Wie effizient ein Schiff seine Waren transportiert, wie effektiv es sich in Wind- und Wellenverhältnissen verhält und über welche CO2-Bilanz es verfügt, wird längst nicht mehr dem Zufall überlassen. An der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt erproben Ingenieure an Modellen unter anderem die Auswirkung von Umweltphänomenen und hydrodynamischen Einflüssen auf Rumpfkonstruktionen.
Bis in die frühe Neuzeit hinein war der Schiffbau vor allem ein Handwerk. Die bis in das 19. Jahrhundert für Werftunternehmer allenthalben übliche Bezeichnung „Schiffbaumeister“, hinter der nicht nur anerkannte technische Kompetenz, sondern auch Sozialprestige im meist noch überschaubaren Gefüge einer Hafenstadt steckte, deutet diesen Hintergrund anschaulich an. Die Auseinandersetzung mit den zeitlosen schiffbaulichen Grundproblemen und damit die allmähliche schiffbautechnische Weiterentwicklung erfolgten ausschließlich aufgrund praktischer Erkenntnisse, also durch Empirie.
Das deutsche Schiffbauversuchswesen hat eine internationale Vorgeschichte, die über mehrere Jahrhunderte führt. Voraussetzungen für eine praxisreife, entwurfsrelevante Versuchstechnik liegen in den Definitionen von Messaufgaben für die Entwurfsbewertung, in den Versuchseinrichtungen und Messgeräten, in den Methoden zur Versuchsauswertung und zur Prognose für die Großausführung. Diese Voraussetzungen wurden erst allmählich über viele Stationen geschaffen mit wichtigen Beiträgen von Wissenschaftlern wie Huygens, Mariotte, Newton, Chapman, D’Alembert, Van Zwijndrecht, Beaufoy, John Scott Russell, Reech, William und Robert Froude, David Taylor und vielen anderen. Durch diese Entwicklungen wird der Ausgangsstand gekennzeichnet, der am Anfang des 20. Jahrhunderts auch für die Gründung deutscher Versuchsanstalten maßgeblich war.
Das kaiserliche Deutschland erlebte seit den 1880er/ 1890er Jahren einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufstieg. Handelsschifffahrt, Marine und Werftindustrie zogen mit und rückten bis 1914 an die zweite Stelle hinter Großbritannien. So entwickelte sich hierzulande an vielen Orten hochspezialisiertes technisches und maritimes Know-how, das zwar auf das britische Vorbild aufbaute, schließlich aber eigene Wege ging. Die entstehenden technischen Lehranstalten wie etwa in Charlottenburg (1879) und Danzig (1904), aber auch die 1899 gegründete Schiffbautechnische Gesellschaft (STG), entstanden und entfalteten sich vor diesem Hintergrund.
Hamburg als der größte deutsche Hafen mit seiner Konzentration zahlreicher namhafter Reedereien und Werften wurde schließlich zum Standort für die führende deutsche Schiffbauversuchsanstalt. Die Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt GmbH (HSVA) wurde 1913 als privatwirtschaftliche Gesellschaft mit dem Ziel gegründet, unabhängige Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistungen für die maritime Industrie durchzuführen. Die Geburtswehen der HSVA erstreckten sich über mehr als zehn Jahre. So lange dauerte es, bis die Diskussionen über die Notwendigkeit eines großen hydrodynamischen Testinstituts in Deutschland – vor allem für die kommerzielle Schifffahrt – zur Gründung der HSVA führten.
Eigentümer der GmbH sind auch heute noch 20 Unternehmen aus allen Bereichen der deutschen maritimen Industrie. Die HSVA zählt heute zu den führenden Versuchsanstalten der Welt. Sie betreibt Versuchsanlagen von höchstem internationalem Standard, wie beispielsweise den Großen Schlepptank (bezogen auf den Querschnitt einer der weltweit größten Tanks), den Eistank und den großen Kavitationstunnel HYKAT, die neben den qualifizierten Mitarbeitern diese Position begründen. Neben den Versuchseinrichtungen wird im Haus entwickelte anspruchsvolle Software für numerische Simulationen genutzt. Die Entwicklungsvorhaben werden in erster Linie für die maritime Industrie aber auch für die Luftfahrtindustrie durchgeführt.
Rückgrat jeder Schiffbauversuchsanstalt sind neben engagierten, gut ausgebildeten Mitarbeitern die Versuchsanlagen. So wurde 1913 ein großer Schlepptank mit angeschlossenem Manövrierbecken gebaut. Auch der erste Kavitationstunnel, der als Vorläufer aller späteren geschlossenen Kavitationstunnel weltweit gesehen werden kann, wurde in den 30er Jahren errichtet. Das Ende des Zweiten Weltkrieges schien zunächst auch das Ende der Hamburger Institution zu bedeuten. Die Anlagen wurden weitestgehend zerstört. Doch es ging glücklicherweise weiter.
Der Grundstein für die neue HSVA wurde am 22. Februar 1952 gelegt und bereits am 22. Oktober des gleichen Jahres konnten die ersten Versuchsanlagen in Betrieb genommen werden: ein Schleppkanal von 80 Metern Länge, ein Manövrierbecken mit 25 Metern Durchmesser sowie ein Flachwasserkanal. Um die ausgesprochen erfolgreiche Forschung auf dem Gebiet der Propeller fortzuführen, wurde 1954 der erste Kavitationstunnel der Nachkriegszeit erbaut. 1957 folgte ein neuer großer Schlepptank mit 200 Metern Länge und 18 Metern Breite und entsprechendem Schleppwagen, 1959 wurde ein Wellenerzeuger ergänzt und wenig später eine weitere Verlängerung um 100 Meter auf 300 Meter vorgenommen. Ein zweiter, weitaus größerer, sehr schneller Kavitationstunnel wurde 1960 fertiggestellt. Der Bau eines Eisbeckens im Jahr 1984 ist ebenfalls eine Reaktion auf die Anforderungen der Schifffahrt, in der eisgehende Schiffe zunehmend an Bedeutung gewannen. Mit 78 Metern Länge, zehn Metern Breite und einer Tiefe von fünf Metern ist diese Versuchsanlage weltweit immer noch eine der größten ihrer Art. 1988 fand die Inbetriebnahme eines neuen Hydrodynamik- und Kavitationstunnels (HYKAT) statt, ein weiterer weltweiter Meilenstein beim Bau von Anlagen zur Optimierung von Schiffspropellern. 2011 konnte mit finanzieller Unterstützung durch die Freie und Hansestadt Hamburg eine Investition realisiert werden, die ebenfalls weltweit einmalig ist: ein seitlicher Wellenerzeuger für den großen Schlepptank auf einer Länge von 40 Metern, der die Untersuchungen von Schiffen und Offshore-Anlagen unter realistischen Seegangsbedingungen ermöglicht. Noch nie zuvor wurde eine solche Anlage in einen existierenden Schlepptank eingebaut.
Bis zum Beginn dieses Jahrhunderts gelang es durch diese erheblichen Investitionen und durch intensive Forschungsarbeiten, wieder einen führenden Platz unter den weltweit operierenden Schiffbauversuchsanstalten einzunehmen. Bis heute werden meist komplexe hydrodynamische Fragestellungen bearbeitet, die nur mit Hilfe von Experimenten in anspruchsvollen Versuchsanlagen oder mit aufwendigen Berechnungsmethoden, zu deren Entwicklung die HSVA in den letzten Jahren ebenfalls entscheidend beigetragen hat, von speziell ausgebildeten Experten gelöst werden können.
Der bei Schiffsneubauten erreichbare technische Fortschritt hängt nicht zuletzt davon ab, was vorweg in Forschungsvorhaben an Know-how erarbeitet worden und für ein aktuelles Projekt verfügbar ist und genau da spielt die Schiffbau-Versuchsanstalt eine wichtige Rolle. Sie ist Mittler zwischen den Hochschulen und der Industrie.
Die Schiffshydromechanik ist und bleibt eine ganz wichtige Grundlage für den Bau von wirtschaftlichen und sicheren Schiffen. Sie ist längst noch nicht am Ende ihrer Entwicklung angekommen. Insbesondere die numerische Lösung von Strömungsproblemen (CFD) hat noch eine große Zukunft vor sich. Die Entwicklung dieses Gebietes macht allerdings die Versuchstechnik nicht überflüssig. Sie wird im Gegenteil anspruchsvollere und komplexere Aufgabenstellungen mit sich bringen. Auch die Eistechnik birgt noch ein großes Forschungs- und Entwicklungspotenzial. Dem Thema Klimawandel kommt sowohl politisch als auch gesellschaftlich eine Bedeutung zu, die vor mehreren Jahren kaum absehbar war. Weiterhin müssen die auch von der Schifffahrt erzeugten Emissionen, die maßgeblich zum Klimawandel beitragen, reduziert werden. Die Wettbewerbsfähigkeit von Schiffen wird künftig nicht allein von ihrer Ladungskapazität abhängen. Vielmehr spielt der Kraftstoffverbrauch eine zunehmend wichtigere Rolle. Energieeffiziente Schiffe helfen nicht nur der Umwelt, sondern können dank niedrigerer Betriebskosten auch über einen langen Zeitraum Wettbewerbsvorteile realisieren. In der Entwicklung derartiger Schiffstypen liegt eine große Chance für die HSVA.
Neben ihrer Arbeit als Dienstleister für die Schiffbauindustrie kommt der Schiffbau-Versuchsanstalt auch eine erhebliche Bedeutung als Wegbereiter für neue Entwicklungen und als Technologie-Multiplikator zu. Die hier durchgeführten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten werden im Rahmen konkreter Industrieprojekte schnell in die industrielle Praxis übernommen und im Rahmen konkreter Projekte angewendet. Dies gilt zum Beispiel für neue numerische und experimentelle Verfahren. Die Durchführung von anwendungsnaher Forschung und Entwicklung in Kooperation mit Hochschulen und Wirtschaftspartnern mit dem Ziel, schnell einsatzfähige Produkte zu entwickeln, bildet eine der wesentlichen Aufgaben der HSVA als führender deutscher Schiffbau-Versuchsanstalt.
Der Markt und das Umfeld der HSVA haben sich in den letzten Jahren immer stärker internationalisiert. Das bedeutet einerseits neue technische Herausforderungen, andererseits aber auch neue Wettbewerbssituationen. Haben Schiffbau-Versuchsanstalten in der Vergangenheit in erster Linie den nationalen „Heimatmarkt“ bedient, so finden sie heute ihr hauptsächliches Betätigungsfeld in den Ländern, in die sich ein Großteil der Schiffbauproduktion verlagert hat. Dies sind im wesentlichen Korea, China und Japan.
Im Unterschied zu manchen anderen Versuchsanstalten in der Welt hat die HSVA in den Jahren 2009 und 2010 ihre personelle Kapazität erhalten, ja sogar verstärkt. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass verminderte Forschungs- und Entwicklungskapazitäten vorhersehbar zu einem technologischen Rückstand führen würden, der die Position der Hamburger Einrichtung weltweit schwächen und unsere Konkurrenten eher stärken würde. Eine verstärkte Konzentration auf anspruchsvolle Schiffstypen ist deshalb unabdingbar. Jetzt muss die Frage angegangen werden: „Wie werden Schiffe und deren Systeme sowie meerestechnische Strukturen in fünf, zehn oder zwanzig Jahren aussehen?“ Welche Marktpotenziale werden entstehen und welche Lösungsansätze sind dafür zu entwickeln? Durch ihre weltweiten Aktivitäten können die Ingenieure der HSVA entscheidend zur Beantwortung dieser existenziellen Fragen beitragen.
Die Tatsache, dass trotz der Krise in der Schifffahrt das Jahr 2013 für die HSVA wiederum ein sehr erfolgreiches Jahr war, bestätigt diese Annahme.
Der Diplom-Ingenieur ist seit 1979 Mitglied der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA), wo er seit mehr als 20 Jahren in den Abteilungen Propeller und Kavitation zunächst als Wissenschaftler, dann als Projektingenieur und zuletzt als Abteilungsleiter tätig war. Themenschwerpunkte seiner Arbeit sind die Korrelation von Modell- und Endwertdaten bezüglich der Wirksamkeit von Schiffspropellern sowie die Entwicklung von Testeinrichtungen zum Verständnis der Kavitation. Er war maßgeblich für die Gestaltung des Kavitationstunnel-Projekts HYKAT und für den Betrieb der Anlage verantwortlich. Seit 2004 ist er Geschäftsführer der HSVA.