Seit vielen Jahrhunderten hat der Ostseeraum für Hamburg eine große wirtschaftliche Bedeutung. Umgekehrt ist Hamburg durch seinen Hafen auch für die dynamische Ostseeregion bedeutend. Dynamik, Wachstum und Integration – schon zur mittelalterlichen Hansezeit war der Ostseeraum ein florierendes Zentrum für wirtschaftlichen und kulturellen Austausch.
Heute leben im Ostseeraum – je nachdem wie weit man diese Region fassen will – zwischen 50 und 150 Millionen Menschen in neun Staaten, von denen acht zur Europäischen Union gehören. Die skandinavischen und nordischen Staaten Dänemark, Schweden und Finnland sowie der Nordosten Deutschlands zählen hierzu ebenso wie Polen, Litauen, Lettland, Estland und die nordwest-russischen Regionen mit Kaliningrad und St. Petersburg. Das Gebiet rund um das Mare Balticum hat sich in den vergangenen 20 Jahren wirtschaftlich sehr stark entwickelt. Beschleunigt wurde diese Entwicklung durch die Aufnahme der baltischen Staaten und Polens in die EU im Jahr 2004. Die westlichen Anrainerstaaten Finnland, Schweden und Dänemark sind fortgeschrittene Industrienationen, die als Wirtschaftspartner für Norddeutschland von großer Bedeutung sind. Die östlichen Nachbarn Estland, Lettland, Litauen und Polen bieten ein günstiges Umfeld für Geschäftsaktivitäten. Charakteristisch für die baltischen Staaten und Polen sind ihre gut ausgebildeten Arbeitskräfte, ihr attraktives Forschungs- und Hochschulwesen und eine große Aufgeschlossenheit für IT-Anwendungen. Im European Innovation Scoreboard – einem Maßstab für die Innovationsleistung der einzelnen Staaten – befinden sich mit Schweden, Dänemark, Finnland und Deutschland vier Ostseeanrainerstaaten unter den ersten zehn Ländern. Estland, das seine Kapazitäten für Forschung und Entwicklung in den letzten Jahren deutlich verbessert hat, wird auf Platz 13 geführt. Allerdings gibt es unter den Ostseeanrainern noch hinsichtlich der Wirtschaftsleistung pro Kopf große Unterschiede: Im Vergleich zum EU-Durchschnitt aller 28 Staaten reichen im Jahr 2015 die Werte von 41 Prozent (Polen) des EU-Durchschnitts bis 170 Prozent (Dänemark und Schweden), wobei Polen aber in den letzten zehn Jahren wirtschaftlich sehr stark aufgeholt hat. Das Land konnte sein Bruttoinlandprodukt (BIP) zwischen 2004 und 2014 auf 413 Mrd. Euro mehr als verdoppeln. Heute erwirtschaften die acht EU-Staaten mit direktem Zugang zur Ostsee, in denen 29 Prozent der EUBevölkerung leben, 30,4 Prozent des BIP aller EU-Staaten. Nur die an der Ostseeküste liegenden russischen Regionen Kaliningrad und das St.-Petersburg-Gebiet gehören nicht zur EU, bieten aber einen guten Einstieg in den großen, wenn auch derzeit schwierigen, russischen Markt.
Hamburg profitiert vom Ostseehandel. Der Außenhandel mit dem Ostseeraum hat für Hamburg an Bedeutung gewonnen. Rund 1.420 Unternehmen in Hamburg unterhalten derzeit (Stand: Juli 2016) wirtschaftliche Beziehungen zu den acht Ostsee-Staaten Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen, Schweden und Russland; viele von ihnen sind in mehreren Ländern aktiv. Die Zahl der Firmen, die zum Beispiel wirtschaftlich mit Polen verbunden sind, hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt und beträgt heute 782. In der Rangfolge der wichtigsten Hamburger Handelspartner in der Ostseeregion liegt Russland auf Platz eins, gefolgt von Polen, Dänemark und Schweden.
Der Ex- und Import Hamburger Unternehmen mit der Ostseeregion hat sich zwischen 1994 und 2010 verdreifacht. Die Bedeutung dieser Region für Hamburgs Außenhandel hat in den letzten sechs Jahren zwischen 2010 und 2015 erneut stark zugenommen. Der Außenhandelsumsatz Hamburgs mit den acht Ostsee-Anrainerstaaten Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen, Schweden und Russland betrug 7,7 Mrd. Euro im Jahr 2010, was weit mehr war als der entsprechende Außenhandelsumsatz mit den USA und Japan zusammen. Er wuchs 2015 auf rund 11,6 Mrd. Euro, ein Betrag, der immerhin größer ist als Hamburgs Außenhandelsumsatz mit China im selben Jahr. Allerdings ist der Außenhandel mit den Ostseeanrainerstaaten von 12,1 Mrd. Euro in 2014 um rund vier Prozent im vergangenen Jahr zurückgegangen, insbesondere wegen der schwächeren Wirtschaftsbeziehungen zu Russland.
Traditionell sind Hamburgs Importe größer als Hamburgs Exporte mit den Ländern der Ostseeregion, aber die Warenbewegungen in beide Richtungen haben in den letzten Jahren stark zugenommen: Hamburgs Ausfuhren in diese Länder sind von 2,6 Mrd. Euro in 2010 auf 3,9 Mrd. Euro in 2015 – also um 50 Prozent – angestiegen. Die Einfuhren haben sich entsprechend von 5,15 Mrd. Euro in 2010 auf 7,8 Mrd. Euro in 2015 um 51 Prozent erhöht. Damit hat die Ostseeregion für den Außenhandel Hamburgs weiter an Bedeutung gewonnen: Rund zehn Prozent des gesamten Hamburger Außenhandels entfielen 2015 auf die Ostseeanrainerstaaten.
Hamburger Hafen als Drehscheibe für Ostseeverkehre. Der Hamburger Hafen ist mit rund 151.000 Beschäftigten und einer Bruttowertschöpfung von 20 Milliarden Euro mit Abstand der führende Hafen in Deutschland. Wegen seiner Lage nah am westlichen Ausgang des Nord-Ostsee-Kanals wird er oft auch als westlichster Ostseehafen der Nordrange bezeichnet. Rund 120 Liniendienste verbinden den Hamburger Hafen mit dem Großteil der weltweit über 1.000 Seehäfen. Darüber hinaus erfüllt Hamburg als Überseehafen eine wichtige Hub-Funktion zur Verteilung von Feederladung zwischen den Ostseeanrainerstaaten und Übersee, insbesondere mit Asien. Hamburg ist die bedeutendste nordeuropäische Transshipment-Drehscheibe für diese Verkehre und weist durch seine starken Ostseeverkehre im Vergleich mit Häfen wie Antwerpen und Rotterdam einen rund sechs Prozentpunkte höheren Anteil an Transshipmentladung aus. Neben den Verteilerverkehren wird vielfach auch innereuropäische Ladung über den Hamburger Hafen für die Ostseeregion verladen (Kurzstrecken-Seeverkehr/Short-sea shipping). Wöchentlich gibt es zahlreiche Feeder- und Short-sea-Verbindungen von Hamburg nach Skandinavien, Polen, Finnland, Russland und in die baltischen Länder. Rund 19 Prozent des Containerumschlages des Hamburger Hafens wird mit der Ostseeregion abgefertigt, was im Jahr 2015 über 1,7 Mio. TEU (Maßeinheit für 20-Fuß-Standardcontainer) waren. Unter den TOP-10-Partnerländern im Containerumschlag des Hamburger Hafens befinden sich mit Russland, Finnland, Schweden und Polen allein vier Ostseeanrainer.
In gewisser Weise ist der Hamburger Hafen auch der größte polnische Überseehafen. Rund 30 Prozent der polnischen Containerverkehre werden über die Feeder-, Bahn- und Straßenverbindungen via Hamburg geroutet. Der größte Anteil der Container – rund 395.000 TEU – wurde 2014 per Feederschiff in regelmäßigen Liniendiensten via Hamburg zu oder von den Containerterminals in Gdansk, Gdynia und in Szczecin transportiert. Landseitig verkehren zwischen Hamburg und Polen wöchentlich rund 20 Containerzugverbindungen, die jährlich etwa 90.000 TEU befördern. Per Lkw werden rund 110.000 TEU über die Straßen abgefertigt.
Die seit einiger Zeit schwierige wirtschaftliche Situation in Russland macht sich auch bei den Hamburger Umschlagszahlen bemerkbar. So ist der Containerumschlag des Hamburger Hafens mit Russland in 2015 gegenüber 2014 um 35 Prozent zurückgegangen, nachdem er bereits 2014 gegenüber 2013 um acht Prozent gesunken war. Auch der Containerumschlag mit Polen ist 2015 gegenüber 2014 um 37 Prozent eingebrochen, nachdem er noch im Jahr 2014 gegenüber 2013 kräftig um 23 Prozent zugenommen hatte. Insgesamt hat der Containerumschlag des Hamburger Hafens mit dem Fahrtgebiet Ostsee von knapp 1,2 Mio. TEU im ersten Halbjahr 2014 auf 0,94 Mio. TEU im ersten Halbjahr 2015 abgenommen.
Ausblick. Kooperation und Infrastruktur ausbauen. Die enge Zusammenarbeit im Ostseeraum steht ganz oben auf Hamburgs wirtschaftspolitischer Agenda. Unsere Handelskammer fördert die Kooperation Hamburger Firmen mit Partnern in den Ostseeanrainerstaaten durch vielfältige Maßnahmen. Hierzu zählen auch Wirtschaftsveranstaltungen mit diesen Ländern. An Wirtschaftsforen mit Lettland, Finnland, Estland, Polen und Russland, die die Handelskammer im Jahr 2015 durchgeführt hat, nahmen allein rund 500 Personen teil. Auch die Zusammenarbeit mit Dänemark, dem zehntgrößten Außenhandelspartner Hamburgs, genießt besondere Aufmerksamkeit. Dabei spielt die Kooperation mit Kopenhagen eine wichtige Rolle. Mit dem „Hamburg Copenhagen Business Forum“ (HCBF), das abwechselnd in Hamburg und in Kopenhagen stattfindet, will man dazu beitragen, dass die Wirtschaftsregionen Hamburg und Kopenhagen noch enger zusammenwachsen. Für das 2. „Hamburg Copenhagen Business Forum“ besuchte im November 2015 eine 50-köpfige Wirtschaftsdelegation aus Hamburg die dänische Hauptstadt und befasste sich dort mit den Themen Smart Cities, Energie, Life Science, Logistik & IT, Immobilien und Tourismus. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Kooperation Hamburgs mit dem Nordwesten Russlands, insbesondere mit Hamburgs Partnerstadt St. Petersburg und mit dem Kaliningrader Gebiet. Seit 1993 unterhält die Handelskammer Hamburg in St. Petersburg und seit 1994 in Kaliningrad eine eigene Vertretung, die bei der Anbahnung von Geschäften in beide Richtungen berät und unterstützt sowie Bildungsprojekte mit Russland unterstützt.
Um die Kooperation mit dem Ostseeraum weiter zu unterstützen, setzt sich die Handelskammer Hamburg auch dafür ein, dass Hamburg noch mehr Profil in der Ostseepolitik zeigt und dass die Bundesregierung und die Europäische Kommission der Ostseeregion erhöhte politische Aufmerksamkeit widmen. Prioritäre Infrastrukturprojekte sind in diesem Zusammenhang der geplante Tunnel unter dem Fehmarnbelt als effiziente Lösung der wachsenden Verkehre in der Ostseeregion sowie die Fahrrinnenanpassung der Elbe und die Ertüchtigung des Nord-Ostsee-Kanals. Auch die Ostseeautobahn A20, die in Zukunft ihre Fortsetzung als Via Baltica in Polen und im Baltikum finden sollte, zählt dazu. Für die Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen im Ostseeraum stehen aber nicht nur Ausbau und Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur, sondern auch immer wieder der persönliche Austausch der beteiligten Unternehmen, den die Handelskammer weiter fördern wird.
Fritz Horst Melsheimer
Der 1950 in Traben-Trarbach an der Mosel geborene Autor hat Betriebswirtschaftslehre in Bochum, Würzburg und Hamburg studiert. Von 2002 bis 2014 war er Vorstandsvorsitzender der HanseMerkur Versicherungsgruppe, deren Aufsichtsrat er nun vorsitzt. Fritz Horst Melsheimer ist Präses der Handelskammer Hamburg.