Thüringen knüpft an seine Tradition als leistungsstarker Wirtschaftsstandort in der Mitte Deutschlands und Europas an. Das Jahr 2006 hat gezeigt, die Thüringer Wirtschaft bleibt auf Wachstumskurs. Mit einem Wirtschaftswachstum von 3,1 Prozent liegt Thüringen auf Platz drei aller Bundesländer. Der Wachstumsmotor ist die Thüringer Industrie: Mit 10,9 Prozent wurde erneut ein überdurchschnittliches Wachstum der Bruttowertschöpfung verzeichnet.
Diese positive Entwicklung ist umso mehr hervorzuheben, weil sie von einer Wirtschaftsstruktur getragen wird, die nach wie vor von kleinen mittelständischen Betrieben dominiert wird. 87 Prozent der Unternehmen haben weniger als zehn und etwa 97 Prozent weniger als 50 Beschäftigte. Nur 0,3 Prozent der Unternehmen sind Großunternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten. In einem Umfeld kleinbetrieblicher Wirtschaftsstrukturen gestalten sich die Entwicklungsmöglichkeiten mittelständischer Unternehmen schwierig. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben aufgrund ihrer zumeist begrenzten personellen, technischen und finanziellen Ausstattung zahlreiche Herausforderungen zu meistern. Typische Problemfelder sind das Anwerben von qualifiziertem Personal und der Zugang zu speziellem Know-how. Außerdem sind in vielen KMU eigene Forschung und Entwicklung sowie die stetige Modernisierung der Produktpalette unternehmerisch oft kaum im Alleingang zu realisieren. Auch der Zugang in gefestigte, etablierte Marktstrukturen und das Eindringen in neue Märkte ist für viele Unternehmen nicht einfach.
Vor diesem Hintergrund haben sich unternehmerische Kooperationen und Netzwerke strategisch als wirksam erwiesen. Vor allem projektbezogene Kooperationen gehören mittlerweile längst zum Alltag vieler Unternehmen. Durch Kooperationen und Netzwerke können betriebsgrößenbedingte Nachteile überwunden werden. Das ermöglicht wiederum kleinen Unternehmen, mit innovativen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen Marktanteile zu gewinnen.
Kooperationen und Netzwerke liegen dabei nicht nur im Interesse der Unternehmen, sie sind Gebot einer modernen Wirtschaftspolitik. Denn sie helfen, Kräfte zu bündeln und regionale Entwicklungspotenziale besser auszunutzen. Sie unterstützen die Herausbildung wettbewerbsfähiger Cluster. Vernetzte Unternehmen und Institutionen konzentrieren sich regional in einem speziellen Technologie- oder Anwendungsfeld. Dieses gebündelte Know-how schafft in einer ansonsten kleinteiligen Wirtschaftsstruktur oft erst die kritische Masse, um als Region für weitere Unternehmensansiedlungen interessant zu sein.
Es ist nicht die Aufgabe des Staates, unternehmerische Kooperationen selbst zu diktieren oder zu erzwingen. Durch die Wirtschaftspolitik können aber Rahmenbedingungen und Anreize für Kooperationen und für den Aufbau unternehmerischer Netzwerke gesetzt werden. Das kann beispielsweise die Unterstützung von Applikations- und Gründerzentren und einer anwenderorientierten Infrastruktur für Forschung und Entwicklung (FuE) sein. Außerdem ist es wirtschaftspolitisch zweckmäßig, zukunftsträchtige Wirtschaftsbereiche mit einer zielgerichteten Organisations- und Technologieförderung zu stärken. Eine gut ausgebaute Bildungsinfrastruktur aus Universitäten, Hochschulen und Forschungsinstituten bietet den Unternehmen darüber hinaus Potenzial an gut ausgebildeten Fachkräften in der Region und Zugang zu FuE.
Beim Themenbereich Netzwerke und Cluster fällt der Blick in Thüringen primär auf die Technologieregion Erfurt-Weimar-Jena-Ilmenau. Dabei ist die Stadt Jena – als Kompetenzzentrum in den Bereichen Optik, Medizintechnik, Bioinstrumente, Solar und Software – ein Thüringer Aushängeschild. Aber auch in der Peripherie dieser Kernregion ist viel in Bewegung gekommen; zum Beispiel im Eisenacher Raum mit der Automobilzulieferindustrie oder in der Region Schmalkalden-Meiningen mit dem Schwerpunkten Fertigungstechnik und Metallbearbeitung.
Wenn heute von Netzwerken die Rede ist, geht es nicht nur um die unternehmerische Kooperation in Bereichen wie Produktion oder Vermarktung. Ein entscheidender Schwerpunkt liegt in der Zusammenarbeit bei Technologie und Entwicklung. Wobei eine erfolgreiche Zusammenarbeit leistungsfähige Partner erfordert – sowohl auf Unternehmensseite als auch auf Seiten von Wissenschaft und Forschung.
Förderschwerpunkte in Thüringen
Dementsprechend ist es für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Thüringer Wirtschaft eine Voraussetzung gewesen, die Qualität der angewandten Forschung auf internationales Niveau zu heben. Zur Steigerung des technologischen Potenzials der Thüringer Wirtschaft sind außerdem viele junge und innovative Unternehmen staatlich gefördert worden. An Thüringer Universitäten und Fachhochschulen wurden und werden hervorragende Naturwissenschaftler, Ingenieure und Fachkräfte ausgebildet. Der Freistaat hat für die damit zusammenhängenden Fördermaßnahmen in den letzten Jahren erhebliche Mittel aufgewandt.
Im 18. Jahr nach der deutschen Wiedervereinigung kann Thüringen eine leistungsfähige, wirtschaftsnahe Forschungslandschaft aufbieten:

• Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, in Jena etwa der Beutenberg Campus unter anderem mit den Leibniz-Instituten für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Hans-Knöll-Institut) beziehungsweise für Altersforschung (Fritz-Lipmann-Institut), das Institut für Photonische Technologien, das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik und die Max-Planck-Institute für Biogeochemie sowie für chemische Ökologie oder in Ilmenau das Institut für Mikroelektronik- und Mechatronik-Systeme und das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie,
• Wirtschaftsnahe Forschungseinrichtungen wie das Hermsdorfer Institut für technische Keramik, das Thüringische Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung in Rudolstadt, das Institut für Fügetechnik und Werkstoffprüfung in Jena oder die Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung in Schmalkalden,
• Universitäten und Hochschulen – wie die Friedrich-Schiller-Universität und die Fachhochschule Jena oder die Technische Universität Ilmenau und die Fachhochschule Schmalkalden.
Im Projekt „Campus Thüringen“ werden die Kompetenzen aller Thüringer Universitäten und Fachhochschulen zudem gebündelt und vernetzt.
In der Thüringer Forschungslandschaft verschmelzen Tradition und Zukunft. Alte Stärken – Thüringen kann auf Abbe, Zeiss und Schott zurückblicken – auf dem Gebiet der Optik oder des wissenschaftlichen Gerätebaus wurden wiederbelebt und weiterentwickelt. Neue Schwerpunkte sind aufgebaut worden. Das gilt beispielsweise für die Bereiche Biotechnologie, Medizintechnik, Mikroelektronik, Medientechnologie oder Umwelttechnik und erneuerbare Energien.
Eine gute Forschungsinfrastruktur zu haben, ist das eine – sie zu nutzen das andere. Der Erfolg unserer Förderpolitik bemisst sich auch daran, ob es gelingt, eine vertrauliche und engagierte Zusammenarbeit der Unternehmen und Forschungseinrichtungen untereinander anzuregen.
Ein Schwerpunkt sind die sogenannten „Verbundprojekte“. Mit diesen Projekten sollen gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsvorhaben von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen realisiert werden. Ziel ist es einerseits, innovative Problemlösungen für die Wirtschaft direkt zu erarbeiten. Andererseits werden bei Verbundprojekten die Forschungseinrichtungen und Hochschulen unmittelbar für die Bedürfnisse der Unternehmen und des Marktes sensibilisiert. Es erfolgt also ein Wissens- und Know-how-Transfer in beide Richtungen. Vielfach wird mit Verbundprojekten der Grundstein für langfristige Partnerschaften gelegt. Für beide Seiten entsteht eine „Win-Win-Situation“.
Die staatliche Förderung erschöpft sich nicht in der Unterstützung der Verbundprojekte. Die Weiterführung der Forschungs- und Technologieförderung im Programm „Thüringen Technologie“ und die Zukunftsinitiative „Exzellentes Thüringen“ mit dem Programm „Pro Exzellenz“ sind Bausteine zur Stärkung der Innovationskraft der Thüringer Unternehmen.
Netzwerke stärken, Clusterprozess vorantreiben
Ein weiterer Ansatz zur Stärkung der Thüringer Wirtschaftsstruktur ist die unmittelbare Unterstützung von Netzwerken (zum Beispiel durch Förderung von Geschäftsstellen). Die Netzwerk-Förderung ist ebenfalls ein Schwerpunkt im umfangreichen Programm „Thüringen Technologie“.
Mittlerweile sind in Thüringen verschiedene Netzwerke etabliert. Diese variieren entsprechend ihrer thematischen Ausrichtung, ihrer Größe und ihres Organisationsgrades. Die etablierten Netzwerke konzentrieren sich nicht nur auf einzelne relevante Themen der Netzwerkpartner, sie decken darüber hinaus ein breites, anwendungsrelevantes Spektrum ab. Dieses Spektrum reicht von der Durchführung von FuE, dem möglichen Technologietransfer über die berufliche Ausbildung und Qualifizierung und die Sicherung des Fachkräftebedarfs bis hin zur Markterschließung und Öffentlichkeitsarbeit.
Die Netzwerke vereinen die relevanten Akteure einer Wertschöpfungskette. Sie sind als Rechtsperson konstituiert. Und sie sind zumeist die treibenden Kräfte bei der Herausbildung vollständiger Cluster geworden. Hervorzuheben sind in Thüringen Netzwerke wie OptoNet (optische Technologien), automotive thüringen (Automobilzulieferindustrie), PolymerMat (Kunststoffherstellung und -verarbeitung), SolarInput (Photovoltaik, Solarthermie), BioInstrumente (Biotechnologie/-instrumente) oder Ophthalmo Innovation (Medizintechnik).
Die bestehenden Netzwerke haben den Prozess der Clusterherausbildung nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ vorangetrieben. Dazu zählen die Zusammenarbeit der verschiedenen Netzwerke, die Durchführung von Workshops zu aktuellen technologischen Entwicklungen, die Begleitung von FuE-Vorhaben, die Unterstützung von Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung und zur Sicherung des Fachkräftebedarfs sowie die Gewinnung neuer Mitglieder oder auch Messeauftritte.
Nach den Ergebnissen einer für das Thüringer Wirtschaftsministerium erstellten Studie kann in Bereichen wie der Optikindustrie oder Kunststoffverarbeitung in Thüringen bereits von Clustern gesprochen werden. Andere Bereiche wie Automotive, Solarindustrie oder Medizintechnik haben gutes Potenzial, einen erfolgreichen Clusterprozess zu bewältigen.
Für die bestehenden Thüringer Netzwerkstrukturen hat die Zusammenarbeit mit anderen Netzwerken – auch bundesländerübergreifend – an Bedeutung gewonnen. Die im Rahmen der „Wirtschaftsinitiative für Mitteldeutschland“ gegründeten Netzwerke in den Bereichen Automotive, Chemie/Kunststoffe oder Biotechnologie/Life Sciences ergänzen durch ihre überregionale Zusammenarbeit die bisher selbstständigen und regional orientierten Netzwerke. Das schafft kritische Masse und schärft die internationale Wahrnehmung verschiedener Wirtschaftsschwerpunkte in den ostdeutschen Bundesländern.
In Thüringen haben wir einiges erreicht. Jena – die Stadt der Wissenschaft 2008 – steht heute synonym für Spitzentechnologie, Vernetzung, Dynamik, Erfindergeist und Unternehmertum. Auf der Grundlage einer langjährigen Technologietradition haben sich seit Beginn der 90er Jahre neue Strukturen herausgebildet, die dem Standort Thüringen insgesamt zu neuem internationalem Ansehen verholfen haben. Das Beispiel Jena zeigt dabei, welche Erfolge möglich sind, wenn unternehmerische Initiative und wissenschaftliches Know-how zusammenfinden. Das ist aber nicht allein das Erfolgsrezept – notwendig ist genauso eine zielgerichtete Förderpolitik, die die Rahmenbedingungen zur Entfaltung des wissenschaftlichen und unternehmerischen Potenzials schafft. Und noch ein weiterer Punkt ist entscheidend: Bestehende Netzwerke müssen gepflegt werden. Die Partner der Wissenschaft und aus der Politik, ebenso die Banken sollten die Sorgen und Ideen der Unternehmer ernst nehmen. Es gilt nicht nur Finanzierungen abzustecken, sondern auch die Entwicklung marktfähiger Produkte gemeinsam voranzutreiben und überhaupt gemeinsam Lösungen bei unternehmerischen Problemen zu erarbeiten. Dahingehend helfen den Thüringer KMU Netzwerkstrukturen. Netzwerke bieten den beteiligten Unternehmen größere Chancen und erfolgversprechendere Entwicklungsmöglichkeiten als sie sich Einzelkämpfer in hart umkämpften Märkten erarbeiten können.
Der 1954 in Thüringen geborene Autor ist Staatsminister für Wirtschaft, Technologie und Arbeit des Freistaates Thüringen. Jürgen Reinholz hat an der Technischen Hochschule Merseburg Verfahrenstechnik studiert und arbeitete unter anderem einige Jahre für die Gummiwerke Thüringen, bevor er als Projektleiter und Geschäftsführer für die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen GmbH wirkte.