Aufgrund der Alterung in allen post-industrialisierten Staaten und korrespondierend mit veränderten sozioökonomischen Strukturen – Ausdifferenzierung von Familienmustern, Singularisierungstendenzen – gewinnt die Frage nach der Weiterentwicklung des “Pflegemarktes” an Bedeutung.
An dieser Stelle setzt die Auseinandersetzung mit der Frage von „Innovationen in Versorgung und Pflege“ an, auf welche die Diakonie Neuendettelsau 2009 mit der Gründung eines eigenständigen Forschungs- und Lehrinstituts, dem International Dialog College and Research Institute (IDC), geantwortet hat.
Gemäß der Orientierung des IDC an der interdisziplinären Ausrichtung steht der sozialwissenschaftliche Forschungsansatz im Mittelpunkt. Dabei gilt es im Gegenstandsbereich „Soziale Infrastruktur und Gesundheit“ sowohl quantitative als auch qualitative sozialwissenschaftliche Forschungslinien zu verknüpfen. Demnach steht die Arbeit mit und für den Menschen im Vordergrund des Wissenschaftsverständnisses. Dieser ursprünglich qualitative sozialwissenschaftliche Ansatz kann durch die Integration der Basisdisziplin Ökonomie sowohl methodischstrukturell als auch quantitativ-empirisch ergänzt werden. Gerade die Forschung im Bereich der Gesundheitswissenschaften fokussiert daher die Analyse und Gestaltung von Rahmenbedingungen und Interaktionsmöglichkeiten der beteiligten Personen durch bewusstes Rückkoppeln von methodischen Aspekten und Erprobungsstrategien.
Forschung und Lehre bilden dabei eine gemeinsame Plattform des Austausches zwischen Forschung und angewandter Übung im Gesundheits- und Sozialmarkt. Künftig möchte das IDC zudem der Dynamik und Professionalisierung der Gesundheits- und Sozialwirtschaft mit einem abgestimmten, einzigartigen Bildungsangebot begegnen (vgl. Abbildung 1).Somit können die Aktivitäten des IDC in ein Forschungsinstitut und ein Lehrinstitut differenziert werden:
Das Forschungs- und Lehrinstitut IDC strebt eine optimale Balance zwischen innovativer Forschung, anwendungsbezogener Integration in die Praxis und Rückkopplung der Erkenntnisse in die Lehre an. Durch das Forschungsinstitut als Koordinationsplattform gelingt eine kontinuierliche Anpassung und Weiterentwicklung der Lehrinhalte entsprechend der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Lehre am IDC kann daher eine Ausgewogenheit zwischen unternehmerischer Praxisbezogenheit und theoretisch fundierter, interdisziplinärer Wissensvermittlung erreichen.
Das IDC wird drei Bachelorprogramme anbieten, deren Ziel es ist Gesundheits- und Sozialversorgung aus den Blickwinkeln Technik-Ethik und Ökonomie zu betrachten und den Studierenden eine auf den Basisdisziplinen Ökonomie und Ethik fußende Kompetenz zur Auseinandersetzung mit den Managementaufgaben eines künftigen Gesundheits- und Sozialunternehmens zu übertragen. Durch den kontinuierlichen Auf- und Ausbau seiner Lehraktivitäten verfolgt das IDC das Ziel Führungs-, Fach- und Lehrkräfte in Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens auszubilden. Dieses Vorhaben zeigt sich auch in der verstärkten Investition in die Weiterbildung der Mitarbeiter. Als soziales Unternehmen hat die Diakonie Neuendettelsau in dieser Hinsicht eine Vorbildfunktion inne und hinterfragt durch Rückbesinnung auf seine diakonischen Wurzeln die jeweiligen Projekte und Aufgaben unter ethischen, ökonomischen und anwendungsorientierten Gesichtspunkten.
Die Auswirkung der Forschungstätigkeit auf die Gestaltung gesellschaftlicher Zusammenhänge ist eine besondere Zielsetzung des Forschungsinstituts des IDC. Die Forschungsschwerpunkte, die gegenwärtig bereits am Forschungsinstitut des IDC verortet sind, lassen sich in zwei Grundzüge unterteilen. Einerseits stehen institutionelle Fragen der Gesundheitsversorgung und der Pflege im Vordergrund der Forschungsaktivitäten. Andererseits bildet die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Bedingungsfaktoren infrastruktureller Assistenz- und Betreuungskonzepte in Gesundheitsversorgung und Pflege einen thematischen Schwerpunkt. In den ersten Bereich lassen sich Aktivitäten der Grundlagenforschung, wie etwa Aspekte der Teamproduktion in der Pflege, einordnen. Der zweite Bereich ist beispielsweise durch die Projektleitung der Diakonie Neuendettelsau im Projekt „Barrierefreie Gesundheitsassistenz“ charakterisiert, das Ergebnis des Spitzenclusterwettbewerbs des Bundes ist (gefördert durch das BMBF). Der Forschungsschwerpunkt des IDC liegt in diesem Forschungsprojekt auf der Einbettung der Nutzerseite in dieses Forschungsprojekt. Dazu werden im ersten Schritt anhand einer repräsentativen Befragung einer Pflege- und Dienstleistungsstruktur entsprechende Anforderungen erhoben und definiert und deren Umsetzung durch die Technikpartner iterativ überprüft. Neu an diesem Ansatz ist, dass von Beginn an ein entsprechendes Nutzerprofil, das auch in ein Geschäftsmodell münden soll, mitentwickelt wird. Darüber hinaus stellt die ethische Dimension des Projektes, sowohl in individual- wie sozialethischer Perspektive ein wichtiges Element der eigenen Forschungsstrategie dar. Die Diakonie Neuendettelsau hat mit dem Forschungs- und Lehrinstitut den doppelten diakonischen Auftrag wahrgenommen. Einerseits an einer ethisch vertretbaren Verbesserung der Lebens- und Versorgungsbedingungen für den Einzelnen zu arbeiten, andererseits eine gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, nämlich an der Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen zu arbeiten. Diese gehen gerade im Gesundheitswesen zwischen Wissenschaft und Praxis Hand in Hand.
Der Autor studierte Volkswirtschaftslehre. Dr. Zerth war von 1999 bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem mikroökonomischen Lehrstuhl, von 2000 bis 2010 war er Geschäftsführer der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth. 2003 und 2006 war er Gastdozent Mikroökonomie an der SISU, Shanghai. Seit 2010 ist er der Institutsleiter des IDC.