Translationale Forschung hat sich über die letzten Jahre zu einem populären Schlagwort entwickelt, mit dem um Forschungsgelder geworben wird. Dieser Forschungszweig hat sich die Aufgabe gestellt, grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse schnell weiterzuentwickeln, um sie für den Menschen direkt nutzbar zu machen. Für die Entwicklung neuer Arzneimittel und Medizinprodukte bedeutet dies, dass Medikamente schnell aus der präklinischen Entwicklung in die Klinik überführt und zur Zulassung gebracht werden sollen.
Dieser wohlgemeinten Intention stehen aber reelle Trends entgegen, die belegen, dass trotz gestiegener Aufwendungen – die mittleren Kosten für die Entwicklung eines marktreifen Medikamentes sind von rund 100 Millionen Euro in den 80er Jahren auf geschätzte 800 Millionen Euro in der heutigen Zeit gestiegen – die Anzahl neuer, innovativer Behandlungsmethoden, die dem Patienten zugänglich gemacht werden, eher rückgängig ist. So ist die Anzahl neuer Wirkstoffe, die von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA seit 2004 jährlich für den Markt freigegeben wurden, von 36 auf 18 zurückgegangen.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind sicher vielfältig, aber zwei Gründe stechen in unserer Betrachtung heraus. Zum einen ist der organisatorisch-bürokratische Aufwand bei der Durchführung klinischer Studien auch wegen zunehmender gesetzlicher Anforderungen konstant gestiegen. Man muss sich zudem die kritische Frage stellen, ob sich nicht auch die wirkliche, von formalen Anforderungen unabhängige Qualität in der Durchführung verschlechtert hat. Für diesen Fakt spricht, dass sich die Anzahl der klinischen Prüfungen über die letzten 20 Jahre vervielfacht hat, das Ergebnis dieser Anstrengungen sich jedoch nicht in einer höheren Zahl von Zulassungen widerspiegelt, wie bereits dargestellt.
Für eine nachlassende Qualität spricht auch der Fakt, dass in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Zulassungsstudien mit einem Stichprobenumfang von unter 100 Patienten pro Behandlungsgruppe deutliche, statistisch signifikante Ergebnisse gezeigt haben, die zu einer Zulassung geführt haben. Dabei hat sich die Wirksamkeit dieser Medikamente auch später in der klinischen Praxis bestätigt. Dagegen scheitern heute Zulassungsstudien mit mehreren hundert bis tausend Patienten pro Behandlungsgruppe für gleiche Indikationsgebiete. Als verdeutlichende Beispiele sollen hier einmal die schmerzlindernden Medikamente (Analgetika) wie Diclofenac oder Naproxen betrachtet werden.
Beide Wirkstoffe sind heute in ihrer Wirkung unbestritten und werden daher bei der Erprobung neuer Wirkstoffe oft als Referenz mitgetestet. Trotz ihrer klaren klinischen Wirkung, die früher auch in sehr kleinen Studien nachgewiesen wurde, kann der schmerzlindernde Effekt in heutigen großen Studien mit vielen hundert Patienten teilweise nicht nachgewiesen werden. Es ergibt sich die Frage, wie das zu erklären ist.
Dies liegt nach unserer Überzeugung zum einen am veränderten Umfeld der an der Arzneimittelentwicklung beteiligten Gruppen (siehe Abbildung). Vor 20 Jahren bestand ein sehr direkter Kontakt zwischen dem Pharmakologen oder Entwicklungsleiter, der ein Produktkonzept entwickelt hatte, und dem Studienarzt, der das Konzept am Patienten prüfen konnte. Heute sind vielfältige Strukturen dazwischengeschaltet. Man kann sicher vom „stille-Post-Effekt“ ausgehen, was bedeutet, dass die Intentionen des Pharmakologen sicher zum Teil nicht immer korrekt beim Prüfarzt ankommen. Umgekehrt ist die Übertragung von Erkenntnissen des Prüfarztes oder des Patienten, die über die schematisch abgefragten Informationen des Patientenfragebogens hinausgehen, zum Verantwortlichen für die Entwicklung des Produktes fast nicht mehr gegeben. Aber gerade diese wertvollen Detailinformationen haben in der Vergangenheit zu neuen Erkenntnissen über die Prüfsubstanz oder zu gegebenenfalls einer Verbesserung des Prüfplanes, mit daraus resultierenden verbesserten Studienergebnissen, geführt. Auch ist anzunehmen, dass klinische Studien zunehmend von Ärzten in den frühen Phasen ihrer klinischen Ausbildung oder mit wenig fachärztlicher Erfahrung durchgeführt werden. Nur so lässt sich erklären, warum es zum Teil auch gravierende Unterschiede in den Ergebnissen zwischen einzelnen Prüfstellen gibt. In einer großen Studie, an der auch der Autor involviert war, ließ sich klar und statistisch signifikant zwischen Zentren unterscheiden, die den Effekt von Naproxen auf den Schmerz bei Kniearthrose erkennen konnten und jenen, die dazu nicht in der Lage waren.
Es soll nicht die Klage „früher war alles besser“ angestimmt werden. Wichtiger ist es, wie man auf die geänderten Rahmenbedingungen reagieren sollte. Die Forderung nach translationaler Forschung bleibt ja deshalb umso wichtiger. Schlussfolgerung: Die einfachste Form der translationalen Forschung besteht darin, dass klinische Forschung am Patienten durch Ärzte durchgeführt werden sollte, die sowohl eine profunde Erfahrung in den Entwicklungsprozessen von Arzneimitteln oder Medizinprodukten, als auch fachärztliche Kenntnisse bei der Betreuung ihrer Patienten haben. Zum anderen sollten bei der Planung von Entwicklungsprogrammen Ärzte eingebunden sein, die selbst Patienten in klinischen Studien betreuen.
Der Autor ist Director Clinical Operations der in Gräfeling ansässigen X-pert Med GmbH. Dr. Matthias Rother hat an der Universität Jena Medizin studiert, wo er sich auch auf dem Gebiet der Neuro-Pathophysiologie habilitierte. Unter anderem wirkte er am Max-Planck-Institut für Neurologie in Köln und für einige Jahre für den Hoechst-Konzern in den USA.