Österreich ist als europäischer Standort unvermindert gefragt. Zuletzt haben die heimischen Betriebe, Regierung und Sozialpartner in der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren Österreichs Standfestigkeit unter Beweis gestellt.
Mit den beiden Konjunkturpaketen, dem Bankenpaket und der großzügigen und flexiblen Umsetzung von Kurzarbeit durch die Unternehmen und die öffentliche Hand konnten rund 86.000 Arbeitsplätze in dieser Zeit gesichert werden! International gesehen, liegt Österreich damit im OECD-Vergleich unter den fünf besten EU-Mitgliedsstaaten. Das respektable Wachstum der österreichischen Wirtschaft von real plus 1,0 Prozent im zweiten Quartal 2011 gegenüber dem Vorquartal hebt sich deutlich von der Mehrzahl der Länder des Euro-Raumes ab. Das ist ein Zeugnis der Stärke der rot-weiß-roten Wirtschaft. Wir dürfen jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass sich Österreichs Wirtschaft internationalen Unsicherheiten und Risiken nicht gänzlich entziehen kann.
Wirtschaftsforscher gehen für das nächste Jahr von einer Abschwächung der Konjunktur aus, und die Sorge um den europäischen Wirtschaftsstandort, um die Schuldenkrise lässt auch uns nicht unberührt.
Umso wichtiger ist es, dass wir als kleiner Wirtschaftsstandort im Herzen Europas unsere Wettbewerbsfähigkeit schärfen und unsere Attraktivität für ausländische Investoren wahren.
Allein im Jahr 2010 konnte ein Plus bei den Betriebsansiedelungen von 25 Prozent erzielt werden. Einen starken Zuwachs verzeichnete man insbesondere von Betrieben aus Deutschland und dem CEE/SEE-Raum sowie den BRIC-Staaten. Die angesiedelten Betriebe haben dabei mit 221,1 Millionen Euro um 166 Prozent mehr in Österreich investiert als im Jahr zuvor.
Exporte als running horse. Die Entwicklung des österreichischen Außenhandels zeigt den Erfolg einer wettbewerbsorientierten Wirtschaftspolitik. Nach einem Rückgang in der Krise werden für 2011/2012 jährliche Exportraten von zehn Prozent erwartet. Der Anteil innovativer KMUs in Österreich ist der dritthöchste Europas. Dabei geht es etwa um Prozessinnovationen, um die Integration nicht selbst entwickelter Technologien. Die erfolgreiche Nischenpolitik basiert auf großer Flexibilität und gut ausgebildeten FacharbeiterInnen, sowie auf der Integration in internationalen Wertschöpfungsketten und der effektiven Partnerschaft unter größeren und kleineren Unternehmen.
Soziale Stabilität. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Planbarkeit von Investitionen und die Standortqualität. Problemlösungskapazität und Anpassungsfähigkeit der österreichischen Sozialpartner haben dazu geführt, dass Streiks – wenn überhaupt – in Sekunden gemessen werden, dass die soziale Sicherheit in Österreich sehr hoch ist. Die Sozialpartner verstehen sich in Österreich als Manager des Wandels, sie versuchen, neben den Interessen der eigenen Mitglieder stets vor allem das Gesamtinteresse unseres Landes zu vertreten. In über 60 Jahren hat das Handeln der Sozialpartnerschaft wesentlich zum Aufstieg Österreichs zu einem der wohlhabendsten und stabilsten Länder Europas beigetragen.
Wirtschaft ist im Aufwind. Durch die gute Performance der heimischen Betriebe steigt das Steueraufkommen für das Finanzministerium. Jetzt aber die großen Herausforderungen, vor denen Österreich steht, nicht anzugehen, wäre ein Kardinalfehler. Dazu gehören die Budgetkonsolidierung, der Schutz von Klima und Umwelt, die Sicherung der Energieversorgung, die Folgen der demografischen Entwicklung, Migration und Integration sowie die Absicherung der Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes.
„IQ-Strategie“ konsequent verfolgen. Die Zukunft unseres Standortes entscheidet sich an der konsequenten Verfolgung der „IQ-Strategie“. Innovation und Qualität sind die Eckpfeiler, mit denen wir uns von der internationalen Konkurrenz abheben können. Denn einen Kostenwettbewerb gegen Billiglohnländer können wir nicht gewinnen. Unser Standort profiliert sich durch die Qualität seiner Produkte und Dienstleistungen. Das gelingt aber nur mit gut ausgebildeten Mitarbeitern. Daher müssen wir Forschung, Innovation, Schule und Universitäten fördern, um für die Anforderungen der Zukunft gerüstet zu sein. Eine Bildungsreform ist dafür von zentraler Bedeutung. Bei der dualen Ausbildung unserer Lehrlinge sind wir in Europa auf den Spitzenplätzen. Die ausgezeichneten Leistungen unserer Lehrlinge hat zuletzt der Medaillenregen der EuroSkills eindrucksvoll bewiesen. Weniger gut läuft es jedoch in der Schule, die Pisa-Ergebnisse zeugen davon. Aber auch die Rückmeldungen aus der Wirtschaft führen den akuten Handlungsbedarf vor Augen. Zahlreiche Betriebe bekritteln die mangelnde Schulbildung ihrer Lehranfänger: Vor allem beim Wirtschaftswissen, Lesen und in der Mathematik weisen sie zum Teil erschreckende Defizite auf. Das bedeutet, dass wir das Potenzial unserer Jugendlichen, gemäß ihrer Talente und Begabungen, bestmöglich zur Entfaltung bringen müssen. Auch bei der Berufsberatung müssen wir ansetzen. Noch immer werden die meisten weiblichen Lehrlinge Friseurin, Einzelhandels- oder Bürokauffrau. Hier gilt es, verstärkt Mädchen für die Technik zu begeistern. Die Industrie lockt nicht zuletzt mit höheren Gehältern.
Wettlauf um die besten Köpfe. Der demografische Wandel trägt sein Übriges zur angespannten Situation bei. Zwischen 1993 und 2001 sanken die Geburten in Österreich um über 20 Prozent. Dieser Trend wird sich noch verschärfen. Gleichzeitig gehen immer mehr stärkere Jahrgänge, nämlich die Babyboomer der 1950er und 60er Jahre, in Pension. Die Rot-Weiß-Rot-Card, die einen kriteriengeleiteten Zuzug von Fachkräften aus Drittstaaten ermöglicht, wird hier Abhilfe schaffen. Auch die vollständige Öffnung des Arbeitsmarkes wird eine Entlastung bringen. Die Entwicklung lässt sich jedoch nicht aufhalten. Allein Gewerbe und Handwerk beziffern ihren Bedarf an qualifizierten Fachkräften mit 13.000 Personen. Der Wettlauf um die besten Köpfe hat begonnen und Österreich muss vorne mitmischen, um nicht den Anschluss zu verlieren.
Auch bei den Universitäten fehlt das Geld. Während die staatlichen Zuschüsse für die Pensionen bis 2014 auf zwölf Milliarden Euro steigen, fordern die Universitäten vergleichsweise geringe 300 Millionen Euro. Hier müssen wir ansetzen. Und wenn wir noch mehr Ganztagesschulen schaffen, Schülerinnen und Schüler mit Hilfe von Förderlehrern besser betreuen und ausbilden, dann ist schon viel geschafft. Im Gegenzug muss bei der Schulverwaltung gespart, sollten etwa die Bezirks- und Landesschulräte abgeschafft werden. Das ist auch bereits im Regierungsübereinkommen paktiert, die Regierung muss es nur noch umsetzen.
So wird die Bildungsfrage eine der entscheidendsten Standortfragen der kommenden Jahre, denn Asien – vor allem Indien und China – aber auch Südamerika, holen gewaltig auf. Diese Staaten haben nicht nur viele junge und fleißige Arbeitnehmer, sondern auch zunehmend gut ausgebildete und spezialisierte Fachkräfte.
Schulden sind Wachstumsbremse. Handlungsbedarf gibt es ebenso bei der Budgetkonsolidierung. Der kürzlich beschlossene Finanzrahmen sieht einen Anstieg der Schuldenquote bis 2013 vor. Damit erreicht der Schuldenstand mit mehr als 75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes einen noch nie dagewesenen, historischen Höchststand in der zweiten Republik. Österreich wird eine Verschuldung aufweisen, die um 50 Milliarden Euro über der vorgegebenen Schuldenobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen wird. Alleine die Staatsausgaben aus dem Titel Kassa und Zinsen belaufen sich aktuell auf 8,3 Milliarden Euro, das sind pro Tag fast 23 Millionen Euro. Schulden- und Zinsenlast haben sich in den vergangenen Jahren, auch bedingt durch die weltweite Krise, aber ebenso durch verschleppte Strukturreformen, auf ein erdrückendes Niveau gesteigert. Eine vierköpfige Familie müsste jährlich knapp 4.000 Euro alleine für die Zinszahlung der Staatsschulden berappen. Dieser Schuldenrucksack wird zur Wachstumsbremse, wenn Österreich nichts unternimmt, um Schulden und Zinsen nachhaltig zu senken.
Der 1949 geborene Autor studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.Christoph Leitl ist Unternehmer und Politiker der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Von 1977 bis 1990 war er Geschäftsführer der Bauhütte Leitl-Werke Ges.m.b.H. Seit 2000 ist er Präsident der Wirtschaftskammer Österreich und seit 2004 Obmann der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft.
Nur Luxemburger früher in Pension. Vor allem die Pensionszahlungen reißen tiefe Löcher in den Staatshaushalt. Die „Frühpensionitis“ ist Österreichs Volkskrankheit und ihre Auswirkungen sind erschreckend. Die Lebenserwartung ist gestiegen, doch das Pensionsalter stark gefallen. Die Österreicher verbringen heute viel mehr Zeit in Pension und Ausbildung als noch vor 40 Jahren. Die Zahl der Beitragsjahre sinkt stetig, die Pensionszuschüsse des Staates wachsen in schwindelerregende Höhen. Die Ausgaben des Bundes für Pensionen stiegen zwischen 2001 und 2010 um 53,5 Prozent. Der internationale Vergleich ist eindeutig: Mit einem durchschnittlichen Pensionsantritt von 59 Jahren bei Männern und 57 Jahren bei Frauen hat Österreich nach Luxemburg das niedrigste Pensionsalter aller OECD-Staaten. Wir müssen die Hacklerpension schleunigst, spätestens 2013, ersatzlos streichen. Jährlich stellen 70.000 Menschen Anträge auf eine Invaliditätspension, auch dieses Scheunentor ist langfristig unfinanzierbar und muss geschlossen werden. Oberstes Ziel einer Pensionsreform muss sein, das faktische Pensionsalter von derzeit 58 Jahren an das gesetzliche Pensionsalter (bei Frauen 60 Jahre und bei Männern 65 Jahre) heranzuführen. Längeres Arbeiten muss sich lohnen.
Wir befinden uns an einer entscheidenden Weggabelung. Österreich muss seine Herausforderungen ernst nehmen, Bildung, Forschung und Innovationen fördern, dringend notwendige Reformen bei Schule, Gesundheit, Verwaltung angehen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes langfristig und nachhaltig zu erhalten. Dafür ist die Wirtschaft ein verlässlicher Partner und Reformmotor.