Bislang zielte Innovation primär darauf ab, allein mit den Mitteln der Natur- und Ingenieurwissenschaften neue Produkte und Verfahren hervorzubringen.
Doch bereits heute wird deutlich, dass vor allem zwischenmenschliche
Interaktionen immer stärker in den Fokus rücken.
Die Baxter Oncology GmbH entwickelt und fertigt komplexe Injektionspräparate. Die Realisierung neuester technischer Verfahren und Produkte (Liposome, sterile Pulver, Gefriertrocknungsprodukte) läuft dabei automatisch unter sterilen Bedingungen in Isolatoren ab. Betreten werden können diese Isolatoren nicht. Lediglich über fest installierte Handschuhe können begrenzt Eingriffe getätigt werden. Häufig sind neue technische Konzepte und Prozesse für die Umsetzung neuer Produktideen erforderlich. Anpassungen an die sich rasant entwickelnden Kundenbedürfnisse sind Teil des Geschäftsmodells.
Für Unternehmen ist Wandel Teil des Alltags geworden. In der Vergangenheit wurden allzu oft ein Großereignis, eine Marktveränderung oder geänderte politische Rahmenbedingungen als „Sündenbock“ und als Legitimation für Wandel herangezogen. Nach einer Phase der Kontinuität wurde dann rasches Handeln in Unternehmen erforderlich – mit einer groß angelegten Mobilisierung der Mitarbeiter. Welche anderen Wege gibt es, um Wandel kontinuierlich und für alle berechenbarer zu gestalten? Innovations- und Wandlungsfähigkeit sind Schlüsselkompetenzen für den globalen Erfolg. Daher ist die projektartige Inszenierung von Wandel für alle Beteiligten zu erschöpfend und langfristig nicht durchzuhalten.
Der Wandel beginnt mit uns Menschen. Was liegt also näher, als die Menschen aktiv für den Wandel zu gewinnen und sie aktiv mitgestalten zu lassen? Den Wandel mit den betroffenen Menschen gemeinsam zu gestalten ist der Grundsatz. Und zwar direkt vor Ort, am Arbeitsplatz. Oft gehörte Aussagen, dass Menschen sich nicht ändern wollen, sind in der Absolutheit nicht zutreffend. In der Freizeitgestaltung oder zum Beispiel im Umgang mit elektronischen Medien zeigen wir uns als sehr wandlungsfähig. Gelingt es uns, diese positive Herangehensweise auf betriebliche Bereiche auszudehnen, so schaffen wir die Grundlage zur nachhaltigen Gestaltung einer Wandlungsfähigkeit.
Die folgenden Beispiele erläutern die Vorgehensweise: Neu zu erarbeitende Prozesse im Produktionsbereich werden mit modernsten Hilfsmitteln über Computersimulationen erstellt (Abb. 1). Nicht nur die Geometrie der Einzelkomponenten, sondern auch die Luftströmungen im Isolator werden simuliert. Der entscheidende Schritt ist nun die Einbindung der Mitarbeiter und Detaillierung der mittels Computer erarbeiteten Lösungen. Dazu werden die Maschinenkonzepte im Maßstab 1:1 in Holz und Kunststoff nachgebildet. Mitarbeiter aller Hierarchieebenen, aber vor allem Produktionsmitarbeiter, führen jeden kritischen Arbeitsschritt im Detail durch (Abb. 2). Die gewonnenen Rückmeldungen führen zu weiteren Anpassungen in der Maschinenhardware (Abb. 3). Auch die Reihenfolge von Arbeiten wird gemeinsam durch Management und Mitarbeiter geplant. Erforderliche Hilfsmittel und Teamgrößen für die Durchführung von Einzelarbeiten werden festgelegt. Am Ende jedes Workshops sind einige Prozessschritte im Detail beschrieben und Schritte der Ausführung definiert.
Mit diesem modularen Prozessdesign werden von Beginn an technische Ideen an Prozesse gekoppelt. Die Mitarbeiter spielen die Schlüsselrolle. Spätere Routinefehler werden vermieden und Qualität wird so von Anfang an in das Design der Maschinen eingebaut. So lassen sich Prozesse proaktiv gestalten und langwierige Optimierungsschritte bei laufender Produktion werden deutlich verringert – oder sogar vermieden. Einen Eindruck vom optimierten Maschinenkonzept zeigt Abb. 4 .
Diese strukturierte Vorgehensweise hat über die Jahre einen Kulturwandel ausgelöst. Weg von der Sichtweise, dass das Engineering neue Maschinen kauft, hin zu einer Kultur, dass gemeinsam mit den Mitarbeitern Prozesse entwickelt und definiert werden. Bei aller Hochtechnologie werden Maschinen somit Mittel zum Zweck. Der Mensch steht wieder im Zentrum und die Mitarbeiter vor Ort gestalten aktiv mit.
Erstklassige Ergebnisse sind das Resultat hochqualifizierter und motivierter Mitarbeiter, nicht das Resultat von eingesetzter Hochtechnologie. Mit der Entwicklung von Detailabläufen allein hat man noch nicht alle Mitarbeiter erreicht, die derartige Prozesse gegebenenfalls durchführen. Möglichst alle Mitarbeiter für die neu definierten Prozesse zu gewinnen ist entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung. In Zusammenarbeit mit der Firma Visart aus Bielefeld wurde ein adaptives Lernkonzept entwickelt, welches die wichtigsten Details aus dem Prozessdesign erfasst, verdichtet und in Bildsprache vermittelt. Dazu werden die Trainingsmaterialien auf iPads direkt am Arbeitsplatz zur Schulung eingesetzt. Die Abbildungen 5-8 zeigen anhand eines Ausschnitts während des sterilen Umkleideprozesses, wie der Prozess abläuft. Neben der Einbindung der Mitarbeiter ist auch entscheidend, dass die dargestellten Prozesse erkennen lassen, welche Details wichtig sind. Reale Fotos erlauben diese Differenzierung nicht ausreichend. Durch die grafische Darstellung durch professionelle Zeichner ist der Informationsgehalt auf das Wesentliche beschränkt, was tatsächlich erforderlich für den Erfolg ist.

Abbildung 7: Arbeitsschritt nach der Digitalisierung mit Beschränkung des
Informationsgehaltes auf das Wesentliche

Abbildung 9: Arbeitsschritt nach der Digitalisierung mit Beschränkung des Informationsgehaltes auf das Wesentliche
Fazit. Mit partizipativen Ansätzen die Arbeitsumgebung gestalten erzeugt eine Situation des „Mittendrin-Seins“. Die gemeinsame Gestaltung bewirkt gleichzeitig die frühzeitige Annahme der Prozesse, eine freiwillige Übernahme von Verantwortung sowie ein Empowerment. Mittel- und langfristig vollzieht sich ein kultureller Wandel im Unternehmen. Mitarbeiter aller Hierarchien werden verantwortlich für ihre Prozesse und ihr Handeln. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Arbeitsumfeld wird erreicht. Umfangreiche Partizipation durch Mitarbeiter ergibt für alle Stakeholder Vorteile. Eigenverantwortliche Mitarbeiter sind zufriedener und motivierter – wie unsere regelmäßigen Mitarbeiterumfragen belegen. Die Kunden erhalten maßgeschneiderte Lösungen nach ihren Vorgaben. Die Qualität der Produkte und Dienstleistungen steigt. In Summe ergibt sich ein bedeutender Wettbewerbsvorteil.
Dr. Burkhard Wichert
Der Autor ist Geschäftsführer der Baxter Oncology GmbH und trägt darüber hinaus Verantwortung für die drei Lohnherstellungsstandorte bei Baxter in den USA und Deutschland. Er ist Apotheker mit Promotion in Pharmazeutischer Technologie und MBA-Abschluss. Er begann seine berufliche Laufbahn mit einem Forschungsaufenthalt in den USA. Berufliche Stationen führten ihn über die Entwicklung von Arzneimitteln und das Projektmanagement hin zur Produktion und später in die Geschäftsführung.