Den Wiederaufbau Deutschlands zu finanzieren, eines vom Krieg zerstörten Landes, war der ursprüngliche Auftrag der KfW Bankengruppe, die damals noch „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ hieß. Den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in Entwicklungs- und Transformationsländern zu fördern, ist seit Jahrzehnten das Mandat der KfW Entwicklungsbank. Als Ende 2001 in Afghanistan das Regime der Taliban fiel, war die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur des Landes nach mehr als 20 Jahren Krieg weitgehend zerstört. Seit Anfang 2002 unterstützt die KfW im Auftrag der Bundesregierung den Wiederaufbau Afghanistans und baut dabei auf ihre jahrzehntelange entwicklungspolitische Finanzierungserfahrung und ihr Know-how in den Bereichen Aufbau der Verkehrsinfrastruktur, Strom- und Wasserversorgung, Bildung, Gesundheit und Finanzsystementwicklung.
Mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie des Auswärtigen Amtes (AA) finanziert die KfW in Afghanistan Vorhaben zum Aufbau des Energiesektors, von Straßen, Schulen und Krankenhäusern, zur Stärkung der Regierungsführung und zur Förderung privater unternehmerischer Initiative. Dabei arbeitet sie eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um diese zu befähigen, die volle Verantwortung für die Bereitstellung und den Unterhalt jener Infrastruktur zu übernehmen, die für die Stabilisierung und Entwicklung des Landes notwendig ist. Die Durchführung von Vorhaben wird von international tätigen, zumeist deutschen Beratungsunternehmen fachlich begleitet.Die zur Finanzierung des Wiederaufbaus bereitgestellten Summen sind für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit historisch einmalig. 2010 leitete die Bundesregierung eine „Entwicklungsoffensive“ ein, welche bis 2013 Zusagen von jährlich bis zu 430 Millionen Euro für den zivilen Wiederaufbau vorsieht. Dabei bilden die fünf Nordprovinzen Balkh, Kundus, Takhar, Baghlan und Badakhshan regionale Schwerpunkte des deutschen zivilen Engagements, aber auch in der Hauptstadt Kabul werden Entwicklungsvorhaben unterstützt. Hinzu kommen Beiträge zu nationalen Entwicklungsprogrammen, die von der afghanischen Regierung eigenverantwortlich, wenngleich unter Aufsicht der internationalen Gebergemeinschaft, umgesetzt werden.
Nirgendwo auf der Welt investiert die KfW mehr Zuschussmittel als in Afghanistan. Angesichts der gewaltigen Herausforderungen des Wiederaufbaus ist dieser Aufwand gerechtfertigt.
Erhebliche Investitionen sind im Bereich der wirtschaftlichen Infrastruktur trotz beachtlicher Fortschritte während des vergangenen Jahrzehnts weiterhin vonnöten. Die Stromversorgung ist aufgrund geringer Erzeugungskapazitäten und eines nach wie vor rudimentären Verteilungsnetzes weiterhin unzulänglich. Nur jeder fünfte Einwohner Kabuls und der Provinzhauptstädte ist an das in weiten Teilen marode Trinkwassersystem angeschlossen. Die unzureichende Transportinfrastruktur bremst die wirtschaftliche Entwicklung in den Provinzen und die Integration Afghanistans in globale Märkte. Die Defizite im Bereich der sogenannten sozialen Infrastruktur (Bildungs- und Gesundheitssektor) sind ähnlich gravierend. Um den Bedarf zu decken, der aus den stetig wachsenden Einschulungsraten erwächst, fehlen Schulen und qualifizierte Lehrer. Die Kapazitäten der afghanischen Regierung, öffentliche Güter bereitzustellen und zu unterhalten, müssen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene dringend gestärkt werden. Die KfW reagiert auf diese Herausforderungen, indem sie unter anderem den Ausbau der Energie- und Trinkwasserversorgung fördert, in die Verkehrs-, Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur investiert, den Aufbau eines tragfähigen Finanzsektors unterstützt und die öffentliche Verwaltung dabei berät, ihre Aufgaben zunehmend eigenverantwortlich wahrzunehmen. Unsere Vorhaben sollen dazu beitragen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern und die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen für ein stabiles Gemeinwesen zu stärken.
Im Energiesektor stehen bei den KfW-finanzierten Maßnahmen die Energieerzeugung und der Ausbau der netzgebundenen Stromversorgung im Vordergrund. Deutschland hat im Verbund mit anderen Gebern wesentlich zu einer weitgehend verlässlichen Stromversorgung in Kabul und anderen urbanen Zentren beigetragen. Im Bereich der städtischen Wasserversorgung hat sich Deutschland als führender Geber etabliert. In der afghanischen Hauptstadt profitieren heute rund 500.000 Einwohner von einer verbesserten beziehungsweise neu eingerichteten Trinkwasserversorgung. Voraussichtlich bis Ende 2013 werden weitere 200.000 Menschen erstmalig an die Trinkwasserversorgung angeschlossen sein. Der lokale Wasserversorger in Herat kann sich mit seinen Leistungen an den Standards der Industrieländer messen lassen: Nahezu jeder Haushalt ist inzwischen an das Wassernetz angeschlossen. KfW-Vorhaben wie diese werden in enger Abstimmung mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführt: Während die KfW die Infrastruktur bereitstellt, unterstützt die GIZ die afghanische Regierung beim Aufbau tragfähiger Betreiberstrukturen.
Auf dem Gebiet der Verkehrsinfrastruktur konzentrieren wir uns unter anderem auf den Ausbau von Straßen, Brücken und Märkten sowie auf die Rehabilitierung des Flughafens in Mazar-e Sharif. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die regionale und internationale Verkehrsanbindung insbesondere der fünf Schwerpunktprovinzen zu verbessern und so einen Impuls für die Wirtschaftsentwicklung zu geben. Für die Baumaßnahmen werden in der Regel lokale Arbeitskräfte rekrutiert, sodass Anwohner bereits während der Umsetzungsphase von den Projekten profitieren.
Im Bereich der sozialen Infrastruktur investiert die KfW in erster Linie in die Errichtung von Berufsschulen und die Rehabilitierung von Krankenhäusern. Die Grundbildung ist ein weiterer Schwerpunkt der deutsch-afghanischen Entwicklungszusammenarbeit: In fünf nordafghanischen Provinzen sollen bis 2013 jährlich 9.000 Absolventen die von der KfW errichteten Lehreraus- und -fortbildungszentren verlassen. Der Frauenanteil unter den Lehramtsstudenten soll dabei von derzeit 30 Prozent auf 40 Prozent erhöht werden.Auch die Erfolge bei der Förderung privater wirtschaftlicher Initiative können sich sehen lassen. Über die Partnerschaft mit ausgewählten afghanischen Geschäftsbanken erleichtert die KfW beispielsweise den Zugang zu Darlehen für Kleinst- und Kleinunternehmer. Durch die Gründung der First MicroFinanceBank (FMFB) wurde mit finanzieller und technischer Unterstützung der KfW die größte Mikrofinanzinstitution des Landes geschaffen. Die Zentrale und ihre 34 Filialen in 15 Provinzen vergeben monatlich etwa 4.000 Kleinstkredite im Umfang von 100 bis 5.000 US-Dollar. Seit der Gründung der Bank im Jahr 2004 haben Kleinstunternehmer und -unternehmerinnen – 14 Prozent der Kunden sind Frauen – annähernd 200.000 Kredite im Umfang von durchschnittlich 1.500 US-Dollar aufgenommen.
Ein weiteres wichtiges Instrument für die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für das Wachstum unternehmerischer Initiative ist eine von dem KfW-Tochterunternehmen DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH aufgebaute Kreditgarantiefazilität (KGF). Sie soll lokale afghanische Banken in der Kreditvergabe an Unternehmensgründer und kleine und mittlere Unternehmen bestärken. Die kleinen und mittleren Unternehmen, die einen Investitions- und/oder Betriebsmittelkredit zwischen 3.000 und 300.000 US-Dollar benötigen, sollen einen nachhaltigen Zugang zu marktkonformer Finanzierung erhalten, die aufgrund der fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen und mangelnden Verwertungsmöglichkeiten für bankübliche Sicherheiten nicht zur Verfügung steht.
Die KGF wurde gemeinsam von der United States Agency for International Development (USAID) und dem BMZ finanziert. Das bereitgestellte Kapital dient zur Kapitalisierung eines Garantiefonds; die Partnerbanken gewähren kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) sogenannte „KMU-Kredite“ und sichern einen Teil des Kreditausfallrisikos über diesen Garantiefonds ab. Darüber hinaus bietet die KGF den Partnerbanken umfangreiche Begleitung in Form von Managementberatung, Unterstützung bei der Gestaltung des Produktes „KMU-Kredit“ und intensives Training der Beschäftigten. Das zuständige Projektbüro „Afghan Credit Support Program (ACSP)“ hat beispielsweise den Aufbau von Abteilungen für kleine und mittlere Unternehmen in zwei Banken, wahren Pionieren in Afghanistan, erfolgreich begleitet. Fast 1.900 Kredite mit einem Volumen von fast 60 Millionen US-Dollar haben die Partnerbanken bislang an lokale KMU vergeben. Die Darlehensnehmer konnten allein in den vergangenen Jahren mehr als 1.600 Arbeitsplätze schaffen.
Durch die verstärkte Einbindung von Entscheidungsgremien und Verwaltungsstrukturen auf Distrikt- und Provinzebene stärkt die KfW die Eigenverantwortung des Staates auf lokaler und regionaler Ebene. Auf nationaler Ebene steht sie der deutschen Botschaft im Geberdialog mit der afghanischen Regierung beratend zur Seite, um diese bei der Umsetzung wichtiger Reformen insbesondere im Bereich des öffentlichen Finanzmanagements zu unterstützen. Dank umfangreicher Sofortmaßnahmen, die die Umsetzung größerer Infrastrukturmaßnahmen begleiten, profitiert die Bevölkerung bereits zu Beginn von jenen Vorhaben, deren Realisierung mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Die Einbindung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der KfW sowie der Consultants in ein gemeinsames Risikomanagementsystem von GIZ und KfW, aber auch die Zusammenarbeit mit lokal gut vernetzten Nichtregierungsorganisationen, erlaubt es uns, selbst in fragilen Distrikten aktiv zu bleiben.
Seit ihrer Gründung hat die KfW in Deutschland und weltweit wichtige Transformationsprozesse unterstützt. Ihr Instrumentarium hat sie stets an die sich wandelnden Bedingungen und Bedarfe vor Ort angepasst. In Afghanistan steht sie dabei in einem von bewaffneten Konflikten geprägten Land vor besonderen Herausforderungen. Dennoch steht die KfW der afghanischen Regierung sowie der Privatwirtschaft als kompetenter Berater und Partner zur Seite, getragen von dem Ziel, im Auftrag der Bundesregierung die Lebensgrundlagen der Menschen in einer stabileren Gesellschaft zu verbessern. Als international tätige Förderbank wird sie die dabei gewonnenen Erfahrungen zukünftig auch in ihre Aktivitäten in anderen Krisen- und Transformationsländern einfließen lassen.
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Der Autor studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus mit Promotion zum Dr. agr. an der Universität Bonn. 1989 trat er in die KfW ein. Nach verschiedenen Positionen innerhalb der KfW ist er seit 2007 Mitglied des Vorstands der KfW Bankengruppe.