Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege gehören traditionell zu den wesentlichen Akteuren der Sozialwirtschaft in Deutschland und zählen hierzulande zu den größten Arbeitgebern. Die Sozialwirtschaft zeichnet sich durch eine überaus starke Einbettung in die Wirtschaftsstrukturen vor Ort aus. Dabei verbleiben Beschäftigung und die von den sozialen Unternehmen ausgehenden Einkommens- und Investitionsimpulse fast vollständig in der jeweiligen Region. Somit ist der Sozialsektor selbst ein wichtiger Wirtschaftszweig, der Arbeit bietet, Innovationen schafft und zum Wohlstand der Region beiträgt.

Vorstand der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege (ohne Vertreter der AWO), vlnr: Hans-Jürgen Eberhardt (Caritas), Regine Schuster (Der PARITÄTische), Albrecht Bähr (Diakonie), Anke Marzi (DRK).
Die Sozialwirtschaft wird in der allgemeinen Betrachtung und in öffentlichen Diskussionen in erster Linie als großer Kostenfaktor angesehen. Die seit über zehn Jahren geführte Debatte um die Notwendigkeit einer „Ökonomisierung des Sozialen“ sowie ihre praktischen Auswirkungen legt den Gedanken nahe, „Soziales“ und „Wirtschaft“ als bis dato strikt voneinander getrennte Sphären nun gemeinsam zu betrachten. Dabei ist es keineswegs so, dass die Begriffe Effizienz und Effektivität innerhalb der Aktivitäten Sozialer Arbeit vorher keine Rolle gespielt hätten. Gleiches gilt für das Thema „Geld“. Oft wird der Vorwurf erhoben, dass im Sozialbereich – anders als in der Wirtschaft, wo“ Geld verdient“ wird – öffentliche Mittel „verschwendet“ würden.
Wie viel betriebswirtschaftliches Denken kann die Sozialpädagogik vertragen, ohne sich ihrer Qualität und Fürsorglichkeit zu berauben? Verschiedene Quellen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Kommodifizierung sozialer Hilfen, d. h. die Leistungen sozialer Arbeit werden zur Ware, die aus Kostengründen beliebig gestückelt und deren Qualität aus denselben Gründen flexibel angepasst und unter Effizienzgesichtspunkten überprüft werden kann. Es ist in diesem Zusammenhang aber zu bedenken, dass die Bestimmung von Effizienz (die angibt, mit welchem Aufwand ein Effekt erzielt wird) allerdings die Möglichkeit der Ermittlung von Effektivität voraussetzt. Dieser Aspekt ist z.B. in der Jugendhilfe in der Regel schwer feststellbar. Ob die angebotenen Leistungen effektiv sind, erfordert eine kontinuierliche und langfristige Bestimmung der Ergebnisqualität, die bei sozialen Dienstleistungen nur bedingt zu leisten ist.
Leistungen für vier Millionen Bürger. Das Gesundheits- und Sozialwesen zeichnet sich als Wirtschaftszweig aus, in dem die Leistung und der Nutzen für die Gesellschaft durch Erziehungs-, Betreuungs-, Beratungs-, und Bildungsangebote im Vordergrund stehen. Die Aufgaben und Dienstleistungen in diesem Wirtschaftszweig werden von freigemeinnützigen Trägern, Kirchen und darüber hinaus auch von örtlichen und überörtlichen öffentlichen Trägern sowie privatgewerblichen Trägern und Betrieben übernommen. Aufgrund ihres umfangreichen Leistungsangebots stellt die Gesundheits- und Sozialwirtschaft auch einen wesentlichen Bestandteil in der Beschäftigungslandschaft dar. In den Einrichtungen aller Träger der Freien Wohlfahrtspflege finden alleine in den Bereichen Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, Behindertenhilfe und Pflege über 145.000 Beschäftigte einen Arbeitsplatz. Damit arbeiten etwa 14 Prozent aller Beschäftigten in Rheinland-Pfalz in diesem Sektor. So ist die Gesundheits- und Sozialwirtschaft neben dem verarbeitenden Gewerbe (25 Prozent aller Beschäftigten in Rheinland-Pfalz) und dem Handelssektor (14 Prozent aller Beschäftigten in Rheinland-Pfalz) gemessen an ihrer Beschäftigungsgröße einer der bedeutendsten Sektoren des Bundeslandes.
Das hohe Maß an Beschäftigungsverhältnissen wirkt sich wiederum positiv auf die regionale Wirtschaft aus. So fließen über 70 Prozent der Leistungsentgelte und Fördermittel der öffentlichen Hand durch direkte und indirekte Zahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen der Einrichtungen wieder an Bund, Land und Kommunen zurück. Von den Ausgaben für Sachgüter, Dienstleistungen und Investitionen, die die Träger der Freien Wohlfahrtspflege tätigen, verbleiben mehr als 75 Prozent in der Region (50 km Umkreis) und führen dadurch zu weiteren Beschäftigungsverhältnissen in anderen Branchen. Trägt man die direkten, indirekten und induzierten Rückflüsse an die öffentliche Hand zusammen, so zeigt sich, dass über die Hälfte der Ausgaben der öffentlichen Hand direkt oder indirekt wieder zurückfließen. Für die Ausgaben der öffentlichen Hand bedeutet das, dass von einem Euro, der in die Sozialwirtschaft in Rheinland-Pfalz investiert wird, über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge durchschnittlich 40 Cent unmittelbar an die öffentliche Hand zurückfließen. Alle Mitarbeitenden in den in einer Studie im Jahr 2014 untersuchten Sektoren der Sozialwirtschaft in Rheinland-Pfalz verfügen über ein Netto-Einkommen von insgesamt ca. 1,2 Milliarden Euro. Abzüglich einer angenommenen Sparquote von 11 Prozent und unter Einbeziehung ausschließlich von Mitarbeitenden aus der Region verbleiben ca. 970 Millionen Euro, mit denen Konsum getätigt wird. Die Mitarbeitenden der LIGA-Verbände stärken alleine aufgrund des Konsums in ihrer Region 12.430 Beschäftigungsverhältnisse bzw. knapp 10.000 (Vollzeitstellen) in anderen Branchen.
Ehrenamtliche Tätigkeit als wirtschaftlicher Faktor. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, die auch in der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege“ organisiert sind, zählen in der BRD längst zu den größten Arbeitgebern. Zugleich engagieren sich in ihnen über eine Million Menschen ehrenamtlich und tragen so zur sozialen Stabilität des Landes bei. Die Tätigkeitsfelder sind vielfältig und reichen von der Säuglings- und Altenpflege über Prävention und Versorgung bis hin zur Bildungsförderung und Seelsorge. Durch die ehrenamtlich Tätigen werden in erster Linie zusätzliche Leistungen in der Betreuung und Beratung erbracht, die die grundlegenden Arbeitstätigkeiten in den jeweiligen Sozialwirtschaftsbereichen ergänzen. Nach Schätzungen der BAGFW engagieren sich deutschlandweit zwischen 2,5 und 3 Millionen Menschen – das ist etwa ein Zehntel aller ehrenamtlich Tätigen – in den Arbeitsbereichen der Freien Wohlfahrtspflege. Die Anteile der Beschäftigten der Freien Wohlfahrtspflege an der Gesamtbeschäftigung und auch am GuS-Wirtschaftsbereich sind über die letzten Jahre konstant geblieben. 2012 betrug die gemeldete Zahl der Ehrenamtlichen bei den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz 30.544 Personen. Zudem werden die hauptberuflich Beschäftigten der LIGA-Verbände in ihrer Arbeit durch weitere 3.549 geringfügig Beschäftigte unterstützt.
Mehr als die Summe seiner Teile. Sozialwirtschaftliche Einrichtungen leisten auf den zweiten Blick viel mehr für verschiedene Personengruppen der Gesellschaft sowie für die Infrastruktur und andere Institutionen. Diese Mehrwerte können nicht ohne weiteres monetär bewertet werden, tragen aber zusätzlich zur Bedeutung der Sozialwirtschaft bei. Ein zusätzlicher nicht messbarer monetärer Wert liegt auch darin, jungen Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, in den Einrichtungen und Fachschulen Berufsausbildungen zu absolvieren oder Anerkennungspraktika zu machen. Die Wohlfahrtsverbände spielen somit auch eine wichtige Rolle im beruflichen Ausbildungssystem.
Die Befunde über die regionalen Ausstrahlungseffekte aus den Einrichtungen und den Diensten der Sozialwirtschaft legen auch die Schlussfolgerung nahe, dass man diesen Bereich nicht nur sozialpolitisch betrachten und bewerten darf, sondern dass die Sozialwirtschaft auch in der Wirtschaftsförderung Berücksichtigung finden sollte. Fakt ist, dass die Einrichtungen der Sozialwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Lebensqualität für die betreuten Menschen und ihre Angehörigen sowie die eigenen Beschäftigten leisten.
Albrecht Martin Bähr
Albrecht Martin Bähr studierte evangelische Theologie und war von 1991 bis 2002 Inhaber der Pfarrstelle Limbach-Altstadt. Von 2002 bis 2010 war er Beauftragter der Diakonischen Werke am Sitz der Landesregierung in Rheinland-Pfalz. Seit 2011 ist Albrecht Martin Bähr Landespfarrer des Diakonischen Werkes, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Diakonie in Rheinland- Pfalz sowie 2015 und 2016 Vorsitzender des LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz e.V.
Sylvia Fink
Sylvia Fink absolvierte nach ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau ein Diplomstudium der Erziehungswissenschaften. Sie war tätig als Schuldnerberaterin sowie wiss. Mitarbeiterin an der Universität Mainz (Schuldnerfachberatungszentrum), Vorstandsreferentin (Diakonie, 2001-2007), Referentin für Schuldnerberatung und für Gemeinwesenarbeit (Diakonie, 2007-2010). Seit November 2010 ist Sylvia Fink Geschäftsführerin des LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz e.V.