Tunesien ist gleich in mehrfacher Hinsicht strategisch bedeutsam: Es liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Europa, es befindet sich mitten in Nordafrika, und die „Arabellion“ hat genau dort ihren Anfang genommen. Was in Tunesien künftig passiert, ist deshalb über die Region hinaus relevant: Dass dieses geografisch und politisch für die südliche Mittelmeerregion so zentrale Land weiter an Kraft gewinnt, liegt also längst nicht nur im – verständlichen – Interesse der dortigen Bevölkerung.
Diese besondere Stellung hat die KfW bei der finanziellen Zusammenarbeit mit Tunesien im Auftrag der Bundesregierung fest im Blick. Vieles von dem, was seit der „Jasmin-Revolution“ in den vergangenen zwei Jahren an gemeinsamen Projekten angegangen worden ist und künftig noch in Angriff genommen wird, zielt darauf ab, Tunesien in dieser entscheidenden Übergangsphase weiter zu stabilisieren. Die KfW leistet dazu auf verschiedenen Gebieten einen Beitrag.
Eine der größten Herausforderungen des Landes sind seine begrenzten Wasserressourcen. Tunesien gehört zu den zwanzig wasserärmsten Staaten der Welt: Die regenerierbare Menge an Frischwasser je Einwohner liegt mit etwa 400 Kubikmetern bei weniger als einem Viertel dessen, was jeder Bundesbürger zur Verfügung hat. Gleichzeitig wächst die tunesische Bevölkerung, wie fast überall in der Region, stetig weiter. Dadurch steigt auch der Bedarf an Nahrungsmitteln – und damit wiederum der Wasserverbrauch. Mit anderen Worten: Tunesien hat ein Wasserproblem, das sich durch den Klimawandel noch verschärfen dürfte und für das Land eine potenzielle Gefahr darstellt, weil dieser Mangel alle Teile des tunesischen Lebens und Wirtschaftens beeinträchtigen kann.
Deshalb fördert die KfW in Tunesien den Wassersektor ganz besonders. Diese Zusammenarbeit hat nicht erst nach den Umwälzungen begonnen, sondern dauert bereits mehrere Jahrzehnte. Aber seither hat die KfW gerade im Wassersektor ihr Engagement verstärkt, ihre Programme angepasst und sie auf die veränderten Bedingungen ausgerichtet.
Da in Tunesien 90 Prozent des Wassers in die Landwirtschaft fließen, konzentriert sich die KfW derzeit besonders auf ländliche Gebiete. Ein neues ganzheitliches Programm zum Integrierten Wasserressourcenmanagement (IWRM) zum Beispiel richtet sich speziell an abgelegene und vernachlässigte Regionen („régions defavorisées“) etwa in Zentraltunesien um Kairouan oder Sidi Bouzid. Das sind Gegenden, in denen die Bewässerungslandwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, Jobs generieren und Einkommen schaffen kann. Die KfW hat Tunesien dafür insgesamt bereits 60 Millionen Euro in Form subventionierter Darlehen und Zuschüsse zugesagt.
Mit diesem IWRM-Ansatz soll der Wassersektor in einem ganzen Gebiet umfassend modernisiert werden. Das heißt konkret: effizientere Nutzung durch Wasserspeicher, bessere Rohrsysteme und moderne Bewässerungsanlagen. Das heißt aber auch: Klären oder Wiederverwenden von Abwasser und vieles mehr.
In einem Land wie Tunesien ist Wasser auch politisch eine wichtige Lebensader: Sein bewusster Einsatz steigert die Produktion von Nahrungsmitteln – zum Teil sogar für den Export – und verhindert noch mehr Abwanderung in die Städte, wo es junge Menschen heute besonders schwer haben, Arbeit zu finden. Dass hohe Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven gerade in diesen ländlichen Regionen einer der Auslöser des Arabischen Frühlings waren, ist hinlänglich bekannt. Umso wichtiger ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass beide Faktoren das Land nicht dauerhaft destabilisieren. Nur wenn die jungen Menschen eine echte Chance auf Einkommen und Beschäftigung erhalten, gibt es auch eine Chance auf beständige politische Verhältnisse im Land.
Die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen, zählt deshalb zu den Hauptanliegen der Übergangsregierung in Tunis. Sie hat sich vorgenommen, die Arbeitslosenquote, die derzeit bei geschätzten 25 Prozent liegt, in den nächsten vier Jahren auf 10 Prozent zu senken. Dafür müssen ungefähr 500.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Die KfW versucht sie darin mit ihren Förderaktivitäten zu unterstützen. Neben dem Engagement im Wassersektor, das Beschäftigung auf dem Land sichern oder neu schaffen soll, hat die KfW bereits vor Jahren einen Fonds zum industriellen Umweltschutz (FODEP) aufgelegt, der vergangenes Jahr mit einer weiteren Zusage erneuert wurde und inzwischen ein Gesamtvolumen von über 50 Millionen Euro hat. Betriebe, die in Umweltschutz investieren, zum Beispiel eine eigene Kläranlage errichten, ihre Schornsteine mit Luftfiltern versehen oder auf gefährliche Chemikalien bei der Herstellung ihrer Produkte verzichten, können dabei Unterstützung in Form von günstigen Krediten und Zuschüssen erhalten. Neben dem Umwelteffekt stärkt FODEP auch die Konkurrenzfähigkeit tunesischer Unternehmen, die sonst zum Beispiel nach Europa kaum exportieren könnten, weil sie die strengeren Umweltauflagen der EU nicht erfüllen.
Darüber hinaus bereitet die KfW ein Beschäftigungsprogramm in Form einer Refinanzierungslinie vor und hat bereits einen regionalen Fonds zur direkten Beschäftigungsförderung aufgelegt. Aus der Refinanzierungslinie von zunächst 50 Millionen Euro können tunesische Banken günstige Kredite erhalten, um sie dann an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) weiterzureichen. Denn gerade diesen KMU, die besonders wichtig für das Schaffen von Arbeitsplätzen sind, wie auch Kleinstunternehmern im informellen Sektor fehlt oft der Zugang zu Finanzierung. Um genau hier Abhilfe zu schaffen, hat die KfW außerdem den Fonds „SANAD“ gegründet. Das geschah im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und mit Unterstützung der Europäischen Kommission im Rahmen der Nachbarschaftsinvestitionsfazilität (NIF). SANAD richtet sich an verschiedene Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens, darunter auch an Tunesien, und stellt Banken sowie Mikrofinanzinstitutionen Kapital zur Verfügung, damit sie ebenfalls kleinen Unternehmen Kredite anbieten können. Am Ende sollen bis zu 115.000 Betriebe von SANAD profitieren.
Gerade kleine Unternehmen, das wissen wir aus unserer langjährigen Erfahrung von allen Teilen der Welt, sichern ein Wirtschaftssystem gewissermaßen von unten ab. Jeder dieser Kleinstbetriebe mag nur ein, zwei oder drei neue Arbeitsplätze schaffen, aber alle zusammen genommen haben sie großes Potenzial und enorme Kraft. Dass Tunesien mehr unternehmerisches Engagement und mehr Privatwirtschaft braucht, besonders jetzt, steht außer Frage. Vor dem Umbruch stellte der öffentliche Sektor über die Hälfte aller formalen Beschäftigungsverhältnisse. Angesichts schwankender Steuereinnahmen, eines wachsenden Haushaltsdefizits und steigender Inflation kann – und sollte – die öffentliche Hand jedoch nicht mehr länger Hauptarbeitgeber im Land sein. Umso wichtiger sind kleine und mittlere Unternehmen für das wirtschaftliche Fortkommen in Tunesien.
Um den Staat in der jetzigen Transformationsphase aber auch direkt zu entlasten, hat die Bundesregierung Tunesien zudem eine Schuldenumwandlung über insgesamt 60 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Damit kann das Land nun selbst Entwicklungsprojekte anstoßen und beschäftigungswirksame Maßnahmen, auch in ärmeren Regionen, in tunesischen Dinar finanzieren. Dadurch spart die Regierung wertvolle Devisen, die sie sonst für den Schuldendienst hätte aufbringen müssen. Nach Finanzierung dieser Vorhaben wird die Bundesregierung Tunesien dann Schulden in der angekündigten Höhe von 60 Millionen Euro erlassen.
Die KfW hat die Zusammenarbeit mit Tunesien in den vergangenen beiden Jahren intensiviert und allein 2011 Finanzierungsverträge von mehr als 120 Millionen Euro unterzeichnet. Das BMZ hat für die finanzielle Zusammenarbeit in den vergangenen beiden Jahren Tunesien jeweils um die 90 Millionen Euro an neuen Mitteln zugesagt, grob zwei Drittel dieser Zusagen kommen aus KfW-eigenen Mitteln. Das Engagement soll vorerst auf diesem Niveau bleiben, sich aber noch auf weitere Sektoren ausdehnen, wie auf erneuerbare Energien. Denn Tunesien ist derzeit noch zu mehr als 90 Prozent von fossilen Energieträgern wie Gas und Öl abhängig, hat aber hervorragende Bedingungen besonders für Solarenergie. Da die Wirtschaft dringend weiter wachsen muss, steigt auch der Energieverbrauch, zuletzt im Schnitt um vier bis fünf Prozent pro Jahr. Diesen Bedarf umweltfreundlich und importunabhängig zu decken, könnte sich auf lange Sicht nicht nur für Tunesien lohnen. Deshalb plant die KfW mit Finanzierung des BMZ und der EU ein Photovoltaikkraftwerk in Tozeur, das weiteren Anlagen als Modell dienen könnte.
Abgesehen vom KfW-Geschäftsbereich Entwicklungsbank sind auch die KfW-Töchter IPEX-Bank und DEG (Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH) in Nordafrika aktiv. Die DEG ist mit 10 Millionen Euro an einem regionalen KMU-Equity-Fonds mit Fokus Tunesien beteiligt. Und die IPEX-Bank hat verschiedene Flugzeug-Finanzierungen in ihrem Bestand, zum Teil für die staatliche Tunisair. Beide stehen bereit, ihre Aktivitäten in Tunesien künftig noch wesentlich auszubauen. Welche strategische Bedeutung die KfW der Zusammenarbeit mit Tunesien beimisst, zeigt sich übrigens nicht nur an neuen Projekten und höheren Zusagen, sondern auch an ihrer Präsenz vor Ort: Vor ein paar Monaten – im Oktober 2012 – hat die KfW Bankengruppe ein Büro in Tunis eröffnet, damit sie im direkten Kontakt mit den Partnern effizienter arbeiten kann und näher an den Projekten und am politischen Geschehen ist.