Hamburg und Schleswig-Holstein sind die Heimat des Clusters Life Science Nord. Er vernetzt die Bereiche Medizin, Medizintechnik, Biotechnologie sowie Pharmazie eng miteinander. Die Region zwischen Nord- und Ostsee hat sich zu einem bedeutenden Standort dieser Lebenswissenschaften (= Life-Sciences) entwickelt, an dem private Unternehmen und öffentliche Forschungseinrichtungen Hand in Hand gehen.
Viele der über 500 Akteure von Life Science Nord, dem zweitgrößten Medizintechnik-Cluster in Deutschland, sind moderne Unternehmen. Sie sind zumeist als Global Player aktiv – aber auch international anerkannte wissenschaftliche Einrichtungen wie das Forschungszentrum Borstel, das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin sowie die Universitätskliniken der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg gehören dazu. Sie alle haben über Jahrzehnte die Basis für den heutigen Erfolg geschaffen: die unmittelbare Verbindung von Wissenschaft, Forschung und Industrie sowie die breite klinische Anwendung der gewonnenen Ergebnisse.
Medizintechnik – im Norden fest verankert. Die Medizintechnik ist in Schleswig-Holstein und Hamburg traditionell stark positioniert. Kaum eine andere Region hat in der medizintechnischen Forschung und Entwicklung eine vergleichbar ausgeprägte Konzentration: Etwa 11.500 Beschäftigte erwirtschaften jährlich einen Umsatz von rund 3,9 Milliarden Euro. Unternehmen wie Dräger Medical, Stryker, Olympus Surgical Technologies Europe, Johnson & Johnson Medical und Philips Medizin Systeme entwickeln und produzieren vor Ort Lösungen für den weltweiten Gesundheitsmarkt. Aber auch kleinere mittelständische Unternehmen, die die Mehrzahl der insgesamt rund 300 Unternehmen der Branche ausmachen, sowie die medizinische Forschung sind in der Region breit aufgestellt und gut vernetzt.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Industrie trägt dabei maßgeblich zu deren Erfolg bei. Die Forschung lebt davon, dass Entwicklungen von den privaten Unternehmen zur Marktreife geführt werden, und umgekehrt die Unternehmen davon, dass gute Ideen aus der Forschung direkt umgesetzt werden können. Dies stärkt die Wettbewerbssituation der Unternehmen gegenüber Konkurrenten.
Unter anderem wurde mit dem Projekt Molecular Imaging North Competence Center (MOIN CC) eine deutschlandweit einzigartige Forschungs- und Serviceplattform für die molekulare Bildgebung in Kiel eingerichtet. Hier steht eine effiziente Infrastruktur bereit, die einerseits der wissenschaftlichen Arbeit dient und andererseits der Wirtschaft optimale Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Medikamente, Therapien und Diagnostika bietet.
Ein großer medizintechnischer Schwerpunkt liegt in den modernen Operations-Technologien wie zum Beispiel den so genannten minimal-invasiven Operationsverfahren. Dabei verursacht der Einsatz entsprechender neuer Technik wesentlich kleinere Öffnungen beziehungsweise Wunden bei einem operativen Eingriff. Es bleiben dann kleinere Narben zurück, es können sich weniger Wundentzündungen bilden, die Abheilung und Genesung gelingt in kürzerer Zeit und dadurch werden teure Verweilzeiten in den Krankenhäusern deutlich reduziert. Die Region spielt inzwischen eine tragende Rolle, wenn es um Hightech-Lösungen für Operationssäle und -methoden geht.
Neue Konzepte in der biomedizinischen Forschung und Biomedizin. Die Biotechnologie des Life Science Nord wird durch eine breite Basis von rund 160 Unternehmen gestützt. Etwa 9.500 Beschäftigte forschen und arbeiten in Hamburg und Schleswig-Holstein in dieser Branche. Die Schwerpunkte liegen dabei in den Feldern moderne Wirkstoffforschung, molekulare Diagnostik sowie Enabling Technologies.
Größter Anbieter in Hamburg ist die Eppendorf AG, die zusammen mit ihrer Tochter Eppendorf Instrumente GmbH weltweit über 1.200 Beschäftigte hat. Internationalen Ruf genießen auch die börsennotierte Evotec AG und die Sequenom AG.
Innovative Gründer versus differenzierte Forschungslandschaft. Zahlreiche Unternehmen, in denen aus Forschungsergebnissen konkurrenzfähige Produkte gemacht werden, finden sich in der Region zwischen den Meeren. Die Region des Clusters Life Science Nord verfügt zudem über eine differenzierte Forschungslandschaft in den Life-Sciences. Neben sechs Universitäten mit Studiengängen im Bereich der Lebenswissenschaften und zahlreichen Instituten finden sich auch namhafte Forschungseinrichtungen, die über die Landesgrenzen hinweg bekannt sind. An der Kieler Christian-Albrechts-Universität hat sich ein überregional bedeutsamer Bereich in den Biowissenschaften mit integrierten Sonderforschungsbereichen, Graduiertenkollegs und Projekten des Genomforschungsnetzes etabliert. Das Fächerspektrum mit Informatik, Naturwissenschaften und Technik geht an der Universität zu Lübeck weit über Medizin hinaus und die gemeinsamen Schnittmengen geben der Hochschule ihren Schwerpunkt in Life Science. Und das Zentrum für Molekulare Neurobiologie der Universität Hamburg zählt zu den führenden Einrichtungen seines Fachgebietes in Deutschland.
Einen besonderen Beitrag zur interdisziplinären Forschung liefert das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY. Mit der dort erzeugten Röntgenstrahlung wird die Struktur von Biomolekülen auf atomarer Auflösungsebene entschlüsselt.
Mit dem geplanten Röntgenlaser European XFEL werden hier einmalige Forschungsbedingungen für den Life-Science-Bereich geschaffen.
Forschungssektor Pharma. In Schleswig-Holstein und in Hamburg sitzen sowohl bedeutende Arzneimittelproduzenten als auch Pharma-Handelsunternehmen. Einige der großen internationalen Pharmaproduzenten unterhalten hier Forschungs-, Produktions- und Vertriebsstandorte. Dabei liegen Schwerpunkte der Arzneimittelherstellung in der Neurologie, Allergologie, Onkologie und Dermatologie. Auch im Bereich der Hygiene entwickeln und produzieren die Unternehmen der Region weltweit erfolgreiche Produkte. Sterilium – eines der bekanntesten Desinfektionsmittel – wird vom Hamburger Unternehmen Bode Chemie produziert. Als internationale Akteure betreiben Firmen wie die Desitin Arzneimittel GmbH (Neurologieund die ALK-SCHERAX Arzneimittel GmbH (Immuntherapie) eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Die ebenfalls weltweit tätige Unternehmensgruppe Ferring Pharmaceuticals entwickelt und vertreibt von Kiel aus biopharmazeutische Produkte für die Reproduktionsmedizin, Urologie, Endokrinologie und Geburtshilfe. In Uetersen forscht und entwickelt die Nordmark mit 360 Mitarbeitern biologische Wirkstoffe und Arzneimittel. Mit AstraZeneca und GlaxoSmithKline sind zwei weitere internationale Pharmaunternehmen im Norden angesiedelt. In der Region ansässige namhafte biopharmazeutische und bioanalytische Unternehmen sind auch Conaris Research Institute AG, Proteo Biotech AG und Planton GmbH.
Anwendungsbeispiel mit Zukunft. Ein noch junger, aber in Schleswig-Holstein hervorragend aufgestellter Bereich ist die blaue Biotechnologie. Sie nutzt das Meer als Ressource zur Gewinnung von Arzneimitteln. Noch steht diese Disziplin am Anfang ihrer Möglichkeiten. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, werden Netzwerke geknüpft und vor allem die marine Infrastruktur ausgebaut: Neben dem am Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-Geomar) eingerichteten Kieler Wirkstoff-Zentrum (KIWIZ) widmet sich inzwischen auch die Fraunhofer- Einrichtung für Marine Biotechnologie (EMB) in Lübeck dem Potenzial der Meere.
Life Science Nord hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Auch dank einer bewährten Förderung durch die Länder, den Bund sowie europäische Forschungsprogramme. Ein starkes Netzwerk, eine wohlwollende Förderung durch die Politik und die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft verhelfen der Branche in der Region und weit darüber hinaus zu großem Erfolg. Die Attraktivität des Standortes, bedingt durch eine hohe Lebensqualität sowie die Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern, hat einen Wirtschaftszweig entstehen lassen, der international konkurrenzfähig und in seinen Bereichen führend ist.
Die Autorin absolvierte ein Studium der Molekularbiologie. Nach einer Forschungstätigkeit in den USA betreute sie bei der Evotec AG unter anderem die strategischen Allianzen des Biotech-Unternehmens, bevor sie die Geschäftsführung der Technologietransfergesellschaft MediGate GmbH übernahm. Seit 2005 ist sie die Geschäftsführerin der Norgenta GmbH.