschaft zu entwickeln. Mit der demokratischen Entwicklung wird zugleich der Grundstein für die weitere Zusammenarbeit gelegt.
Unsere Entwicklungszusammenarbeit zielt immer darauf, die konkreten Lebensbedingungen der Menschen zu stärken: Wir verbessern die Wasserversorgung in der Landwirtschaft, damit die Bauern höhere Erträge erwirtschaften. Wir verbessern die Ausbildung junger Menschen, damit sie schneller einen qualifizierten Arbeitsplatz finden. Wir verbessern den Mikrofinanzsektor, damit kleine selbständige Unternehmer im ganzen Land leichter Kredite bekommen können.
Junge Menschen wollen etwas bewegen. Wer sich jahrelang durch Ausbildungen und Weiterbildungen qualifiziert hat, der erwartet zu Recht Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Chancen und Möglichkeiten schaffen wir in enger Zusammenarbeit mit dem Privatsektor und vermitteln Traineeships an Hochschulabsolventen. Auf diese Weise können die Absolventen Berufspraxis erwerben und ihre Anstellungschancen erhöhen. Zudem werden Marktnischen mit Wachstumspotenzialen identifiziert und Unternehmensgründungen in diesen Bereichen gefördert. In den tunesischen Urlaubsregionen werden Jobs im Tourismussektor geschaffen und vor allem über die Nebensaison hinweg abgesichert.
Nicht nur die Lebenswirklichkeit der Menschen direkt vor Ort wird durch Deutschland verbessert, sondern auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insgesamt, die ein nachhaltiges Wachstum begründen: Durch eine enge Kooperation mit der Deutsch-Tunesischen Auslandshandelskammer (AHK) sowie durch politische Beratung des Industrieministeriums zu Innovation und Unternehmungsgründungen wird die Wettbewerbsfähigkeit der tunesischen Wirtschaft nachhaltig gestärkt. So werden die Investitionsbedingungen für die Privatwirtschaft und die Beschäftigungschancen der Menschen verbessert.
Daneben sind im Rahmen der von Deutschland und Tunesien vereinbarten Transformationspartnerschaft viele Initiativen verschiedener Ressorts ins Leben gerufen worden, mit denen bereits heute flexibel auf aktuelle Herausforderungen eingegangen werden kann.
Die ersten Früchte der Anstrengungen der tunesischen Bevölkerung werden sichtbar. So hat Tunesien sich bei der EU zu Recht den Statuts „statut avancé“ erarbeitet. Tunesien hat als erstes assoziiertes Land in der Region den Status einer „privilegierten Partnerschaft“ mit der EU erreicht. Aus unserer Sicht ist dies politisch auch eine Anerkennung für den demokratischen Prozess im Land.
Der Status bringt Tunesien konkrete Vorteile: Bislang bestand nur für tunesische Industrieprodukte ein Freihandelsabkommen mit der EU. Nun wurde der rechtliche Rahmen dafür geschaffen, dass künftig auch Agrarprodukte und Dienstleistungen in den Genuss dieser Vorrechte kommen. Bessere Exportbedingungen für Tunesien stärken die Wirtschaft im Land und schaffen Arbeitsplätze. Die Partnerschaft wird Tunesien weitere Vorteile für Exporte in die Staaten der EU bringen und das Umfeld für ausländische Investoren verbessern.
Touristen und Investoren haben eine Gemeinsamkeit: Sie wollen Sicherheit. Tunesien hat durch seinen weitgehend friedlichen demokratischen Wandel enorm an internationalem Renommee gewonnen. Dieses Ansehen gilt es zu bewahren und weiter zu entwickeln. Für einen spürbaren Anstieg der deutschen Investitionen ist jetzt wichtig, dass sich die tunesische Politik auf die Verabschiedung einer Verfassung konzentriert, die das Volk eint, und dann auf dieser Grundlage freie und faire Wahlen abhält. Ich bin sicher, dass diese beiden Schritte Tunesiens Ansehen in der Welt weiter erhöhen. Den deutschen Unternehmen gebe ich mit auf den Weg: Wer zu lange zögert, verpasst die besten Chancen.
Der Autor ist Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und war von 1995 bis 2009 Bundesgeschäftsführer der FDP. Er lernte die Grundzüge der Entwicklungspolitik als Referent bei der Friedrich-Naumann-Stiftung kennen und leistete insgesamt mehr als 100 internationale Einsätze in Mittel- und Südamerika sowie Südostasien.