„Erfinden allein nützt nichts – wir haben in Deutschland viel erfunden, aber nichts daraus gemacht.“ Dieses Zitat von Prof. Dr. Bullinger, dem früheren Präsidenten der Fraunhofer- Gesellschaft, mag überspitzt klingen, bringt die Realität vieler Unternehmen aber auf den Punkt: mit großem Aufwand an Zeit und Geld, vielleicht auch öffentlichen Fördermitteln, werden innovative Produkte und Dienstleistungen entwickelt, die erstaunlich häufig nie auf den Markt kommen.
Die denkbaren Gründe erscheinen vielfältig: ein veränderter Markt, ein erstarkter Wettbewerb, zu hohe Produktionskosten, die fehlende Möglichkeit zur Patentierung etc. Tatsächlich ist die Ursache meist eine fundamentale Unsicherheit bei der Frage des Geschäftsmodells. Kann das neue Produkt mit dem bestehenden Geschäftsmodell vermarktet werden ohne negativen Einfluss auf andere Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens? Oder muss ein neues, vielleicht sogar innovatives Geschäftsmodell entwickelt und umgesetzt werden? Diese Fragen werden oft viel zu spät gestellt – dabei sollten die Antworten von Anfang an gezielt für die Steuerung des Entwicklungsprozesses genutzt werden.
Der Schlüssel, um diese Herausforderung zu meistern, liegt in der Interaktion mit potenziellen Kunden, Entwicklungspartnern, Zulieferern und anderen Gleichgesinnten. Vertraulichkeit spielt natürlich eine große Rolle – andererseits gehört zu Innovation auch Offenheit, die möglich ist, wenn sie auf der eigenen Kompetenz und dem Wissen innovativer Unternehmen basiert, das eben nicht so ohne Weiteres kopiert werden kann. Durch die Öffnung des Innovationsprozesses über die eigenen Grenzen hinaus können Unternehmen zusätzliches Wissen sowie externe Erfahrungen, Kompetenzen und Technologien erschließen.
Open-Innovation für Geschäftsmodelle. Dem Open-Innovation-Ansatz liegt die Überzeugung zugrunde, dass Unternehmen sowohl interne als auch externe Ideen nutzen können und nicht alles selbst erfinden, entwickeln und auf den Markt bringen müssen. Dieser Ansatz erweitert den Innovationsprozess, sodass zum Beispiel ein Kunde nicht nur über Probleme informiert, sondern auch Lösungen aufzeigt. Open Innovation basiert auf einer engen Kommunikation mit potenziellen Kunden, stärkt damit die Basis für die spätere Vermarktung und verhindert so, dass Neuentwicklungen in der Schublade verschwinden. Unabdingbare Voraussetzung für diese Vorgehensweise und die damit einhergehenden Vorteile bei der Vermarktung eines innovativen Produktes ist ein funktionierender und auf das Unternehmen zugeschnittener Innovationsprozess.
Innovationsnetzwerke regional initiieren und überregional nutzen. Netzwerke sind eines der am weitesten verbreiteten Instrumente für die Interaktion mit Kunden und Entwicklungspartnern, aber auch mit potenziellen Wettbewerbern. Während Branchennetzwerke wie Verbände oder regionale Cluster-Organisationen meist Interessenvertretung, Öffentlichkeitsarbeit und Wissensvermittlung im Fokus haben, sind technologieorientierte Innovationsnetzwerke anders gestaltet. Ziel der meist überregional ausgerichteten Netzwerke ist es, in konkreten Verbünden von Unternehmen unterschiedlichster Größe und Wertschöpfungsstufe innovative Produkte oder Dienstleistungen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
In der Metropolregion Hamburg–Schleswig-Holstein sind durch die EurA Consult AG, Niederlassung Hamburg, mehrere solcher Innovationsnetzwerke mit bundesweiter Ausstrahlung und Mitgliedern aus verschiedenen Regionen Deutschlands initiiert worden, zum Beispiel das Innovationsnetzwerk Zellkultur.
Innovationsnetzwerk Zellkultur. Das Innovationsnetzwerk Zellkultur wurde bereits 2014 von der Hamburger EurA Consult-Niederlassung gemeinsam mit der Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie, Lübeck, initiiert und konzipiert. Ziel des Netzwerks ist es, neuartige Produktionsverfahren in der Zellkultur zu entwickeln, die vollkommen auf die individuellen Bedürfnisse von Zellen abgestimmt sind. Im Gegensatz zu den heutigen Verfahren, die maßgeblich durch Arbeitszeiten des Laborpersonals und Umgebungsbedingungen der Laborgeräte geprägt sind, sollen künftige Zellkulturprozesse durch das Wachstums- und Syntheseverhalten der Zellen gesteuert werden und so einen umfangreicheren industriellen Einsatz von Zellkulturen vorbereiten. Um diese Vision umzusetzen, bringt das Netzwerk Spezialisten aus verschiedenen Arbeitsgebieten, Entwickler der nötigen Technologien und Anwender an einen Tisch, die gemeinsam Ideen für hochinnovative Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Neben sechs Partnern aus Hamburg und Schleswig-Holstein sind neun süddeutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen an diesem Netzwerk beteiligt.
Innovationsnetzwerk autonome Fahrzeuge. In einem ebenfalls von der Niederlassung Hamburg der EurA Consult AG initiierten und konzipierten regionalen Innovationsnetzwerk werden in Schleswig-Holstein Unternehmen, Hochschulen, kommunale Akteure und Wirtschaftsfördergesellschaften zusammenarbeiten. Ergänzt wird das Netzwerk, das neue Geschäftsmodelle für autonomes elektrisches Fahren in ländlichen Regionen sowie im Tourismus entwickeln und erproben will, von Automobilherstellern in anderen Bundesländern und im Ausland. Das Netzwerk basiert auf dem Ansatz, dass die Automobilhersteller solche Fahrzeuge zwar entwickeln und bauen werden, die Entwicklung der völlig neuartigen Geschäftsmodelle aber nur in der Interaktion mit Anwendern gelingen kann. Das komplexe, gesellschaftlich und volkswirtschaftlich relevante Thema autonomes Fahren wird in mehreren Arbeitsgruppen des Netzwerks bearbeitet werden. Wesentliche Aspekte sind die Verknüpfung autonomer Fahrzeuge mit dem öffentlichen Personennahverkehr, die Nutzung elektrischer Energie aus Windkraft für autonome elektrische Fahrzeuge sowie die Auswirkung auf Themen wie Mobilität im Alter und im ländlichen Raum. In dem zunächst auf zwei Jahre angelegten Netzwerkprojekt soll die Gründung einer Modellregion für die Entwicklung und Erprobung autonomer oder teilautonomer Fahrzeuge vorbereitet werden.
Die zielgerichtete Kooperation unterschiedlicher Akteure in Innovationsnetzwerken ist der Katalysator, damit aus Erfindungen auch etwas gemacht wird.
Dr. Harald Eifert
Dr. Harald Eifert ist Physiker, war Leiter eines Fraunhofer Centers in den USA und Adjunct Professor an der University of Delaware. Anschließend war er zwölf Jahre Vorstand der Innovationsstiftung Hamburg, zuständig für die Vergabe der Innovationsfördermittel des Landes Hamburg. Seit 2013 ist er Geschäftsführer der Niederlassung Hamburg der EurA Consult AG.
Ute Lutz
Ute Lutz, diplomierte Politologin, war 15 Jahre bei der Innovationsstiftung Hamburg tätig und ist heute Geschäftsführerin einer technischen Fakultät.