Nicht jeder, der simuliert, hat ein gutes Gewissen. Den Braunschweigern indessen gereicht das Simulieren zur Ehre. Denn am Forschungsflughafen Braunschweig ist die Simulation eine weltweit anerkannte Profession auf dem Forschungsgebiet Mobilität.
Der Forschungsflughafen Braunschweig ist das deutsche und europäische Zentrum für Forschung und Entwicklung künftiger Technologien im Bereich der Mobilität. Im interdisziplinären Campus Forschungsflughafen, dem wissenschaftlichen Zusammenschluss der luft- und raumfahrttechnischen Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Technischen Universität Braunschweig, forschen unter dem etwas sperrigen Programmnamen „Bürgernahes Flugzeug“ zahlreiche Institute, um der Herausforderung der wachsenden Mobilität, schwindender Ressourcen und des steigenden Umweltbewusstseins begegnen zu können. Es geht nicht um das schnelle Erreichen ferner Ziele und nicht um Hightech um des Fortschritts Willen. Im Zentrum der Forschung stehen vielmehr der Mensch und die Gesamtheit seiner durchschnittlichen Vorstellungen von der idealen Mobilität. Ein Ideal, das bereits bei der Anreise zum Flughafen ansetzt, also weit vor dem Abheben der Maschine. Unser Ideal von der Luftfahrt ist die Vision von einem leicht erreichbaren Flughafen, dessen Arbeitsprozesse sowohl die Steuerung des Flugverkehrs als auch die Abwicklung der Fluggäste und Güter zeitsparend, gefahrlos und störungsfrei gewährleisten; kombiniert mit einem Flugzeug, das leicht genug ist, um den Treibstoffverbrauch auf ein Minimum zu reduzieren, das schnell und zudem so leise ist, dass die Emissionen weder Anwohner noch Reisende belasten. Die Forschung und Entwicklung in Braunschweig bringt uns diesem Ideal näher.
Auch die Automobilindustrie nutzt die Simulationstechnologie am Forschungsflughafen. Ein Beispiel für Ressourcenschonung offenbaren beispielsweise die Entwicklungen der Firma delair Air Traffic Systems GmbH. Das Unternehmen wurde 1997 am Flughafen Braunschweig gegründet und bietet innovative Systeme zur Prozessoptimierung auf Flughäfen und im umgebenden Luftraum an. Delair-Software verringert Warteschleifen, Anflugzeiten sowie Rollzeiten vor dem Abflug. In der Folge können Personal und Technik effizient eingesetzt und Treibstoff eingespart sowie Reisezeiten verkürzt werden.
Ein gutes Beispiel für praxisnahe Simulation bietet die Firma Simtec simulation technology GmbH, Herstellerin des weltweit einzigen Full-Flight-Simulators für den Flugzeugtyp Dornier 228. Zu dem Simtec-Trainingszentrum kommen dementsprechend Piloten aus aller Welt. Simtec ist einer der Weltmarktführer als Systemanbieter für die realistische Simulation von komplexen und verkehrsträgerübergreifenden Bewegungsvorgängen. Produktqualität, Lebensdauer und Materialverschleiß werden beispielsweise von der Automobilindustrie dank der Simulationstechnologie durch realistische Tests unter Laborbedingungen analysiert. Die spektakulären Entwicklungen werden selbst von der Entertainmentindustrie genutzt. Simtec arbeitet an gemeinsamen Projekten mit DLR-Instituten und hat 2012 einen neuartigen Gyrocoptersimulator entwickelt, um den enorm gewachsenen Schulungsbedarf für dieses neuartige Fluggerät zu unterstützen.
Fernmobilität ist in unserer globalisierten Welt ein Schlüsselsegment der Industrie und damit ein wahrer Innovationsmotor. Limitierende Faktoren wie begrenzte Ressourcen und drängende Umweltverträglichkeit neuer Technologien fordern von Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet ein Höchstmaß an Vernetzung. Ein solches Optimum an verlinkter Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft findet sich am Forschungsflughafen Braunschweig.
Praxisnahe Forschung der Spitzenklasse. Am Forschungsflughafen arbeiten zahlreiche Forschungseinrichtungen von der Grundlagenforschung bis hin zur anwendungsnahen Technologieentwicklung und -erprobung. Die Ausstattung ist mit Forschungsflugzeugen, Simulatoren, Windkanälen und Prüfständen sowie der kompletten Flughafeninfrastruktur geradezu ideal und wird ständig weiter ausgebaut. 2011 wurden 33 Millionen Euro in die Verlängerung der Start- und Landebahn investiert, um dem neuen Forschungsflagschiff ATRA, einem für Forschungszwecke umgerüsteten Airbus A320 des DLR, die Tests am Forschungsflughafen unter Volllast zu ermöglichen. Auch wurde hier im Jahr 2008 beispielsweise Europas größter Hochleistungsrechner für numerische flugphysikalische Simulation C²A²S²E (Center for Computer Applications in AeroSpace Science and Engineering) in Betrieb genommen. Insgesamt wurden zwischen 2007 und 2011 über 175 Millionen Euro in die Forschungsinfrastruktur investiert und ab 2012 folgen weitere 60 Millionen Euro. Die Forschungseinrichtungen sind dabei engmaschig vernetzt, auch mit Unternehmen der freien Wirtschaft, Behörden und Technologietransferstellen. Ein Umstand, der es ermöglicht, neue Technologien nicht nur zu entwickeln und zu erproben, sondern sie auch schnell und effizient in neue Produkte und Dienstleistungen umzusetzen.
Ein Baustein der dortigen Forschung und Entwicklung ist etwa das Segment Satellitennavigation und die damit verbundenen Erprobungen, Zertifizierungen und Validierungen. So entsteht hier ein neues Galileo-Labor, das das aviationGATE der TU Braunschweig als Erprobungsfeld für Galileo-Anwendungen und das Galileo Zentrum für sicherheitskritische Anwendungen, Zertifizierungen und Dienstleistungen (GAUSS) ergänzen wird. Neue satellitengestützte Prozesse können über die vorhandenen Forschungsflugzeuge bis zur Einsatzreife getestet werden.Auch an diesem Punkt zeigt sich, wie realitätsnah das Wort von den „kurzen Wegen“ tatsächlich ist.
Dabei bezieht sich die Forschung und Entwicklung am Forschungsflughafen nicht nur auf den Bereich Luft- und Raumfahrt, sondern, wie partiell schon dargestellt, auch auf die Sektoren Automotive und Rail und somit auf die gesamte Mobilitätswirtschaft. Die wichtigsten Themen auf diesem Feld der Forschung sind Leichtbau, neue Werkstoffe, Simulation, Kommunikation, Steuerung und Regelung, Flugführung, Air Traffic Management, Aerodynamik und neue Antriebstechniken.
Beispielgebend für den Forschungsbereich Straßenverkehrssicherheit ist die technische Plattform „Car-2-car-communication“, die von ITS Niedersachsen betreut wird. Es geht hierbei um die intelligente Kommunikation zwischen benachbarten Fahrzeugen mit den Zielen der Unfallvermeidung, Stauentzerrung sowie Anhebung der Bedienerfreundlichkeit der Autos von morgen. An dem Projekt sind neben dem DLR und der TU Braunschweig alle großen deutschen Automobilhersteller beteiligt.
Leichtbau und Flugzeugsystemtechnik der Zukunft. Von entscheidender Bedeutung für herausragende Flugleistungen sind optimale Leichtbaustrukturen gerade in den Bereichen Rumpf und Flügel. Beim Leichtbau können harte, aber leichtere Strukturen aus Kohlefaserverbund mit Metallbeschichtung den Treibstoffverbrauch spürbar reduzieren, kürzere Start- und Landebahnen sind auch für Großflugzeuge nutzbar. Mittels neuer Klebetechnologien können Wartungsarbeiten effizienter und wirtschaftlicher durchgeführt werden. Analysiert, modelliert und validiert werden auf diesem Forschungsgebiet zudem das Schädigungsverhalten der verschiedenen Strukturkonzepte und der lösbaren Verbindungen.
Bei der Flugzeugsystemtechnik sollen etwa hybride adaptive Flugregelungsstrategien die Vorteile von modellbasierten Reglern mit der Lernfähigkeit von künstlichen neuronalen Netzen vereinen. Die lernende Systemtechnik soll den Piloten vor allem in schwierigen Flugsituationen unterstützen. Das schließt das Erlernen eines qualifizierten Basiswissens, das Reaktionsverhalten unter Extrembedingungen sowie die Erarbeitung eines geeigneten Sensorkonzepts mit ein.Der Forschungsflughafen wächst beständig und die rund 2.300 hochqualifizierten Arbeitsplätze am Standort lösen weitere rund 4.500 Arbeitsplätze aus beziehungsweise sichern diese. So wird hier neben dem Campus Forschungsflughafen mit dem Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) ein weiteres interdisziplinäres Zentrum für Grundlagen- und praxisnahe Forschung realisiert.
Forschungsflughafen Braunschweig: Das ist Forschung, die uns bewegt.
Die Autorin studierte von 1984 bis 1987 an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Braunschweig. Nach Stationen im Stadtmarketing und in der Wirtschaftsförderung Braunschweig übernahm sie Ende 2009 die Geschäftsführung der Forschungsflughafen Braunschweig GmbH. Zentrale Aufgabe ist die Standortentwicklung des Forschungsflughafens.