Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung war in Tunesien bislang sehr gering; ein Großteil der Energieerzeugung basiert auf Gas und lediglich 5 Prozent werden aus Wind- und Wasserkraft gewonnen. Um den Anteil der erneuerbaren Energien auszubauen und hierbei vor allem das Potential der Sonne zu nutzen, hat die tunesische Regierung 2009 einen Solarplan (Plan Solaire Tunisien) aufgesetzt. Dieser sieht vor, bis 2030 Kraftwerke mit einer Leistung von 4,7 GigaWatt (GW) auf Basis von erneuerbaren Energien in Betrieb zu nehmen. In diesem Zusammenhang hat die Industrieinitiative Dii ein Abkommen mit STEG Énergies Renouvelables (STEG ER) – einer Tochter des staatlichen, tunesischen Energieversorgers STEG – unterzeichnet, welches sich auf Projekten mit erneuerbaren Energien in Tunesien konzentriert. Im Rahmen dieses Abkommens wurde von Dii eine Machbarkeitsstudie für Solar- und Windenergie erarbeitet. Gegenstand der 2012 fertiggestellten Studie sind die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die für den lokalen Energieverbrauch und den Export in Nachbarländer erfüllt sein müssen, sowie der Ausbau des tunesischen Stromnetzes. Die Kooperation mit STEG ER umfasst ausserdem die Identifikation von möglichen Referenzprojekten auf Basis verschiedener Technologien wie Photovoltaik (PV) und Solarthermie(CSP) mit einem Gesamtvolumen von 1 GW. Eine wichtige Rolle spielt darüber hinaus die Verlegung einer Übertragungsleitung von Tunesien nach-Italien.
Tunesien ist ein attraktiver Standort für die Entwicklung von erneuerbaren Energien. Starkes Bevölkerungswachstum und ein steigender Bedarf der Industrie lassenden tunesischen Strombedarf jährlich bis 2020 um 5 bis 7 Prozent wachsen. Bei seinen Kapazitäten stößt Tunesien bereits jetzt an Grenzen; so gab es im vergangenen Sommer mehrfach Stromausfälle. Hinzu kommt, dass Tunesien bis dato stark von Gasimporten abhängt. Rund. 70 Prozent des Gasbedarfs können nur durch Zukäufe befriedigt werden. Dieser Trend dürfte anhalten, da Tunesien die Installation mehrerer kombinierter Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke (CCGTs) plant. Bisher kann auf subventioniertes Gas aus Algerien zurückgegriffen werden, hier wird jedoch eine allmähliche Angleichung an Weltmarktpreise und somit eine Preissteigerung erwartet.
Erneuerbare Energien stellen daher eine große Chance dar, um den Strommix Tunesiens langfristig auf nachhaltige und vor Ort verfügbare Energiequellen umzustellen. Weitere Chancen bietet der Stromexport nach Italien. Dies würde Tunesien zusätzliche Einnahmen verschaffen und Italien den Bezug günstigen tunesischen Solarstroms ermöglichen, welcher unter den italienischen Marktpreisen läge. Der Bau eines Unterseekabels nach Sizilien ist bereits in der Diskussion. Zusätzlich müsste jedoch das tunesische Stromnetz erweitert werden, da im Hochspannungsbereich bis dato fast ausschließlich 225 kV und 150 kV Leitungen existieren. Im Hinblick auf die steigende Nachfrage und höhere Netzlast ist ein 400 kV Ring geplant, welcher die Lastzentren an der Küste mit der bestehenden Nord-West Leitung verbinden soll. Bei der Vernetzung mit Algerien und Libyen kann auf bestehende Leitungen zurückgegriffen werden (5 nach Algerien und 2 nach Libyen). Die 400 kV Leitung nach Algerien könnte schon kurzfristig genutzt werden. Tunesien könnte hier zudem als Transitland für den Elektrizitätstransport von Nordafrika nach Europa fungieren und somit eine Schlüsselrolle für die Realisierung der Desertec Vision spielen.
Zudem würde das tunesische Netz, das heute eine Gesamtkapazität von 4 GW hat, durch eine Verbindungsleitung mit Italien stabilisiert werden. Eine Auswertung der Dii hat ergeben, dass grüner Strom aus Wind und PV unter Berücksichtigung zinsgünstiger Kredite sowohl für Tunesien als auch für den Export nach Italien marktfähig wäre. Derzeit setzt Tunesien noch auf fossil befeuerte Stromerzeugung, weil noch keine Erfahrungen zur Netzintegration von großen Kraftwerken auf basis erneuerbarer Energien vorliegen. Dii hofft in diesem Zusammenhang auf die deutsch-tunesische Energiepartnerschaft und entsprechende Unterstützung durch die Bundesregierung für die ersten Anlagen.
Tunesien hat sich mit seinem Solarplan deutlich zur Förderung von erneuerbaren Energien bekannt. Um den Markt für Exportaktivitäten seitens privater Betreiber zu öffnen, muss die bestehende Gesetzgebung jedoch angepasst werden. Die bisher geeignetste Regelung für Exportprojekte ist die „Independent Power Producer“-Variante, bei der ein unabhängiger, privater Kraftwerksbetreiber den Strom produziert und exportiert. Eine solche Lösung erfordert die Genehmigung von „Merchant“-Leitungen, was bislang noch nicht der Fall ist, sowie Regelungen für die Strom-Allokation an der Verbindungsleitung mit dem Ausland und eine transparente Festlegung möglicher Durchleitungsgebühren.
Was die natürlichen Ressourcen für Projekte mit grünem Strom anbelangt, weist Tunesien gute Bedingungen auf, vor allem im Norden und Südosten des Landes. Besonders für Photovoltaik ist Tunesien ein attraktiver Standort. Die PV-Technologie ist für Tunesien zudem interessant, da sie die Installation neuer Gaskraftwerke zur Deckung der Spitzennachfrage im Sommer überflüssig machen könnte. Sie benötigt allerdings günstige Finanzierungsbedingungen sowie langfristige Abnahmetarife, da sie nur so mit den subventionierten konventionellen Energien konkurrieren kann. Ähnlich verhält es sich mit Windanlagen, wobei deren Wettbewerbsfähigkeit unter den genannten Voraussetzungen zunächst nur für den tunesischen Markt gegeben ist: aufgrund der Transportgebühr für die Mittelmeerverbindung lägen die Windpreise beim Export um 20 k/MWh über den italienischen Stromkosten. Die Kosten für Energiegewinnung mittels CSP sind im Vergleich der drei Technologien für grünen Strom am höchsten, da die tunesische DNI-Einstrahlung (Direktstrahlung) keine Spitzenwerte aufweist und CSP höhere Investitionen erfordert. Eine höhere Rentabilität könnte durch die Kombination mit Gas erreicht werden. Dank der sehr guten Gas-Infrastruktur Tunesiens und höherer Volllaststunden bei CSP, könnten solche Hybridkraftwerke durchaus attraktiv sein. Zudem können CSP-Kraftwerke durch thermisches Speichern auch in die Nachtstunden hinein Strom liefern.
Die Verwirklichung der EE-Ziele würde Tunesien neben den direkten Erträgen viele Vorteile in sozioökonomischer Hinsicht bereiten. Allein die von Dii identifizierten Referenzprojekte mit einer Gesamtkapazität von 1 GW würden jährliche Einsparungen von 520 Millionen m3 des natürlichen Gases bewirken, was einem Nettobarwert von 1,9 Milliarden. im Startjahr 2015 entspräche. Durch die Vermeidung der Gasverbrennung in konventionellen Kraftwerken könnte zudem der CO2-Ausstoß um 1,2 Millionen Tonnen pro Jahr gesenkt werden; damit können 600.000 Tunesier mit CO2-freiem Strom versorgt werden.
Tunesien hat die Chance, durch die baldige Realisierung von Solar- und Windprojekten eine Pionierstellung bei der Schaffung eines Marktes für erneuerbare Energien innerhalb der MENA-Region einzunehmen. Dies würde Tunesiens Energie-Unabhängigkeit deutlich erhöhen und die Energiesicherheit des Landes verbessern. Durch die Position als Erzeuger-, Transit- und Exportland für Wüstenstrom würde die nordafrikanische Republik außerdem von verbesserten politischen Kontakten mit europäischen Importländern und seinen afrikanischen Nachbarn profitieren.
The author has been at Dii since 2010. She joined the company’s management board in 2012 and is responsible for the Dii strategy “DesertPower 2050”, reference projects, country activities in North Africa and the Middle East, regulatory issues and political work. Before this, she worked as a consultant at the Boston Consulting Group. Aglaia Wieland holds a doctorate in financing.