Die Republik Tunesien hat mit ihrer besonderen geografischen Lage nah an Europa eine strategisch günstige Position inne. Tunesien gehört zu den Ländern mit den höchsten Potenzialen für das Outsourcing von IT-Dienstleistungen in Nordafrika. Dies lässt sich insbesondere auf die folgenden Vorteile zurückführen:
• Handelsvereinbarungen mit Europa
• Niedriges Lohn- und Gehaltsniveau
• Verbreitung von Fremdsprachenkenntnissen
• Hohe Bildungsqualität in Naturwissenschaften und im IT-Bereich
• Politische Unterstützung lokaler IT-Dienstleister und -Bildungszentren
Der Informations- und Telekommunikations-Sektor (IuK) ist ein dynamisches Wirtschaftsfeld mit einer hohen Priorität und mit den größten Wachstumsraten. Zwischen 2007 und 2011 hat die Branche einen Zuwachs von 17,5 Prozent verzeichnet. Sie trägt nachhaltig zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Zudem war Tunesien einer der ersten Staaten in Afrika und im Mittleren Osten, die eine IuK-Strategie definiert und aufgesetzt haben. Dabei hat das Land den Fokus auf die Informationstechnologie, Software für Industrietechnologien, Dienstleistungen und Multimedia gelegt. Diese Strategie beinhaltete unter anderem die Entwicklung der Human Ressources, eine Reform der regulatorischen und institutionellen Gegebenheiten.
Anbieter:
• 600 Softwareunternehmen
• 300 IT Systemintegratoren
• 400 Retailer
• 11 Internet-Service-Providers
Beschäftigte:
• 10 000 in Softwareunternehmen
• 17 000 in Call-Zentren
• 2 000 im IuK Hardware-Vertrieb
• 5 000 in Installation und Wartung
• 7 000 in Telecommunication Operators
Tunesien ist weltweit auf dem siebten Rang bei der Qualität der Hochschulausbildung und auf dem neunten Rang bei der Verfügbarkeit von Wissenschaftlern und Ingenieuren sowie auf dem fünften Rang bei der Effizienz des Managements von öffentlichen Ausgaben. Dank seines ökonomischen Erfolgs bekam Tunesien folgende Investitions-Einordnungen: BBB (Standard & Poor), Baa2 (Moody), BBB+ (Fitch-IBCA) und A- (R&I).
Der tunesische Staat garantiert die Bildung aller Kinder und hat in Bezug auf den Bildungsstandard bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Fast sieben Prozent des Haushalts werden für Bildung verwendet. Es gibt 192 höhere Bildungsinstitutionen und eine virtuelle Universität. Die Anzahl an Studenten hat sich auf 370.000 Studenten im Jahr 2010 verachtfacht, davon waren 58 Prozent weiblich. Die höheren Bildungsinstitutionen sind alle mit Internet und PCs ausgestattet und mehr als 50.000 Studenten sind in IuK-Studiengängen eingeschrieben, was circa 14 Prozent aller Studenten ausmacht. Pro Jahr machen rund 10.000 Studenten ihren Abschluss in IuK-Studiengängen. Damit zeichnet sich der tunesische Arbeitsmarkt durch eine hohe Verfügbarkeit von IuK-Fach- und Spitzenkräften aus.
Das Budget für Forschung lag bei 1,25 Prozent des BIP. Bis zu einem Alter von 16 Jahren ist die Schulbildung verpflichtend und kostenlos. Die Einschulungsrate liegt bei mehr als 99 Prozent für sechsjährige Kinder. Die schulische Grundausbildung dauert dabei neun Jahre.
Ökonomische Wettbewerbsfähigkeit. Im Ranking des World Economic Forum von 2009/2010 ist Tunesien auf Platz 40 bezogen auf die globale Wettbewerbsfähigkeit und liegt damit vor zahlreichen industrialisierten Staaten. In Afrika rangiert Tunesien an erster Stelle, noch vor Südafrika, Mauritius, Ägypten und Marokko.
Dieses Ranking basiert auf 12 qualitativen und quantitativen Kriterien: institutionelle Rahmenbedingungen (legislativer und administrativer Kontext), makroökonomische Stabilität, Infrastruktur, Gesundheit und Grundschulbildung, Innovation und Markteffizienz (Finanzwesen, Arbeitsmarkt und Güter), technologische Kapazität, Größe des Marktes, Komplexität der Wirtschaft und der höheren Bildung, Aus- und Weiterbildung. Daneben profitiert Tunesien von wettbewerbsfähigen Löhnen und Gehältern seiner Arbeitskräfte.
Tunesien lag beim AT Kearney Global Services Location Index (GSLI) 2011 auf Platz 23 (von 50). Diese Kennzahl misst die Attraktivität von Ländern für die Offshore-Industrie. Dieser Index setzt sich aus drei Kategorien und elf Subkategorien zusammen, die wiederum durch mehrere Indikatoren gemessen werden. Die Hauptkategorien gliedern sich in:
• Finanzielle Attraktivität des Landes (zum Beispiel Durchschnittsgehälter, Strompreise und Steuern)
• Qualifikation und Verfügbarkeit von Personal und
• Wirtschaftliches Umfeld (zum Beispiel Infrastruktur, IT-Service-Qualität, kulturelle und institutionelle Rahmenbedingungen).
Wissensgesellschaft. Der für die ökonomische und soziale Entwicklung entscheidenden Faktoren – Wissen und Technologie – gewahr, baut das Land fortlaufend die Investition in die Wissenslandschaft aus und sichert die Anpassung des Bildungssystems und den Bereich der Aus- und Weiterbildung. Ziel ist die Sicherstellung der nötigen Qualifikationen für die Arbeitswelt. Da man sich schon früh bewusst war, dass die Zertifizierung von Unternehmen und Qualifikationen wichtig ist, um eine hohe Dienstleistungs- und Produktqualität sowie konstante Verbesserung zu garantieren, nahm Tunesien schon früh am Programm der ISO-Zertifizierung teil.
Auch wurden bestimmte Programme der Unternehmenszertifizierung eingerichtet. Dazu zählen zum Beispiel CMMI, ITIL und CISA. Daher hat Tunesien das erste CMMI 5 Level zertifizierte Unternehmen in Afrika. Ein ambitioniertes Programm der Zertifizierung von Qualifikationen wurde ebenfalls eingerichtet. Es zielte darauf ab, 70.000 Absolventen zur Zertifizierung in Informationstechnologie und Telekommunikation zu befähigen (CISCO, Microsoft, ITIL, LTI, Oracle, etc.). Um die Unternehmen zu ermutigen, sich an den Prozessen der Zertifizierung zu beteiligen, wurden entsprechende Anreize geschaffen. 50 bis 70 Prozent der Kosten wurden für die Zertifizierung übernommen.
Infrastruktur. Tunesien hat lange Zeit auf seine Telekommunikationsinfrastruktur viel Wert gelegt, welche die modernste im Mittelmeerraum und Afrika darstellt. Daher bedeckt das Telekommunikationsnetz das ganze Land und ist als einziges in Nordafrika mit allen Nachbarstaaten verbunden. Damit sind gute Telefon- und Internetverbindungen sowie Multimediaübertragung garantiert. Die Bandbreite wurde zwischen 2001 und Ende 2009 von 72 Mbit/s auf 27,5 Gbit/s erhöht. Tunesien hat zudem die höchste Telefondichte und Anzahl von PCs in Nordafrika.
Um die Gründung und die Entwicklung von Unternehmen mit starkem Innovationspotenzial zu fördern, startete Tunesien ein ambitioniertes Programm für die Entwicklung von zehn Technologie-Parks. Dieses Programm schließt drei Parks ein, die sich auf IuK spezialisiert haben. Daneben hat Tunesien auch einen modernen Immobilienbestand zu besonders wettbewerbsfähigen Preisen: Immobilien, deren Ausstattung es Unternehmen ermöglicht, Aktivitäten und Dienstleistungen, die im Schwerpunkt mit IuK zu tun haben, zu beherbergen (zum Beispiel Call Center, BPO).
Beim Network Readiness Index lag Tunesien im Jahr 2011 auf Platz 35 von 138 Ländern und im Jahr 2012 auf Platz 50 (von 142 Ländern). Der Network Readiness Index beschreibt den informationstechnologischen Entwicklungsstand eines Landes. Insbesondere nach der Jasminrevolution vor zwei Jahren, die durch das Internet gestützt wurde, können sich neue Chancen für den IuK-Markt ergeben, sofern die politische Lage stabil bleibt.
Ausblick. In der Gegenwart sind wir Zeugen tiefgreifender Veränderungen in Tunesien geworden. Das tunesische Volk hat mit der demokratischen Revolution in Tunesien ein neues Zeitalter eingeschlagen. Die Stimmung ist positiv und eine optimistische Aufbruchsstimmung ist klar zu spüren. Die Bevölkerung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind stolz und motiviert, ihr eigenes, nicht-fremdbestimmtes Tunesien aufzubauen.
Deutsche Unternehmer können die Chancen nutzen, die sich aus diesem Wandel ergeben. Zu rechnen ist mit einer erhöhten Investitionsbereitschaft von tunesischen Unternehmen. Heute gilt es für die deutsche und die tunesische Wirtschaft, die sich bietenden Möglichkeiten wahrzunehmen und partnerschaftlich engagiert umzusetzen.
The author studied Electrical and Information Technology Engineering in Stuttgart and obtained an MBA from Grande Ecole de Commerce ESSEC Paris and Mannheim Business School. Mabrouk is director of research at the private Swiss “Monarch University of Graduate Studies in Management” and teaches Management and Strategy.