Die globale Mobilität von Kapital, Gütern und Dienstleistungen hat über die letzten Jahre drastisch zugenommen. Die Wertschöpfungskette der Unternehmen verteilt sich heute über den Globus. Unterschiedliche Arbeitskosten-, Investitions-, Steuer- und andere Bedingungen werden optimiert. Arbeitsteilung und Spezialisierung nehmen zu: Es kommt zur Cluster-Bildung: Ähnliche Unternehmensfunktionen gruppieren sich am gleichen Standort und verlagern arbeitsintensive Teile des Produktionsprozesses über ausländische Vorlieferanten oder über Direktinvestitionen.
Die zunehmende Mobilität von Kapital und Arbeit (beziehungsweise Wissen) verschärft die Konkurrenz unter den Volkswirtschaften. Vor diesem Hintergrund wird die Rolle der Politik für die Beeinflussung der Rahmenbedingungen eines Standorts immer wichtiger.
Es geht darum, die Rahmenbedingungen so zu optimieren, dass sich der Standort behaupten kann. Je nach komparativem Vorteil eines Landes sieht die adäquate Strategie jedoch anders aus. Will man verhindern, dass Industrie- und Dienstleistungszweige abwandern, beziehungsweise will man erreichen, dass neue Unternehmen zuwandern, ist entscheidend, über relative Standortvorteile zu verfügen.
Die Schweiz: traditionell ein attraktiver Unternehmensstandort
Standortentscheide von Firmen hängen von verschiedenen Faktoren ab. Die Schweiz ist ein rohstoffarmes Land mit kleinem Binnenmarkt und schwierigen geografisch-topografischen Verhältnissen. Unter diesen Voraussetzungen ist ein günstiges Steuerklima von entscheidender Bedeutung. Als Bestimmungsgründe der Standortqualität zählen aber auch weitere Faktoren, wie die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften, die Rechtssicherheit mit klar definierten Eigentums- und Haftungsrechten, die soziale Kohäsion, ein funktionstüchtiges Verkehrssystem, ein leistungsfähiges Bildungssystem, effiziente Behörden, eine liberale Aussenwirtschaftspolitik, geringe Kapitalkosten, geringe Handelshemmnisse, günstige Wechselkursrelationen, die internationale Vernetzung der Firmen, eine ausgewogene Zusammensetzung der Branchenstruktur und vieles mehr.
Betrachtet man die Entwicklung der Steuerpolitik während der letzten Jahre, so hat sich die Schweiz insgesamt vorteilhaft positioniert. Auf Bundesebene konnte mit der Unternehmenssteuerreform I im Jahr 1998 insbesondere der Holdingstandort gestärkt werden. Zehn Jahre später wurde die zweite Unternehmenssteuerreform beschlossen: Ihr Fokus war auf die kleinen und mittleren Unternehmen gerichtet. Zu erwähnen ist insbesondere die Milderung der wirtschaftlichen Doppelbelastung ausgeschütteter Unternehmensgewinne für qualifizierte Anteilseigner. Begleitet von zahlreichen kantonalen Reformen im Bereich der Gewinn- und Kapitalsteuer wie auch der Vermögens- und Einkommensteuer hat sich damit die Position der Schweiz als attraktiver Standort für Unternehmen gefestigt. Im weltweiten Ranking belegen die attraktivsten Schweizer Standorte mit einer Gewinnsteuerbelastung von heute insgesamt unter 15 Prozent regelmässig Spitzenpositionen.
Standortvorteile sind jedoch der Erosion ausgesetzt. Von der Intensivierung der internationalen Kapitalflüsse und der Globalisierung der Finanzmärkte sind die nationalen Steuersysteme betroffen. Die Entwicklung insbesondere der Körperschaftssteuersätze ist eindrücklich. So lag der durchschnittliche Körperschaftssteuersatz zu Beginn der 1980er Jahre in der OECD bei 49 Prozent, heute noch bei etwa 28 Prozent.
Dies ändert sich auch nicht, wenn man zusätzlich die unterschiedlich bemessene Steuerbasis berücksichtigt, auf die die Steuersätze zugreifen.
Multilaterale Initiativen als Antwort auf den Steuerwettbewerb?
Angesichts der dynamischen Entwicklung stellt sich die Frage, wie auf diese Herausforderungen zu reagieren ist. 1997 ergriff die EU auf ihrem Gipfel im portugiesischen Feira die Initiative zur Identifikation schädlicher Steuerpraktiken. Obwohl die Definition von schädlichem Steuerwettbewerb bis heute kontrovers diskutiert wird, entschied sich die EU dafür, über einen Verhaltenskodex ein so genanntes „level playing field“ im Bereich der Körperschaftsbesteuerung zu schaffen.
Um die Stabilität der Steuerabsprachen innerhalb der EU zu garantieren, werden auch aussenstehende Länder wie die Schweiz gedrängt, sich den Verhaltensrichtlinien anzupassen.
Hintergrund ist ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Misstrauen gegenüber den Wirkungen des Steuerwettbewerbs. Es wird davon ausgegangen, dass die Absenkung der Steuersätze Ausdruck eines ruinösen Steuersenkungswettlaufs sei. Interessant ist jedoch, dass trotz sinkender Körperschaftssteuersätze die Steuereinnahmen in der Schweiz seit 1970 stark angestiegen sind:
Während das BIP durchschnittlich 2,9 Prozent pro Jahr zunahm, legten die Steuereinnahmen um durchschnittlich 14,5 Prozent und die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer durchschnittlich um 15,3 Prozent zu. Auch wenn man die letzten zehn Jahre isoliert betrachtet, zeigt sich qualitativ das gleiche Bild: Sowohl im Vergleich zum BIP als auch im Vergleich zu den Gesamteinnahmen erhöhten sich die Steuereinnahmen im Allgemeinen und die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer im Speziellen.
Da bisher die ruinösen Wirkungen des Steuerwettbewerbs nicht sichtbar sind, tut die Schweiz gut daran, nicht über ihre attraktiven kantonalen Steuerregimes zu verhandeln. Letztlich sind die kantonalen Steuerregimes mit anderen Steuermodellen kleinerer Volkswirtschaften inner- und ausserhalb Europas vergleichbar, die besonders mobile Kapitaleinkünfte einer reduzierten Besteuerung unterwerfen. Schliesslich geht es auch darum, Doppelbelastungen zu vermeiden.
Steuerwettbewerb durch eigene Steuerpolitik aktiv gestalten
Wer für Wettbewerb einsteht, muss sich auch an der Konkurrenz messen. Die Trends in der Steuerpolitik sind klar dokumentiert. Die Unternehmenssteuersätze fallen. Auch bei der Einkommenssteuer von Privaten ist seit einiger Zeit eine Tendenz zur Entlastung festzustellen.
Der Trend zur Spreizung in der Belastung der Arbeits- und Kapitaleinkommen ist deutlich stärker in kleinen Ländern, die wegen ihres kleinen Binnenmarktes besonders stark von der Entwicklung des internationalen Teils ihrer Wirtschaft abhängen. Die Schweiz kann sich dem nicht entziehen. Vor dem Hintergrund der dezentralen Steuerkompetenz ist der Handlungsbedarf je nach Kanton sehr unterschiedlich ausgeprägt: Gegenwärtig bewegen sich die Gewinnsteuersätze in der Schweiz zwischen 12,5 Prozent und 31,7 Prozent.
Ein zweiter Trend geht dahin, das Steuersystem von Stempelsteuern zu befreien. Insbesondere die Emissionsabgabe behindert die Entwicklung des Kapitalmarkts und verteuert die Kapitalbeschaffung der Unternehmen.
Ausserdem handelt es sich um eine sehr mobile Steuerbasis: Grosse Firmen können ihre Finanzierungsbedürfnisse zum Teil auf jenen internationalen Kapitalmärkten befriedigen, die keine solche Abgabe kennen. Dies ist auch der Grund, weshalb Konkurrenzstandorte wie Belgien, Holland und Irland die Abgabe auf dem Eigenkapital per 2006 abgeschafft haben, in Luxemburg erfolgt per 2008 eine Reduktion auf 0,5 Prozent und die Abschaffung ist für 2010 geplant.
In den wenigen EU-Staaten, die noch eine Emissionsabgabe auf dem Eigenkapital kennen, soll diese gemäss EU-Richtlinienentwurf stufenweise bis zum Jahr 2010 abgeschafft werden.
Im Weiteren entwickeln sich stärker technisch orientierte Aspekte bei der Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage. Tendenziell setzen sich bei der Verrechnung von Verlusten grosszügigere Lösungen durch, namentlich die Gewährung eines zeitlich unbefristeten Verlustvortrags sowie die Berücksichtigung von Verlusten von ausländischen Betriebsstätten. Die heutige Regelung der Begrenzung des Verlustvortrags auf sieben Jahre in der Schweiz ist zu kurz bemessen. Zahlreiche andere Staaten kennen einen zeitlich unbeschränkten Verlustvortrag.
Von zunehmender Bedeutung ist für die als wirtschaftliche Einheiten organisierten Unternehmensgruppen ferner die Zulassung einer Konzern- und Gruppenbetrachtung. Die meisten OECD-Länder kennen diese Möglichkeit für die inländischen Konzerngesellschaften, vereinzelt wird auch der Einschluss ausländischer Gesellschaften zugelassen. Dänemark und Frankreich kennen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten von ausländischen Konzerngesellschaften, Österreich und Italien schufen diese Möglichkeit im Rahmen ihrer jüngsten umfassenden Körperschaftssteuerreformen.
Fazit
Die Schweiz ist traditionell ein attraktiver Standort für Unternehmen. Die jüngsten Steuerreformen auf Bundes- und insbesondere auf Kantonsebene konnten die vorteilhafte Position festigen. Um die steuerliche Standortattraktivität der Schweiz langfristig zu verbessern, werden weitere Entlastungen erfolgen müssen. Die Schweiz ist eine kleine und offene Volkswirtschaft mit hoher Mobilität von Kapital und Arbeitskräften. Die steuerliche Attraktivität des Unternehmensstandorts ist daher entscheidend für Wohlstand, Arbeitsplätze und nicht zuletzt zur Sicherung unserer Sozialwerke. Standortvorteile sind aber der Erosion ausgesetzt, denn auch die „Konkurrenz“ lernt dazu. Vor allem die Standortattraktivität der neuen EU-Mitgliedsländer dürfte sich mit der zunehmenden Integration in die EU und der wachsenden Rechtssicherheit in den nächsten Jahren weiter erhöhen. Ausserdem gewinnen Standorte ausserhalb der EU für die Schweiz an Bedeutung. Es macht daher wenig Sinn, sich gegen die Kräfte des Steuerwettbewerbs zur Wehr zu setzen. Stattdessen sollten die Steuerpolitik der Schweiz aktiv gestaltet und die errungenen Wettbewerbsvorteile gefestigt werden.
Gerold Bührer (Jahrgang 1948) ist Präsident von economiesuisse – Verband der Schweizer Unternehmen. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich und war zunächst bei der Schweizerischen Bankgesellschaft tätig. Von 1990 bis 2000 arbeitete Bührer für die Georg Fischer AG, zuletzt als Mitglied der Konzernleitung. Seit 2000 ist er Wirtschaftsberater und Mitglied in verschiedenen Verwaltungsräten.