Industrie- und Gewerbegebiete sind für die tunesische Regierung ein zentrales Wirtschaftsförderungsinstrument. Um bestehende Unternehmen zu binden und ausländischen Firmen Anreize zur Ansiedlung zu bieten, sind eine gut ausgebaute Infrastruktur dieser Gebiete sowie bedarfsorientierte Dienstleistungen unerlässlich.
Tunesien bietet als Brückenkopf gute Perspektiven für ausländische Investoren. Deutsche Unternehmen genießen in Tunesien eine gute Reputation und sind dort hoch willkommen. Die für eine Ansiedlung notwendige Infrastruktur ist entweder vorhanden oder wird weiter ausgebaut. Ein bislang ungelöstes Problem ist die hohe Arbeitslosigkeit, die vor allem Jugendliche betrifft und für soziale Spannungen sorgt. Auf der anderen Seite sind viele erwachsene Erwerbstätige gut qualifiziert – bei vergleichsweise niedrigem Lohnniveau. Doch Tunesien möchte sein Image als Billiglohn-Land verändern und sucht bei Produktionsverfahren und Entwicklungsprozessen Anschluss an die großen Industrienationen. Gleichzeitig verfügt das Land über das fortschrittlichste Gesundheitssystem im nordafrikanischen Raum und möchte auch den Dienstleistungssektor weiter ausbauen. So versteht sich Tunesien nicht zu Unrecht als Brücke zwischen Europa und den französisch- beziehungsweise arabischsprachigen Ländern Afrikas.
Firmen, die in den strukturell schwächeren Landesregionen investieren möchten, genießen besondere Vorteile. Doch bei Vorhaben im Landesinneren sollte die Gesamtsituation genau analysiert werden. Dabei ist ein intensiver Austausch mit Unternehmen, die bereits vor Ort sind, ratsam. Kontakte, die sich bei der Recherche und Informationsbeschaffung als hilfreich erwiesen haben, sind im Anhang zusammengestellt.
Bündelung von Unternehmen – Optimierungsbedarf bei Planung und Management. Die Hälfte der rund 5.800 Industrie- und Produktionsunternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten befindet sich in einem der landesweit 158 Industrie- und Gewerbegebiete. Die Industrie hat im Land einen hohen Stellenwert: Insgesamt 500.000 Arbeitnehmer sind im weiterverarbeitenden (sekundären) industriellen Sektor beschäftigt. Der Industrieanteil am Bruttosozialprodukt liegt bei etwa 35 Prozent.
Doch die infrastrukturellen Herausforderungen und Serviceprobleme der Gewerbegebiete sind vielerorts noch beträchtlich. Deutsche Investoren sollten darum bei ihrer Standortauswahl ein besonderes Augenmerk auf ein funktionierendes Management und ein Basisangebot an übergeordneten Dienstleistungen richten. Insgesamt muss sich die Situation in den Industrie- und Gewerbetrieben in den nächsten Jahren weiter verbessern, damit Firmengründungen für ausländische Investoren attraktiv bleiben. Das derzeit existierende Managementsystem durch Selbstverwaltung kann zurzeit nur in einigen Industrie- und Gewerbegebieten die Instandhaltung der Infrastruktur sowie die Sicherstellung aller benötigten Dienstleistungen ausreichend gewährleisten. Dazu kommen Umweltprobleme, die vor allem durch die Abwasser- und Abfallentsorgung verursacht werden.
Marktpotenziale: Dienstleistungen und Infrastruktur in bestehenden und neuen Gewerbegebieten. Gleichzeitig ergeben sich Marktpotenziale für ausländische Firmen, etwa für bestimmte Dienstleistungen innerhalb der bestehenden Industrie- und Gewerbegebiete, die in Kooperation mit tunesischen Firmen erschlossen werden können. Beispiele dafür sind die Einrichtung von Kantinen oder die Abfallentsorgung. Weitere Möglichkeiten ergeben sich aus der Neuplanung von bis zu 120 neuen Industrie- und Gewerbegebieten bis 2014. Derzeit wird der rechtliche Rahmen für transparente Ausschreibungen geschaffen, so dass sich auch europäische Firmen an der Entstehung der neuen Infrastrukturen beteiligen können.
Wirtschaftliche, ökologische und soziale Stärkung von Gewerbegebieten. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt das aufstrebende Tunesien im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bei der Planung und nachhaltigen Verbesserung der Management-Strukturen von Industrie- und Gewerbegebieten – in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht. Sie setzt dabei auf die Kooperation mit den von den Unternehmen getragenen Selbstverwaltungen. Diese haben sich in einem nationalen Dachverband zusammengeschlossen, der die Interessen der einzelnen Mitglieder gegenüber der Verwaltung und politischen Gremien vertritt. Bei den politischen Partnern, allen voran dem tunesischen Industrieministerium, setzt die GIZ auf Mitarbeiter-Fortbildung und strukturelle Beratung.
Deutliche Erfolge und dynamische Entwicklung. Die Bemühungen zahlen sich aus: Von den Akteuren wird übereinstimmend betont, dass das Management der Industrie- und Gewerbegebiete nach jahrelangem Stillstand aus seinem Schattendasein gerückt ist, mit Aufmerksamkeit behandelt wird und sich im Vergleich zu früheren Jahren nun dynamisch entwickelt. Auch politisch gibt es Interesse am Thema: Vier Gouverneure engagieren sich aktiv für Neugründungen von gebietseigenen Management-Vereinen. Erstmals stehen wichtige statistische Informationen zum Zustand der Infrastruktur und der Zufriedenheit der Investoren zur Verfügung. Leitfäden für die Gründung und das Management von Industrie- und Gewerbegebieten wurden erstellt und Unternehmen bei der Gründung von neuen Managementvereinen unterstützt. Inzwischen haben über 50 Prozent der Industriegebiete eine Managementstruktur. Doch auch die direkten Wirkungen sind sicht- und messbar: In 27 Industrie- und Gewerbegebieten wurden aufgrund eines „learning-by doing“-Ansatzes über 220 Maßnahmen durchgeführt. 30 davon können sozialen Aspekten zugeordnet werden. Die Palette reicht von der Kinderbetreuung über den Ausbau der Straßenbeleuchtung und die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel bis hin zu ärztlichen oder finanziellen Dienstleistungen innerhalb der Gewerbegebiete. In 15 Industrie- und Gewerbegebieten werden insgesamt 40 Umweltschutz-Maßnahmen durchgeführt: Dazu gehören eine verbesserte Abfallentsorgung ebenso wie die Einrichtung und Pflege von Grünflächen sowie die Instandsetzung und Wartung der Abwasserkanalisation.
Für eine bedarfsorientierte Steuerung und Entwicklung bestehender und neuer Industrie- und Gewerbegebiete werden in Zukunft eine stärkere Dezentralisierung von Aufgaben sowie ein systematischeres Nachhalten unabdingbar sein. Konkrete Ansätze werden derzeit entwickelt; von der lokalen bis zur nationalen Ebene sind dabei alle Entscheidungsträger berücksichtigt.
Ausblick. Wenn es Tunesien gelingt, nach dem politischen Umbruch den Weg in eine Demokratie zu finden, wird mittel- und langfristig eine positive Wirtschaftsentwicklung einsetzen. Die Regierung hat ehrgeizige Ziele und möchte künftig unter anderem die Industrie- und Gewerbegebiete ausweiten, damit sich neue Firmen ansiedeln können und Arbeitsplätze geschaffen werden. Die GIZ wird vor allem auf die nachhaltig angelegte Planung dieser Vorhaben fokussieren und damit direkten Einfluss auf die späteren Management-Strukturen nehmen.
Wirtschaftliche Förderung in Tunesien hat viele Facetten – eine davon ist die aktive ökologische, ökonomische und sozialrelevante Management-Stärkung bestehender und künftiger Industrie- und Gewerbegebiete.
Der Verwaltungswissenschaftler und Master of European Environmental Management ist seit 2000 als Umweltbeauftragter und Fachplaner Umweltmanagement und Ressourceneffizienz für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH tätig.