Die Finanzkrise, die im Jahr 2008 begann, und die anschließende Staatsschuldenkrise in Europa und den USA haben die Kapitalmärkte grundlegend verändert. Technologische Fortschritte und ein stärkerer Fokus auf Regulierung haben die Finanzzentren weltweit in vieler Hinsicht verändert und unter anderem zu einer Konzentration auf einige wenige Hauptakteure geführt. Im Zuge dieser Entwicklungen hat Frankfurt große Fortschritte erzielt: Die Stadt hat ihre Position als Zentrum der Finanzwelt gestärkt und sich als Ort etabliert, an dem private und institutionelle Investoren gleichermaßen florieren. Zugleich ist sie einer der zentralen Schauplätze der Finanzbranche geblieben. Dies gilt insbesondere für Dienstleistungen mit dem Ziel einer Verbesserung der Marktstabilität und des Risikomanagements.
Währenddessen hat die Deutsche Börse – anknüpfend an ihre Wurzeln in der Stadt und ihr langjähriges Engagement für den internationalen Knotenpunkt Frankfurt – eine Funktion als Anker der Stabilität erfüllt: Sie hat Frankfurt als wichtigen Finanzplatz unterstützt, indem sie sich kontinuierlich an die Bedürfnisse der sich ständig verändernden Märkte angepasst und zugleich die Rahmenbedingungen mitgestaltet hat. Zudem hat sie das Rückgrat der europäischen Stabilität – eine erfolgreiche deutsche Realwirtschaft – stets gestärkt, sowohl in Europa als auch darüber hinaus. Das Engagement für die Stabilität hat aber umgekehrt auch die Entwicklung der Deutschen Börse geprägt und dazu beigetragen, die Position von Frankfurt im weltweiten Netz der Finanzzentren zu sichern. Die Veränderungen in der Struktur der Deutschen Börse selbst im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte und bis in die Gegenwart hinein spiegeln die Entwicklung eines Unternehmens wider, das die Börsentechnologie konsequent weiterentwickelt und dazu beigetragen hat, den weltweiten Markt zu dem zu machen, was er heute ist. Ein Hauptmerkmal dieser Transformation war das Vorantreiben des elektronischen Handels, zunächst mit Derivaten und später mit Wertpapieren, begleitet von der Elektronisierung der Prozesse, die dem Handel nachgelagert sind: des Clearings, der Abwicklung, Verwahrung und Sicherheitenverwaltung sowie der Generierung und Verteilung von Marktdaten.
Angesichts der immer kürzer gewordenen Phasen der Normalität zwischen den Krisen wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Das zeigt sich unter anderem daran, wie sehr sich die Rolle der Finanzzentren weltweit in den vergangenen Jahren verändert hat: durch technologischen Fortschritt, aber auch als Antwort auf die Krise und auf immer lautere Rufe nach strengerer Regulierung. Dadurch, dass der Einfluss dieser Zentren weit über ihren direkten räumlichen Einzugsbereich hinausreicht, entscheidet nunmehr ihre Position in einem virtuellen weltweiten Netzwerk darüber, ob sie sich künftig auf einem erfolgreichen Kurs bewegen. Aus Sicht der Deutschen Börse lag der Schlüssel zum Erfolg jedoch schon immer in der Globalisierung, verbunden mit einer starken Betonung der eigenen regionalen und nationalen Wurzeln. Sie hat darauf mit einer Strategie der nachhaltigen Internationalisierung geantwortet und ihre Reichweite auf Niederlassungen an 22 Standorten in weltweit 16 Ländern ausgedehnt. Gleichzeitig hat sie dafür gesorgt, dass Investoren und Unternehmen aus aller Welt Frankfurt als Ort für ihren Börsengang gewählt haben und die Stadt dadurch zu einem globalen Knotenpunkt geworden ist.
Letzten Endes ist es heute offensichtlicher denn je, dass nicht mehr der Wettbewerb um den ersten Platz die Beziehungen der Finanzzentren untereinander bestimmt, sondern dass es vielmehr darum geht, sich als starker Partner für die traditionell großen, aber auch für die aufstrebenden Finanzzentren wie Shanghai, Singapur oder São Paulo zu etablieren. Alles deutet darauf hin, dass sich das zukünftige Wachstum nicht in der westlichen Hemisphäre, sondern in Asien und Lateinamerika abspielen wird. Mit Blick auf ihre geografische Reichweite hat die Deutsche Börse daher bewusst einen Schwerpunkt auf den Raum Asien gelegt. Ein Erfolg auf diesen Märkten wird dazu beitragen, den inländischen Arbeitsmarkt sowie die Position des Unternehmens und der Stadt als Schrittmacher für den Fortschritt in einer vernetzten Welt zu stützen.
Dies ist eine Zeit, in der es gilt, Brücken zu bauen, statt Mauern zu errichten. Mit ihrer Konzentration auf die Internationalisierung hat die Deutsche Börse Frankfurt eine solide globale Grundlage verschafft, zum Beispiel in Gestalt ihres grenzüberschreitenden Wertpapierhandelssystems Xetra am Standort Frankfurt. Derzeit sind etwa 240 Teilnehmer aus 18 Ländern durch das Xetra-System miteinander verbunden. Ihnen bietet die Deutsche Börse transparente Wettbewerbsbedingungen und innovative Produkte. Unsere Exchange-traded Funds sind ein klassisches Beispiel für die neuen Finanzinstrumente, die die Xetra-Teilnehmer nutzen und so den Vorteil der Übertragbarkeit einer einzelnen Aktie mit der Diversifizierung eines Investmentfonds kombinieren. Im Derivategeschäft hat die Deutsche Börse eine ähnlich überzeugende Bilanz vorzuweisen: Sie hat eine der weltweit größten und transparentesten Terminbörsen geschaffen – rund 430 Teilnehmer aus der ganzen Welt kommen beim Derivatehandel virtuell in Frankfurt zusammen. All das ist nur dank des hochmodernen Computerzentrums in der Stadt möglich. Die Deutsche Börse IT ist mittlerweile ein wichtiger lokaler Arbeitgeber und garantiert eine enorme Bandbreite für alle Akteure.
Eine weitere logische Konsequenz dieser technologischen und politischen Entwicklungen ist die Konzentration von Kapital an einigen wenigen Hauptfinanzplätzen. Hier besitzt Frankfurt einen zusätzlichen Vorteil: In puncto Finanzierungen bietet Frankfurt eine Umgebung, die sowohl für Weltkonzerne als auch für kleine und mittelständische Unternehmen interessant ist. Die Deutsche Börse hat dies als Chance erkannt, die Position von Frankfurt weiter zu stärken: Sie wird den Bedürfnissen kleiner und mittelgroßer Unternehmen, insbesondere des deutschen Mittelstandes, gerecht und erkennt deren Stärke und Bedeutung im wirtschaftlichen Umfeld an, insbesondere ihre im Vergleich zu großen Unternehmen hohe Krisenresistenz. Deshalb fördert die Deutsche Börse die Weiterentwicklung dieser Unternehmen, indem sie ihnen kosteneffiziente Optionen für die Aufnahme von Eigenkapital über den Aktienmarkt anbietet, neue, sichere Optionen für den außerbörslichen Handel entwickelt und auch Unternehmen die Türen öffnet, die aus Traditionsgründen einen Börsengang nicht erwogen hätten. Indem sie sich als Dienstleister für den deutschen Finanzsektor und die Volkswirtschaft begreift, sichert die Deutsche Börse das Fundament, auf dem das Finanzzentrum Frankfurt errichtet wurde.
Dass sie nicht müde wird, die Integrität der Märkte, die sie betreibt, zu fordern und zu fördern, ist Teil dieser Strategie. Sie legt in allen Bereichen höchsten Wert auf Transparenz; damit weist sie den Weg für eine Kultur, in der Regulierung und Offenheit gleichermaßen ihre Berechtigung haben. Das Ziel ist dabei stets, die Stabilität des Gesamtsystems zu sichern. Die Deutsche Börse treibt die Entwicklung sicherer und moderner Produkte voran, die dazu beitragen, diese Stabilität auch künftig zu gewährleisten. Dazu gehören auch kundenorientierte Angebote in den Bereichen Risiko- und Liquiditätsmanagement, die sich in den vergangenen Jahren zu einem unserer Kernbereiche entwickelt haben und einen wichtigen Beitrag zur Stabilität und auch zur Effizienz der Finanzmärkte leisten.
Dies ist Teil einer konsequenten Strategie der vertikalen Diversifizierung und Integration. Ein Beispiel dafür ist unsere Plattform General Collateral Pooling, die seit Beginn der Krise sehr gefragt ist. Über sie können sich Marktteilnehmer sicher und anonym Liquidität beschaffen; sie trägt so zur Entspannung der Marktlage und zur effizienten Verwaltung von Wertpapieren bei, die als Sicherheit verwendet werden.
Die komplette Abwicklung dieser Transaktionen übernimmt der Bereich Eurex Clearing der Deutschen Börse als Pendant zu unseren Tochtergesellschaften Eurex Repo und Clearstream. Integrierte Serviceangebote wie diese ermöglichen Frankfurt wiederum einen weiteren Ausbau seiner Position als weltweites Zentrum für das Risikomanagement. So überrascht es nicht, dass die Deutsche Börse Frankfurt als Standort für Eurex Clearing ausgewählt hat. Schließlich ist die Stadt gleichzeitig Sitz der Europäischen Zentralbank, des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken sowie der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, allesamt maßgebliche Institutionen für die weiter fortschreitende Regulierung der verschiedenen Bereiche der Finanzwelt. Kurz gesagt: Die Region Frankfurt ist ein guter Standort für die Deutsche Börse AG – und alles spricht dafür, dass die Region umgekehrt erheblich von einem ihrer wenigen wirklich globalen Akteure profitiert. Eine Win-win-Konstellation par excellence.
Der 1955 geborene Autor ist Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG. Dem Vorstand gehört er seit 1993 an, ab 1999 als stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Reto Francioni war zuvor in verschiedenen Führungspositionen im Finanzsektor der Schweiz und der USA tätig. Der promovierte Jurist ist zudem Professor für angewandte Kapitalmarkttheorie an der Universität Basel.